»Das Café Keese ist für mich mein Leben«

Mit der Premiere von »Eine kleine Sehnsucht« am 28. Juni begibt sich die Staatsoper auf neues Terrain: Erstmals dient das neben dem Schiller Theater gelegene legendäre Café Keese als Spielstätte. Wir trafen die Inhaberin Nadine Ludwig-Kibwebwe und den »Keese-Hund« Frieda zu einem Gespräch über all die großen und kleinen Geschichten, die mit diesem außergewöhnlichen Ort verbunden sind.

Das Café Keese hat eine lange und traditionsreiche Geschichte. Wie war die Entwicklung von den Anfängen bis heute?
Das Café Keese wurde 1948 von Bernhard Keese in Hamburg gegründet, 1966 eröffnete das Café Keese in Berlin. Mein Opa hat es Ende der 80er Jahre gekauft. Meine Eltern haben es übernommen und fast 30 Jahre lang geführt, inzwischen sind sie in Rente. Mein Mann und ich übernahmen es 1996, es ist also ein Familienbetrieb in der dritten Generation.

Dann sind Sie ja richtig mit dem Café Keese aufgewachsen. Wie war das für Sie und was bedeutet Ihnen der Ort?
Das Café Keese ist für mich mein Leben. Es hat mich sehr stark geprägt, vor allem der Umgang mit Menschen. Ich bin hier groß geworden, das ist wie mein Wohnzimmer. Mein erster Job war hier: Ich habe mir im Café Keese meine erste Waschmaschine verdient. Mein Opa meinte damals »Wenn du eine Waschmaschine brauchst, dann musst du arbeiten.« Also habe ich hier nach der Schule gesaugt und sauber gemacht. Wenn ich jetzt eine Weile nicht hier bin, habe ich richtig Entzugserscheinungen. Das Klappern der Gläser, das Geräusch der Abwaschmaschine, das ist einfach Zuhause. Natürlich ist das Café Keese durch seine Geschichte auch ganz stark mit meiner Familie verbunden, mit meinem Opa und meinen Eltern. Meine Eltern sind natürlich auch immer noch mit den Herzen dabei. Bei wichtigen Entscheidungen berate ich mich immer mit ihnen, weil sie in den ganzen Jahren sehr viel Erfahrung im Gastronomiebereich gesammelt haben. Mein Vater repariert auch immer noch alles, was hier anfällt, obwohl er inzwischen in Rente ist. Außerdem habe ich hier meinen Mann kennen gelernt – das ist eine richtige Keese-Ehe.

»Wir wollen nicht nur dasitzen und zugucken,
wir wollen mit den Leuten reden und hören, wie es ihnen geht.«

Wie haben Sie sich kennen gelernt?
Ich habe eine Lehre zur Kauffrau für Grundstück- und Wohnungswirtschaft gemacht und habe in diesem Beruf auch über zehn Jahre gearbeitet. Nebenbei habe ich im Café Keese ausgeholfen. Frank war seit 1996 Geschäftsführer und als meine Eltern dann einmal in den Urlaub gefahren sind, meinten sie zu mir, ich solle ihn in dieser Zeit mal ein bisschen unterstützen. Und so haben wir mehr Zeit miteinander verbracht und uns immer näher kennen gelernt und dann hat’s gefunkt. Wir haben sogar unsere Hochzeit im Café Keese gefeiert. Es ging nicht anders, wir haben ja jeden Tag offen. Da meinte mein Vater »Ja, was machen wir jetzt? Entweder ist dein Mann dabei oder dein Vater« und ich wollte natürlich beide dabei haben, also haben wir hier gefeiert. Unsere Mitarbeiter haben uns überrascht und den ganzen Laden geschmückt. Wir haben dann auch unsere Gäste teilhaben lassen, es war ganz regulär geöffnet. Viele wussten ja, dass Frank und ich zusammen waren und sie kamen vorbei und haben mitgefeiert – wir sind eben ein ganz familiärer Betrieb. Mein Mann und ich, wir kellnern und arbeiten beim Service mit – das wollen wir uns auch nicht nehmen lassen. Das Arbeiten am Gast macht uns sehr viel Spaß, wir brauchen den Kontakt. Wir wollen nicht nur dasitzen und zugucken, wir wollen mit den Leuten reden und hören, wie es ihnen geht. Besonders mein Mann nimmt sich dafür sehr viel Zeit und begrüßt jeden Gast – er behandelt alle gleich und doch hat jeder das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Natürlich kennen wir die meisten Gäste schon lange – obwohl wir uns nicht alle immer mit Namen merken können. Da entstehen dann teilweise Spitznamen. Wenn ich sage »Mensch, Frau Bitterlemon war lange nicht da«, dann weiß jeder Kellner, dass ich die Dame meine, die immer an Tisch 107 sitzt und immer Bitterlemon trinkt.

