Alban Berg – Chronik eines Lebens I

Alban Berg

Anlässlich des 130. Geburtstages von Alban Berg widmet sich Dramaturg Roman Reeger in einer vierteiligen Chronik dem Leben und Werk des Komponisten. Der erste Teil reicht von Bergs Jugend bis zum Ende seines Studiums bei Arnold Schönberg.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Wien, die Hauptstadt der k. u. k.- Monarchie Österreich-Ungarn, zum kulturellen Zentrum Mitteleuropas. Diese Entwicklung vollzog sich in einer für die Stadt ungewohnten Geschwindigkeit: innerhalb von 40 Jahren (von 1870 bis 1910 stieg die Einwohnerzahl von 900.000 auf über 2 Millionen) wurden eine Vielzahl städtebaulicher Projekte realisiert, die sowohl den Umbau sowie die Aufstockung zahlreicher Wohnhäuser im Innenstadtbereich als auch die Errichtung der lang geplanten Stadtbahn umfassten. Aus allen Bereichen der Monarchie strömten Menschen in Stadt, die sich zunehmend internationalisierte, jedoch ohne, dass die sozialen Veränderungen mit denen anderer sich in dieser Zeit rasch verändernder Metropolen wie Chicago oder Berlin zu vergleichen gewesen wären. Die »Wiener Moderne« und Kaffeehauskultur, mit ihren berühmtesten Vertretern Sigmund Freud, Arthur Schnitzler und Gustav Klimt bildete bald die bedeutsamsten intellektuellen Strömungen in Europa.

In dieses Wien wurde Alban Maria Johannes Berg am 9. Februar 1885 hineingeboren. Sein Vater Conrad Berg (1846-1900) stammte aus Nürnberg und war als Vorsitzender einer Exportfirma Teil des wienerischen Bürgertums und empfand sich, trotz seiner fränkischen Herkunft, als »Urwienerisch«. Freilich stellt dieses »Wienerische« auch in Bezug auf die Persönlichkeit Alban Bergs ein entscheidendes Moment dar. Nicht nur, dass er sein ganze Leben in dieser Stadt verbrachte und nur selten für längere Zeit wegfuhr – vielmehr lag hierin eine skeptische und vom Katholizismus geprägten Haltung, die insbesondere in den späteren Werken deutlich zum Vorschein kommt und gleichsam einen musikalischen »Dialekt«, wie Adorno es ausdrückte, bildete. »Die Vortragsbezeichnung wienerisch über einem Thema des Violinkonzerts, alles andere als folkloristische Zutat von außen, bekennt das zu sein«, konstatierte er.
Bergs Mutter Johanna, geborene Braun, hingegen war seit Generationen Teil der angesehenen Wiener Gesellschaft mit einer besonderen Begabung für bildende Kunst, die sich nicht zuletzt auf den jungen Alban übertrug.

Bergs Geburtshaus befindet sich nur wenige Meter von Stephansdom entfernt in der Wiener Innenstadt. Später zog die Familie in den 13. Bezirk, wo auch Berg seine berühmte Wohnung in der Trauttmansdorffgasse 27 beziehen sollte. Die von Natur geprägte Umgebung erschien dem eher Menschenscheuen und immer etwas kränklichen Jungen zeitlebens als »Paradiesisch« und bildete einen wohltuenden Kontrast zum hektischen Leben der Innenstadt. Zu seinen drei Geschwistern, zu denen zwei ältere Brüder, Hermann und Charly sowie seine jüngere Schwester Smaragda gehören, hatte er ein inniges Verhältnis. Mit seiner Schwester musizierte er in frühen Jahren vierhändig auf dem Klavier die symphonischen Werke Haydns, Mozarts und Brahms‘. Sein Bruder Charly, der eine besondere Vorliebe zum Gesang und allem voran zur Oper pflegte, brachte ihm die Opernliteratur genauso nahe, wie Lieder von Franz Schubert und Hugo Wolf. Doch vielmehr noch interessierte sich der jugendliche Berg für die Literatur, strebte gar an, Dichter zu werden und wurde in dieser Neigung durchaus von seinen Eltern unterstützt. Neben Goethe und Shakespeare begeisterte er sich für Dostojewski und Balzac. Später hinterließen Maurice Maeterlinck, Oscar Wilde und vor allem August Strindberg, die er als seine »Hausgötter« bezeichnete, gewisse Spuren in seinen Werken.

Vermutlich war es nicht zuletzt jenes literarische Interesse, welches den 13-Jährigen zu ersten Liedkompositionen verleitete, die er komplett autodidaktisch entwickelte und ausschließlich daheim mit seinen Geschwistern musizierte. Auch wenn viele dieser Frühkompositionen bis heute unter Verschluss gehalten werden – in der Zahl handelt es sich hierbei um ca. 80 Lieder – ist davon auszugehen, dass Berg sich in der harmonischen und melodischen Gestaltung noch mehr als bei den Sieben frühen Liedern, die zu Teilen während der Studienzeit bei Arnold Schönberg entstanden, an den romantischen Vorbildern Robert Schumanns und Richard Wagners orientierte. Die umfangreiche Bibliothek seines Elternhauses ermöglichte ihm auch den Zugang zu Texten von Hofmannsthal, Rückert, Heine, Eichendorff, Rilke und Ibsen, die er mit Vorliebe vertonte.

