Oper und Comic

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

Dramaturg Roman Reeger traf den Verlagsgründer und Comic-Forscher Christian Bachmann zum Gespräch über die »Tosca« in der Regie von Alvis Hermanis. Die Inszenierung des lettischen Regisseurs findet auf zwei Ebenen statt: Zum einen bewegen sich die Sängerinnen und Sänger in einer psycho­logisch dichten Erzählung, verlegt in die Entstehungszeit der Oper um 1900. Zum anderen begleiten von der Bühnen- und Kostüm­bildnerin Kristine Jurjane gestaltete comichafte Zeichnungen die Handlung. Projiziert auf ein Bühnen­bild von monumentalen Architekturen führt sie an die Original­schauplätze des 17. und 18. Juni 1800 in Rom.

Roman Reeger: Als Alvis Hermanis uns sein Konzept für »Tosca« vorstellte und die vielen Bilder präsentierte, die später auf die Leinwand zu sehen sein sollten, sprach er von »Comics«. Später gab es dann Diskussionen unter den Kollegen, ob es sich nicht doch vielmehr um eine »Graphic Novel« handele. Worin liegt denn überhaupt der Unterschied?
Christian Bachmann: Die Frage wurde auch in einigen Kritiken aufgeworfen. Ich persönlich bin kein großer Freund von dem Begriff »Graphic Novel«, der sehr stark ökonomisch motiviert ist. Irgendwann fingen Künstler an, ihre Werke zu verteidigen und zu sagen: »Das hier ist etwas Großes, etwas Ernsthaftes, das hier ist eine Graphic Novel, also ein Roman in Bildern, kein bloßer Comic.« Die Verlage sind bald auf diesen Zug aufgesprungen und mittlerweile findet man in jeder Buchhandlung Graphic Novel-Sparten. Comics wurden früher vor allem über Kioske und in eigenen Comicbuchläden verkauft, denen meistens ein etwas düsteres Image anhaftete. Um den Comic salonfähiger zu machen, wurde die Graphic Novel geboren. Viele Künstler gehen mit diesem Umstand aber tatsächlich produktiv um und erschaffen Werke, die man guten Gewissens so nennen kann. Typische Eigenschaften sind die Abgeschlossenheit der Geschichte, es gibt also keine unendlichen Fortsetzungen, Serialität spielt keine Rolle, und eine gewisse Länge, die sich am Roman orientiert. Genannt werden auch gerne ›ernsthaftere‹ Themen, aber das scheint mir sehr ebenso wenig stichhaltig zu sein, wie die Idee, Comics seien per se komisch, weil sie so heißen. – In Bezug auf die Diskussion dieser Inszenierung in den Rezensionen wurde jedenfalls schnell klar, dass viele sehr überrascht waren, dass hier auf einmal etwas passiert, was ihnen sonst in der Oper nicht geboten wurde.

RR: Einer der Hauptvorwürfe, mit denen sich Puccini nach der Uraufführung von Tosca 1900 konfrontiert sah, war der, dass es in dieser Oper zuwenig Poesie gäbe. Gemeint waren hiermit zunächst natürlich jene berühmten Momente des »Innehaltens«, der Nahaufnahme. Die »Musik hat kaum Zeit sich zu finden« schrieb ein französischer Kritiker, da sie ständig der sich überschlagenden Handlung folgen müsse. Tatsächlich handelt es sich bei Tosca um eines der dichtesten Dramen Puccinis, wovon schon die zeitliche Struktur der Handlung zeugt, die an anderthalb Tagen spielt, man hat fast das Gefühl, sie vollziehe sich in Echtzeit. Wie gestalten Comic-Zeichner mit diese Zeitstruktur der Handlung, man kann ja beliebig springen, von einem Bild aufs nächste viele Jahre vergehen lassen oder aber auch einen Moment sehr lange aus verschiedenen Perspektiven beleuchten?
CB: Der Comic kann tatsächlich beides und tut dies auch. Der Comicforscher Dietrich Grünewald spricht hierbei von »engen Bildfolgen« und »weiten Bildfolgen«. In amerikanischen und den meisten europäischen Comics werden natürlich zu viele Momente elliptischen Erzählens meistens vermieden, um den Leser nicht zu verwirren. Der Comic hat den großen Vorteil, dass er den Lesern mit sogenannten »Captions« helfen kann, in denen steht dann z. B.: »wenig später …« oder »währenddessen«.
Der eigentliche Vorzug ist aber natürlich, dass der Leser im Comic, unabhängig davon, ob es sich um eine weite oder enge Bildfolge handelt, das Tempo selbst bestimmen kann, was in der Oper nicht funktioniert, man kann sich in ein Comic-Bild versenken oder schnell über Bilder hinweggehen, hierauf hat der Autor kaum Einfluss. Es gibt da allerdings auch kulturspezifische Unterschiede. Während amerikanisch-europäische Erzähltechniken vor allem nach dem Prinzip »Handlung-Szenenwechsel-Handlung-Szenenwechsel« funktionieren, gibt es angeblich in japanischen Mangas viel häufiger Momente eines kontemplativen Stillstands mit großen Bildern, auf denen z. B. nur ein fallendes Blatt oder ein Wassertropfen gezeigt wird.

