Die Zukunft leuchtet heller uns entgegen

Staatsoper Berlin - Tosca - Grafik: Kristine Jurjane

Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen über Tosca oder Eine weibliche Ästhetik des Widerstandes.

Reine Männersache ist in Puccinis Tosca der Kampf um politische Macht, der sich im römischen Kirchenstaat, vor dem Hintergrund von Napoleons Feldzug gegen Österreich im Juni 1800, abspielt. Die Titelheldin ist die einzige weibliche Stimme, die sich auf der Bühne Gehör verschafft. Weder die Königin, um deren Machtanspruch gekämpft wird, noch die Schwester des gestürzten Konsuls, die den Sturz der neapolitanischen Herrschaft bewirken will, treten in Erscheinung. Stattdessen steht Tosca im Zentrum jener erotischen Rivalität zwischen dem Polizeichef Scarpia und dem Maler Cavaradossi, welche, im Sinne einer privaten Widerspiegelung des öffentlichen Krieges, in den Vordergrund des dramatischen Geschehens rückt.

Der Kampf ist zugleich und in mehr als einem Sinn eine nächtliche Affäre. Am Ende des Tages, an dem die Bevölkerung Roms aufgrund einer falschen Nachricht die Niederlage des französischen Heeres in der Schlacht bei Marengo feiert, eilt der aus der Engelsburg geflohene Angelotti in die Kirche Sant’Andrea della Valle. Dort hat die Attavanti hinter dem Altar ihrer Kapelle Frauenkleider versteckt, damit ihr Bruder auf der Flucht nicht erkannt wird. Als Frau verkleidet sehen wir den für politische Freiheit einstehenden Mann jedoch nie. Ein Kanonenschuss vom Kastell kündigt an, man habe sein Entkommen bereits entdeckt. So verlässt er zusammen mit seinem Waffenbruder Cavaradossi, der dort an einem Gemälde arbeitet, die Kirche. Der eine wird sich noch in dieser Nacht angesichts der Vereitelung seiner Fluchtpläne das Leben nehmen, der andere hinterhältig bei Morgengrauen erschossen.

Nächtlich ist dieser Wettstreit jedoch auch, weil er die dunkle Kehrseite einer auf Polizeigewalt basierenden Politik offenlegt. Der plötzliche Auftritt Scarpias mit seinem Trupp lässt das ausgelassene Lachen des Mesners und seiner Geistlichen ob des vermeintlichen Sieges über Napoleon sofort erstarren. Während diese die Bühne verlassen, um sich für das Te deum vorzubereiten, setzt der Polizeichef mit Tosca, die auf der Suche nach ihrem Geliebten nochmals erschienen ist, jene Intrige in Gang, welche im zweiten Akt in einem grausamen Verhör münden wird. Das glänzende Fest, auf dem Tosca zu Ehren der Königin Maria Carolina eine Kantate singt, bildet lediglich den Hintergrund für die Erpressung, welche Scarpia einzusetzen bereit ist, um seine politischen Gegner zu vernichten. Doch am skrupellosen Einsatz von Folter wird auch deutlich, dass die Nachtseite des Gesetzes keine eindeutige Unterscheidung zwischen erduldendem Opfer und selbstbemächtigtem Handeln erlaubt. Ist Floria Tosca der Star jener Galagesellschaft, mit der nicht nur der Sieg über Napoleon gefeiert, sondern auch die Staatsgewalt, auf der die politische Macht der neapolitanischen Herrscher basiert, ausgeblendet werden soll, sorgt die berühmte Sängerin auch dafür, dass unser Blick, auf das gerichtet wird, was sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit abspielt, und in ihr die einzig valable Position des Widerstands erkennt.

Weil sich Toscas Leidenschaft der Vernunft eigensinnig widersetzt, erscheint sie Scarpia nicht nur als geeigneter Spielball seiner dunklen Machenschaften. Den Umschwung der Gefühle, den sie im Zuge ihrer Konfrontation mit seiner Polizeigewalt vollzieht, stellt auch eine Szene gegenseitiger Verführung zur Schau, in der sich die Grenze zwischen privatem Begehren und öffentlicher Auflehnung verflüchtigt. Verweigerung aus Liebe bietet ihr die einzige Möglichkeit, sich inmitten dieses Männerbundes der Macht zu behaupten. Dabei ist die Eifersucht, mit der sie Cavaradossi traktiert, mehr als nur die exaltierte Allüre einer Operndiva. Sie irrt sich lediglich in der Figur, die sie als Störung bezichtigt, und nicht darin, dass sie einen Rivalen hat. Cavaradossi schwört, seine Liebe gelte in aller Ewigkeit nur Tosca als Entschuldigung dafür, dass er die Attavanti als Vorbild für seine Maria Magdalena gewählt hat. Dabei verschweigt er seine Liebe zu deren Bruder, für den er ohne Bedenken sein Leben zu opfern bereit ist.