»Es sind viele Ehen entstanden aus Leuten,
die sich hier zum ersten Mal getroffen haben.«

Sie und Ihr Mann – das war bestimmt nicht die einzige Liebesgeschichte, die sich hier entwickelt hat, oder?
Nein, da gibt es ganz viele. Letztens gab es eine schöne Situation, da kam ein Pärchen herein, beide über 80. Er mit Zylinder und sie in einem Glitzer-Abendkleid, obwohl es Nachmittag war. Kurz darauf kamen noch zwei junge Männer, die überall Fotos von den beiden gemacht haben. Ich habe nachgefragt, was denn da los sei. Daraufhin meinten sie, sie hätten in diesem Jahr ihren 50. Hochzeitstag und die Fotos seien für eine kleine Zeitung, die sie zu diesem Anlass machen. Die beiden hatten sich hier im Keese kennen gelernt, bei der Eröffnung vor 50 Jahren, sie haben geheiratet und sind bis heute zusammengeblieben. Für die Fotos haben sie sich an die Discokugel gestellt und er hat sogar ein bisschen getanzt. Die zwei waren super drauf. Es sind viele Ehen entstanden aus Leuten, die sich hier zum ersten Mal getroffen haben. Jetzt im Juli heiraten auch wieder welche, bei denen wir richtig mitbekommen haben, wie sie sich kennen gelernt haben. Das erste Date, die zweite Verabredung – sie haben uns gefragt »Wo sitzt er denn heute? Kann ich da in der Nähe sitzen?« Manchmal nimmt mein Mann auch selber die Sache in die Hand. Wenn er mit den Leuten redet, bekommt er viel von ihnen mit und dann kommt es vor, dass er sagt »Setz dich doch mal dorthin, das ist eine ganz Nette.« Also ein bisschen gekuppelt wird auch. Aber den meisten Leuten geht es hier nicht unbedingt um das Flirten – hier kommen Leute her, die vom Alltag abschalten wollen und die gerne tanzen.

Gibt es auch Liebesgeschichten, die nicht gut ausgehen?
Ja, natürlich. Wir haben hier wirklich schon ganz viel erlebt. Da gab es Eifersuchtsszenen, zum Beispiel über einen Tänzer und darüber, wie oft er nun mit wem tanzt und mit wem er wann telefoniert hat. Die Damen haben angefangen zu streiten, sich zu kratzen, zu hauen und sich an den Haaren zu ziehen. Sogar die Stühle wurden als Abwehrmittel genutzt. Da sind wir natürlich dazwischen gegangen und haben die beiden rausgebracht.

Ein paar Mal mussten wir auch schon jemanden »retten«. Ein Herr war bei uns zum Tanzen und wir haben gesehen, dass seine Ehefrau vorne hereinkam. Sie war schon sehr wütend und hat laut nach ihm gerufen. Wir dachten, ehe es hier eskaliert, sollen sie ihren Streit lieber zu Hause klären, also haben wir ihn hinten durch den Notausgang heimlich rausgelassen. Diskretion ist bei uns sehr wichtig. Wenn jemand anruft und fragt, ob ein bestimmter Herr oder eine bestimmte Dame heute da ist, sagen wir nichts. Wir wissen ja nicht, wer da am Telefon ist. Ist das jemand, der sich verliebt hat? Oder ist das jemand, der zu Hause auf seine Frau oder seinen Mann wartet? Hier dringt nichts nach außen.

»Hier verändert sich nichts. Wir haben sieben Tage in der Woche geöffnet und es sieht hier immer noch so aus wie bei der Eröffnung vor 50 Jahren.«

Wie ist das Publikum im Café Keese zusammengesetzt? Gibt es ein Stammpublikum?
Insgesamt haben wir pro Woche etwa 800 bis 900 Gäste. Früher, Anfang der 90er Jahre, waren es deutlich mehr, da hatten wir jede Woche bis zu 2000 Gäste. 70% davon sind Stammpublikum und darunter sind Singles und Ehepaare, junge Leute und alte – das kommt ganz auf die Veranstaltung an. Manchmal kommen sogar Seniorenheime zu uns. Die werden mit einem kleinen Bus hier vorgefahren. Meistens sitzen sie, weil sie sich nicht mehr so gut bewegen können, und schunkeln mit. Vor zwei Wochen kam eine ältere Dame her, sie muss inzwischen etwa 85 Jahre alt sein. Sie war über 40 Jahre hinweg immer wieder hier bei uns, immer mit ihrem Mann – deshalb kannten wir sie gut. Als ihr Mann verstarb, kam sie trotzdem weiterhin – immer am Montag zum Käsekuchen essen. Irgendwann haben wir gemerkt, dass es ihr immer schlechter ging, aber sie kam dann noch mit ihrem Rollator. Vor ein paar Monaten musste ihre Tochter sie in ein Pflegeheim geben, weil sie alleine nicht mehr zurechtkam, sie hatte Alzheimer – seitdem hatten wir sie nicht mehr gesehen. Vor zwei Wochen am Montag kam die alte Dame dann um halb acht Uhr abends mit einem Taxi, wir hatten schon fast geschlossen. Sie hat sich hier vorne hingesetzt und meinte, heute sei Montag, heute wolle sie tanzen. Sie war einfach abgehauen aus ihrem Pflegeheim, weil sie sich erinnert hatte, dass sie montags immer zu uns zum Käsekuchen essen kommt. Wir haben erst mal ihre Tochter angerufen, damit die sich keine Sorgen macht. Den Käsekuchen haben wir der Dame natürlich auch noch serviert. Und dann ist sie ganz glücklich mit ihrer Tochter wieder nach Hause gefahren. Das sind die Geschichten, bei denen man merkt, wie wichtig dieser Ort für manche Menschen ist und wie viel sie mit ihm verbinden. Es ist uns wichtig, dass die Leute wissen, auf das Café Keese kann man sich verlassen. Das ist natürlich auch eine Besonderheit bei uns: Hier verändert sich nichts. Wir haben sieben Tage in der Woche geöffnet – außer an Heiligabend – und es sieht hier immer noch so aus wie bei der Eröffnung vor 50 Jahren.