RR: Ist es dann nicht ein gewaltiger Eingriff, wenn der Comic auf einmal der Musik unterworfen wird? Das Tempo der Bilder richtet sich ja sehr nach der Musik, ich denke zum Beispiel an die beiden großen Arien von Tosca »Vissi d’arte« im zweiten Akt und Cavaradossis »E lucevan le stelle« im dritten Akt, wo die Bilder einfach stehen bleiben.
CB: Das berührt einen wichtigen Punkt! Ich kenne zwar viele Menschen, die das Format sehr mögen, doch ich selbst bin überhaupt kein Freund von »Comic-Lesungen«, bei denen ein Autor seine Geschichte vorliest, was natürlich auch nicht jeder gleich gut kann. Was mir daran nicht zusagt, ist dass ich das Tempo nicht selbst festlegen kann. Bei der »Tosca« hat mich das überhaupt nicht gestört, da das Erzähltempo der Bilder sehr gut an das Erzähltempo auf der Bühne angepasst war. Aber natürlich ist es das prinzipiell eine Einschränkung, auch da auf der Leinwand natürlich nur begrenzt Platz ist. Das Maximum waren drei Bilder, die gleichzeitig gezeigt wurden. Doch die meiste Zeit sieht man Einzelbilder, die einen narrativen Zusammenhang ergeben, was beinahe den Eindruck erweckt, dass dort ein sehr langsamer Film abläuft.

RR: Wo siehst du prinzipielle Anknüpfungspunkte oder Gemeinsamkeiten zwischen dem Theater und Comics?
CB: Auf jeden Fall existieren Beispiele, bei denen das Theater für den Comic ein sehr großes Vorbild darstellte. Der berühmte amerikanische Comiczeichner Will Eisner, dessen Vater in New York Bühnenmaler war, hat in jungen Jahren viel Zeit im Theater zugebracht, was sich bei ihm letztlich stilistisch in übertriebenen, man könnte sagen, theatralischen Gesten manifestierte, Gesten, die viel theatralischer sind als bei der Tosca. Solche Gesten und Posen sind später in deutlich abgeschwächter Form immer wieder aufgegriffen worden. Bestimmte Körperhaltungen sind für manche Comics typisch, zum Beispiel auch für Superhelden-Comics, wo sich häufig sehr überspitzte, physisch manchmal unmögliche Posen finden, die aber sehr effektvoll und ausdrucksstark sind. Hier gibt es einige Konvergenzen zwischen Comic und Oper. Dietrich Grünewald hat den Comic zurecht mit dem Theater verglichen.

RR: Mit Blick auf das Musiktheater könnte man dieses Überspitzte, physisch Unmögliche, sehr Artifizielle vielleicht auch auf das Singen beziehen. Wenn sich eine sterbende Figur für 10 Minuten an die Bühnenrampe stellt und noch eine große Arie singt, ist das auf der einen Seite etwas höchst Unwahrscheinliches und doch zugleich ein sehr wahrhaftiger Moment des sich maximal Exponierens und somit sehr eindrucksvoll. Wie würdest du eigentlich als Comic-Experte die Ästhetik der Tosca beschreiben?
CB: Sehr naturalistisch und historisierend, was es in diesem Konzept auch sein soll. Die Besonderheit und große Herausforderung dieser Inszenierung für den Rezipienten liegt in den unterschiedlichen Ebenen, die miteinander ausgehandelt werden müssen. Oben die Bildebene, welche das 18. Jahrhundert repräsentiert und unten die Spielebene, die sich an den Kostümen zur Zeit der Uraufführung 1900 orientiert. Man muss permanent reflektieren was passiert oben und was passiert unten und wie stehen beide Ebenen in Beziehung zueinander. Das ist sehr herausfordernd. Hinzukommt, dass ich den Text verstehen muss und wenn man der italienischen Sprache nicht mächtig ist, die Übertitel mitlesen und natürlich die Musik verstehen.