Der plötzliche Tod des Vaters am 30. März traf die Familie hart und brachte zudem auch eine entscheidende Verschlechterung der ökonomischen Situation mit sich. Der schon immer trotz seiner statthaften Erscheinung gesundheitlich schwache Alban, erlitt kurz darauf erstmals einen schweren Asthmaanfall, eine Krankheit, die ihn fortan sein Leben lang begleiten sollte. Galt er in seinen ersten Schuljahren noch als »Vorzugsschüler«, so verschlechterten sich seine schulischen Leistungen in den Jahren darauf massiv, sodass er die Matura 1903 nicht bestand. Ein Jahr später gelang es ihm, zu seiner eigenen Überraschung, doch noch, die Reifeprüfung abzulegen und wird kurz darauf Rechnungspraktikant, um gemäß dem Wunsch der Mutter, eine Verwaltungslaufbahn einzuschlagen. Zugleich schrieb er sich an der Universität Wien ein, um Vorlesungen der Rechts- und Musikwissenschaft zu besuchen.

Doch das Jahr 1904 brachte noch eine andere, viel bedeutsamere Wendung mit sich. Berg hatte vor allem in den Jahren ab 1900 seine Liedproduktion in Bezug auf Quantität und Qualität bedeutend gesteigert. Sein Bruder Charly, der viele dieser Lieder sang, entdeckte in einer Zeitung die Annonce Arnold Schönbergs, der Unterricht in Komposition und Musiktheorie anbot, und bewarb seinen Bruder, hinter dessen Rücken, mit einigen seiner Kompositioen und mit der Bitte, von einem Honorar abzusehen, da die finanzielle Situation der Familie ein solches nicht zu zahlen erlaubte. Schönberg willigte überraschend ein und betonte später, wie begeistert er von der Originalität der Werke des jungen Autodidakten war. Der Unterricht bei Schönberg gliederte sich in einen Theorieteil, die Lehre von Harmonik und Kontrapunkt, zugleich stand das gemeinsame Analysieren der Werke Bachs, Beethovens und Brahms im Mittelpunkt. Ferner hielt Schönberg seine Schüler an, sich genau mit den Werken des Komponisten und damaligen Direktors der Wiener Staatsoper Gustav Mahler auseinanderzusetzen. Bergs Verehrung für den »Heiligen Mahler« bestand bereits vor dem Zusammentreffen mit Schönberg, so kam es nach der Aufführung von dessen 3. Sinfonie zu jenem berühmten »Diebstahl des Dirigentenstabes«, den Mahler bei dieser Aufführung verwendete und den Berg sein Leben lang aufbewahrte.

1907 waren die Theoriestudien bei Schönberg beendet. Erste Kompositionen gelangten zusammen mit denen anderer Schönberg-Schüler zur Uraufführung, u. a. drei Lieder, die später Teil der Sieben frühen Lieder wurden und eine Doppelfuge für Streichquintett mit Klavierbegleitung. Nach diesen ersten öffentlichen Versuchen, entschloss sich Berg zur Komposition einer Klaviersonate, die er als sein op. 1 veröffentlichen sollte. Berg sah für sein »Gesellenstück« (Adorno), 1907/08 komponiert und 1911 uraufgeführt, ursprünglich eine dreisätzige Form vor, doch wollte ihm nach dem ersten Satz »lange nichts rechtes einfallen«, wie er in einem Brief an Schönberg schrieb. Sein Lehrer entgegnete ihm gelassen: »Nun, dann haben Sie eben alles gesagt«.

Alban Bergs selbstgestaltetes Titelblatt für seine Vier Lieder op. 2
Alban Bergs selbstgestaltetes Titelblatt für seine Vier Lieder op. 2

Dennoch regte sich bereits aufgrund der Bezeichnung »Sonate« Protest, da man in Wien allzu sehr die großen Meister dieser Gattung vor Augen hatte und Bergs einsätziges, knapp 10 Minuten andauerndes Stück, somit für die Zeitgenossen fast einer Verhöhnung der Form selbst glich. Obgleich die Sonate op. 1 natürlich unter dem Einfluss Schönbergs entstand, lassen sich in diesem Frühwerk bereits einige stilistische Unterschiede zur schönbergschen Satzweise feststellen. Die große Ideenfülle auf kleinsten Raum, in Bezug auf die thematischen Gestalten, ergibt sich aus einem bewusst reduzierten motivischen Material, welches kunstvoll durchkonstruiert und hierbei doch die strenge der Form wahrend, in ständig neuen Verarbeitungen erscheint.

Von gänzlich anderem Charakter zeugen die Vier Gesänge op. 2, die Berg nach Gedichten von Friedrich Hebbel und Alfred Mombert komponierte und in der spätromantischen Tradition stehen. Deutlich aus dem Rahmen fällt das vierte und letzte der Lieder »Warm die Lüfte«, welches mit zu den ersten Kompositionen Bergs zählt, die in Richtung Atonalität weisen. Bemerkenswert ist, dass sich in diesen beiden ersten Veröffentlichungen sich gewissermaßen zwei Seiten von Bergs Komponieren zeigen, die auch für sein nachfolgendes Komponieren von entscheidender Bedeutung sein werden.

Neuer Kommentar

Verfasse jetzt einen Kommentar. Neue Kommentare werden von uns moderiert.