Eine Besonderheit in der Einrichtung sind natürlich die Tischtelefone. Wie werden sie genutzt?
Die Tischtelefone hat mein Vater 1992 installiert. Damals gab es einen richtigen kleinen Hype darum, wir waren »DAS Lokal mit den Tischtelefonen«. Man konnte von Tisch zu Tisch anrufen und musste nicht unbedingt aufstehen, zu jemandem hingehen und es riskieren, einen Korb zu kriegen. Man konnte erst mal vorsichtig per Telefon anfragen, ob er oder sie tanzen möchte. Eine ganze Weile wurden die Telefone gut genutzt, aber inzwischen sind es fast nur noch Touristen, die sie aus Neugier mal ausprobieren. Vor vier Jahren war die ganze Anlage kaputt und wir mussten uns überlegen, ob wir alle entfernen. Und dann haben wir eine ganze Stange Geld in die Hand nehmen müssen, weil wir gesagt haben, wir behalten sie. Irgendwie gehören sie dazu.

»Früher gab es Krawattenzwang. Da hat unser Portier an der Garderobe noch Krawatten verliehen – pro Abend 5 D-Mark.«

Die Tradition spielt hier wirklich eine große Rolle. Gibt es auch einen Dresscode?
Ja, der Dresscode ist sportlich-elegant. Die Kombination Turnschuhe und Jeans oder kurze Hose bei Männern ist am Wochenende eigentlich nicht gewollt, aber besonders junge Leute halten sich oft nicht daran. Am Dienstag lassen wir sie dann trotzdem mal bei uns reingucken – schließlich müssen sie ja auch erst mal sehen, was das Café Keese überhaupt ist  – und dann geben wir den Hinweis, dass sie das nächste Mal bitte etwas eleganter gekleidet kommen sollen. Früher gab es Krawattenzwang. Ohne Krawatte kam man hier überhaupt nicht rein. Da hat unser Portier an der Garderobe noch Krawatten verliehen – pro Abend 5 D-Mark. Das hat dann zwar nicht immer zum Outfit gepasst, aber zumindest kam man so rein.

Zur Zeit wird die neue Produktion der Staatsoper »Eine kleine Sehnsucht« hier geprobt. Was bekommen Sie von den Proben mit?
Nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, könnte das eine wahre Geschichte aus unserem Café Keese sein. Die Gäste, die Gespräche, das Kennenlernen, mitunter das Flirten – das spiegelt unser Leben wieder. Das Team ist großartig! Ralph Morgenstern, der in dem Stück als Kellner auftritt, könnte wirklich schon jahrelang hier bei uns arbeiten – das passt wie die Faust auf’s Auge.

Das Café Keese ist quasi direkt neben dem Schiller Theater. Mischt sich denn das Staatsopern-Publikum mit dem Keese-Publikum?
Nein, bisher leider nicht so viel. Gerade letzten Samstag kamen einige Leute nach der Opernvorstellung zu uns rein, nach dem Motto »Wir wollten mal gucken«. Vielleicht lag das schon an der Werbung für »Eine kleine Sehnsucht«. Darunter war ein Pärchen, vielleicht Mitte 50 und schön zurechtgemacht zum Ausgehen. Die haben sich ganz verlegen hier an den Stehtisch gestellt und meinten »Ne ne, wir gucken nur« und auf einmal sagte sie »Also, hier ist es schön – wollen wir was trinken?« Und das fand ich so toll, die hatten das Café Keese endlich mal kennen gelernt und dann sind sie auch wirklich lange geblieben und haben viel getanzt. Zum Abschied meinten sie, sie kommen wieder. Wir fänden es natürlich schön, wenn sich das Publikum noch mehr mischen würde. Vielleicht klappt das ja durch »Eine kleine Sehnsucht«.

Das Gespräch führte Leonie Stumpfögger

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