RR: Diese synästhetische Überforderung gilt als Prinzip überhaupt für die Oper, man ist ständig damit beschäftigt, die Textebene, die Musikebene sowie die gestische bzw. schauspielerische Ebene zu reflektieren. Nun kommt noch eine Comicebene hinzu. Das ist natürlich wahnsinnig fordernd, allerdings, was an dieser Stelle betont werden muss, produktiv fordernd.
CB: Diese Aufteilung auf verschiedene Ebenen sind Comicleser gewöhnt: Sie sehen Figuren, die handeln und lesen den Text, der daneben oder in Sprechblasen steht. Diese Aufteilung ist häufig nicht so klar wie man meinen könnte. Nicht umsonst streiten Comicforscher darum, ob die Information im Text oder im Bild wichtiger ist. Allerdings, je häufiger man Comics liest, desto mehr bekommt man etwas, was der amerikanische Neuropsychologe Neil Cohn »visual literacy« nennt, man lernt Bildersequenzen zu lesen. Es gibt, nebenbei, Hinweise darauf, dass das im Gehirn von den gleichen Funktionen bewerkstelligt wird wie das Decodieren von Sprache und sogar Musik. Also wenn ich z.B. bei der Tosca drei Bilder nebeneinander sehe, muss ich erkennen, dass es sich dabei um eine Sequenz handelt und die hieraus gewonnene Information ins Verhältnis zum übrigen Geschehen setzen.

RR: Auffällig ist, dass in der Tosca-Inszenierung beide Ebenen in einer dynamischen Beziehung zueinander stehen: An vielen Stellen ergänzen die oberen Bilder die unten stattfindenden Handlungen, an anderen widersprechen sie sich gar. Was ich in Bezug auf die Dreierkonstellation Tosca, Cavaradossi und Scarpia, sehr interessant finde ist, dass uns auf der Bildebene zwischen Tosca und Cavaradossi eine große Sinnlichkeit präsentiert wird, es gibt viele zärtliche Momente, Umarmungen und Küsse. Wohingegen die Bilder, die Tosca und Scarpia zusammen zeigen, häufig eine ablehnende Haltung präsentieren. Auf der Bühne sind diese Verhältnisse jedoch umgekehrt, da wirken die Momente zwischen Scarpia und Tosca eher »sinnlich«, die haben die meisten Berührungen miteinander, wohingegen zwischen Cavaradossi und Tosca eher eine Distanz herrscht.

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

CB: Ja, genau diese Spannungsverhältnisse sind interessant. Insbesondere in den Scarpia-Szenen kommt noch etwas anderes hinzu: vor allem während des zweiten Aktes im Palazzo Farnese spielen allegorische Bilder, die man jedoch wahrscheinlich erst auf den zweiten Blick genau wahrnimmt, in den Comicbildern eine wichtige Rolle. Beispielsweise sieht man auf einem Bild Scarpia und im Hintergrund Carraccis Freskogemälde von Juno und Jupiter. Auf einmal muss ich noch eine zusätzliche Information, die semantisch aufgeladen ist, unterbringen und reflektieren.

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

RR: Überhaupt wird die Figur des Scarpia insgesamt auf beiden Ebenen sehr unterschiedlich beleuchtet. Auf der Bühne sehen wir einen sehr präsenten Scarpia, der kaum zweifelnde Momente zu haben scheint, wohingegen der gezeichnete Scarpia in vielen Momenten gebrochen, fast schwach erscheint. Es werden also zwei Deutungsmöglichkeiten, zwei Blicke auf diese Figur angeboten.

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

CB: Genau, dieses Prinzip der gegensätzlichen Darstellung zieht sich durch den gesamten Abend. In der Musik würde man das vermutlich »kontrapunktisch« nennen. – Was ich dich fragen wollte, gibt es eigentlich eine Tradition der politischen Oper?

RR: Ja, die gibt es. Allerdings ist der Begriff der »politischen Oper« nicht ganz leicht zu definieren. Vor allem im 19. Jahrhundert beschäftigten sich viele Komponisten mit einer Form der politischen Oper, zugleich unterlagen viele Werke einer politischen Konnotation, welche jedoch gar nicht immer unbedingt von den Komponisten selbst beabsichtigt war, sondern diesen gewissermaßen addiziert wurde, wie es bei den frühen Opern Giuseppe Verdis der Fall war. Im 20. Jahrhundert ist wohl vor allem Luigi Nono zu nennen, der mit seinem bahnbrechenden Musiktheater »Intolleranza 1960« am konsequentesten Inhalte der politischen Gegenwart auf die Opernbühne brachte.
CB: Der Comic wurde an einem bestimmten Punkt in seiner Entwicklung sehr politisch. Das hing mit einer Hetzkampagne in den USA während der 1950er Jahre zusammen, im Zuge derer behauptet wurde, dass Comics zu Kriminalität und Homosexualität verführen würden. Es gab medienwirksame Anhörungen, in denen diskutiert wurde, ob man solche Comics generell verbieten sollte, da sie für damalige Verhältnisse als zu brutal galten. Vor allem – aber eben nicht nur – Horror-Comic-Reihen wie »Tales from the Crypt« (dt.: »Geschichten aus der Gruft«), in denen beispielsweise gelegentlich Körperteile abgehackt wurden, was heute wohl nicht mehr sonderlich schockierend wäre.

RR: Wo du gerade die Darstellung von Gewalt in Comics erwähnst. Das Verhältnis der beiden Ebenen ist auch durch einen fundamentalen Gegensatz in Bezug auf die explizite Darstellung der Gewalt geprägt. In den Bildern fließt das Blut, wir sehen wie Cavaradossi gefoltert wird, sehen den Tod Scarpias, der auf der Bühne zwar durch ein Messer angedeutet, allerdings ohne, dass hier noch auf das an dieser Stelle so gerne angewandte Kunstblut zurückgegriffen wird. Auch Toscas Sturz von der Engelsburg sehen wir auf der Leinwand, während die Darstellerin auf der Bühne nur ein paar Schritte in Richtung Orchestergraben geht. Ist die explizite Darstellung von Gewalt etwas ganz Typisches für den Comic?
CB: Interessanterweise überhaupt nicht. Nach den von mir erwähnten Diskussionen in den 1950er Jahren hat man sich auf einen sogenannten »Comics Code« geeinigt, welchem die Verlage, nicht zuletzt um der Zensur zu entgehen, nachgegeben haben. In diesem Comics Code steht vereinfacht: keine Religion, keine Sexualität, keine Gewalt, keine Politik. So entstanden »langweilige« Comics, da z.B. gesellschaftliche Probleme keine Erwähnung mehr finden durften, man denke nur an den den Vietnamkrieg. Dieses Tabu hat dann in den 1960er Jahren eine Gegenbewegung, zu der anfänglich u.a. der auch in Deutschland berühmte Robert Crumb gehörte, aber auch ein heute unzweifelhaft als Künstler anerkannter Comicautor wie Art Spiegelman. Sie waren vor allem im Untergrund aktiv, ihre sogenannten »Underground Comix« wurden kopiert, statt von Verlagen vertrieben zu werden, und dann zwischen Freunden oder unter der Ladentheke gehandelt. Eine Geschichte wie »Tosca« hätte sich damals nur in diesem Genre denken lassen können. »Tosca« als Superhelden-Comic zu inszenieren wäre schon deshalb undenkbar, weil in diesen so gut wie nie eine Figur stirbt und auch kein Blut sichtbar wird. Natürlich hat sich das heute alles etwas relativiert. Ich habe im Vorfeld mal recherchiert und tatsächlich einige wenige »Tosca«-Comics gefunden, aber ich glaube nicht, dass eine große Comic-Rezeption dieser Geschichte gibt.
Aber um nochmal auf die Frage zurückzukommen, die explizite Darstellung von Gewalt in der »Tosca«-Inszenierung geht keineswegs auf eine Comictradition zurück. Dennoch ist es schlüssig, die Gewalt eher auf den Bildern sichtbar zu machen, da diese natürlich immer eine gewisse Distanz schaffen.

RR: Es ist vielleicht wie in der griechischen Tragödie, in der Morde, Tode oder Suizide nie auf der Bühne sichtbar und dem Zuschauer dann meistens durch Botenberichte mitgeteilt werde, die Grausamkeit wird also in die sprachliche Abstraktion überführt.
CB: Dieses Aussparen von Gewalt in Comics lässt sich an prominenten Beispielen anschaulich machen: Die Superhelden-Comics waren und sind bis heute ein sehr einflussreiches Genre in den USA, das heute durch die große Menge an Hollywood-Verfilmungen präsenter ist als jemals zuvor. Die meisten Leser in Europa und Deutschland sind aber vielleicht besser mit den Asterix- oder Tim und Struppi-Comics vertraut, in denen es natürlich sehr viel um Slapstick geht, also das Verhauen der Römer oder dass sich Figuren ständig auf die Nase legen – aber auch hier kommt niemand ernsthaft zu Schaden. In den Disney-Comics wie Micky Maus und Donald Duck werden höchstens mal Prügel angedroht. Und wenn es doch einmal zu einer handfesten Auseinandersetzung kommt, wird diese in einer großen Staubwolke versteckt.
Die Darstellung der Gewalt in den Bildern der »Tosca«-Inszenierung lässt sich viel mehr als dramaturgisches Element im Kontrast zum Bühnengeschehen verstehen.

RR: Dabei laufen beide Ebenen im ersten Akt wunderbar gut zusammen.
CB: Richtig, gleich zu Beginn des ersten Aktes sehen wir Angelotti, der sich auf der Bühnenebene bereits in der Kirche befindet, während wir in der Comicgeschichte noch verfolgen können, wie er in die Kirche gelangt. Ein gutes Beispiel für eine weite Bildfolge und dafür, wie wir als Zuschauer das Vorher und Nachher verschiedener Darstellungen von Handlungen miteinander in Übereinstimmung bringen müssen.

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

RR: Bei der Ästhetisierung der Figuren in den Bildern kommt ein entscheidendes Moment der Selbstreflexion hinzu. Cavaradossi ist ja Maler und genau wie Tosca, »lebt er für die Kunst«, er bezieht sie also auch auf die anderen Lebensbereiche. Etwas das uns sehr nah erscheint, da die Ästhetisierung auch im Leben des Nichtkünstlers sehr wichtig geworden ist, egal, ob es um perfekt designte Küchen oder die Selbstinszenierung auf Facebookprofilen geht. Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht gar von einem Ästhetisierungsdispositiv, welchem die Subjekte in der heutigen Zeit unterworfen sind.
CB: Bezogen auf die Inszenierung könnte man sagen: diese Bildebene ergänzt etwas, was dem Stück selbst fehlt. Wir erleben eine Oper, welche das Schicksal einer Sängerin zum Thema hat und somit folglich auch selbstreferenziell das Singen thematisiert. Nun kommt über die Bilder auch eine gewisse Selbstreferentialität in Bezug auf Cavaradossi und das Malen hinzu, was total naheliegend ist.

RR: Wir haben ja schon festgestellt, dass diese »Bilder in den Bildern« eine wichtige Rolle spielen …

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

CB: Auf dem Mesner-Bild mit dem Pinsel sieht man ganz deutlich wie kompliziert das werden kann. Wir sehen nicht nur diese Figur, die wir schnell als eine mit komischen Zügen identifizieren, sondern müssen auch die Altarbilder in Beziehung setzen.

Tosca | Illustration: Kristine Jurjane

RR: Beim »Te Deum« am Ende des ersten Aktes nehmen genau jene Altarbilder die gesamte Bühne ein, sodass sie übermächtig erscheinen. Zugleich ist es ein Bruch mit der Bühnenaufteilung, da diese Bilder sich nicht mehr auf die Leinwand beschränken, also nicht mehr virtuell, sondern als große real-gezeichnete Kulisse an die Bühne fährt. In diesem Bild manifestieren sich die Macht der katholischen Kirche und zugleich die Macht Scarpias. Das ist etwas, was Puccini, der eine kritische Haltung zur Kirche besaß, in diesem »Te Deum« ganz bewusst so angelegt hat.
CB: Solche Momente sind sehr stark. Sie eröffnen den Raum, anders über ein Stück nachzudenken!

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