Wie so viele Heldinnen des 19. Jahrhunderts ist Tosca der Einsatz in einem Spiel, welches Scarpias uneingeschränkte Macht widerspiegeln und bestätigen soll.

Scarpias Einsatz des Fächers der Attavanti ruft Shakespeares Iago in Erinnerung. Würde in Tosca der ihr eingeflößte Verdacht keinen Widerhall finden, bliebe seine List wirkungslos. Auch sein Wortgift kann nur deshalb ihre Eifersucht schüren, weil der visuelle Beweis ihr jenes Wissen um die Fragilität ihrer Liebe, welches sie direkt nicht annehmen will, als Verdächtigung Cavaradossis Treue auszudrücken erlaubt. Doch wenn er ihr nachruft: »Geh, Tosca! Dir im Herzen nistet Scarpia«, lässt dies nicht nur danach fragen, wie es ihm gelungen ist, sich in ihrem Herzen festzusetzen. Es lenkt auch Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen dieser Transplantation gefährlicher Regungen. Die Komplizenschaft, die sich im Dunkeln der Kirche plötzlich aufgetan hat, lässt mehr als nur Toscas Ambivalenz der Gefühle gegenüber ihrem Geliebten erkennen. Einmal im Herzen der berühmten Sängerin aufgenommen, kann dieses Gift auch den Adressaten ändern.

Komplizenschaft zeichnet sich zudem dadurch ab, dass auch Tosca in Scarpias Herzen Eingang gefunden hat. Er mag sich zwar für den Verführer halten, weil er ihre Eifersucht zu instrumentalisieren weiß, erweist sich aber zugleich als der Verführte. Offen gesteht er die doppelte Beute, die er begehrt: »das Haupt des Rebellen und die schöne Tosca«. Dabei verwischt seine Überzeugung, die Hinrichtung des Feindes würde ihm die Liebe der berühmten Sängerin sichern, die Grenze zwischen öffentlichem Interesse und privatem Begehren. Wird der politische Gegner von Scarpia als romantischer Rivale begriffen, wird zugleich deutlich, dass seine grausame Liebeswerbung politische Züge enthält. Sein Plan, Tosca zu besiegen statt ihr nur zu erliegen, macht aus einem privaten Anliegen einen militärischen Akt. Die Schönheit, die zu Ehren der Königin eine Kantate singt, und der Kirchenstaat, den Scarpia mit allen Mitteln in seiner Gewalt behalten will, sind austauschbar. Tosca zu besiegen hieße sowohl einen erotischen wie politischen Kampf gewonnen zu haben. Wie so viele Heldinnen des 19. Jahrhunderts ist Tosca der Einsatz in einem Spiel, welches Scarpias uneingeschränkte Macht widerspiegeln und bestätigen soll. Die Reduktion der Frau auf eine durch List zu gewinnende Beute erweist sich jedoch als gefährliche Verblendung. Diese bezieht in die Berechnung nicht ein, dass Tosca als eine eigenständige Person ihr Schicksal selbst zu bestimmen beansprucht.

Adolfo Hohensteins Plakat zur Uraufführung von Giacomo Puccinis »Tosca« (1900)
Adolfo Hohensteins Plakat zur Uraufführung von Giacomo Puccinis »Tosca« (1900)

Spät in der Nacht entpuppt sich das obere Stockwerk des Palazzo Farnese als zweite Bühne, auf der — vor dem Hintergrund von Napoleons militärischer Kampagne — jede Handlung nur kämpferisch sein kann. Der rebellische Maler, die berühmte Sängerin und der Polizeichef sind zwar in einem privaten Liebesdreieck gefangen, behaupten sich aber zugleich als öffentliche Figuren in einem politischen Spiel. Die Folter, die Tosca an den Schreien ihres Geliebten mitbezeugen muss, wird nicht nur als dunkle Seite jener Staatsmacht dargeboten, welche zeitgleich in den unteren Räumen des Palazzo als Festakt prunkvoll zur Schau gestellt wird. Auf dieser klandestinen Bühne wird auch die Schlacht um Marengo als Zweikampf zwischen Scarpia und Cavaradossi re-inszeniert. In dem Augenblick, in dem der Maler Tosca verflucht, weil sie sich seinem Sprech-Verbot widersetzt und das Versteck des verfolgten Konsuls preisgegeben hat, erhalten wir die Botschaft von der Niederlage und Flucht des Heerführers Melas. Mit seinem Gesang über die Freiheit reiht Cavaradossi sich in Gedanken bereits übermütig in die Reihen des siegreichen Napoleon ein.

Dass auf dieser Bühne nicht Cavaradossis Seite, sondern die Scarpias Gewinnerin bleibt, weist nicht nur darauf hin, dass die systemische Staatsgewalt vom Ausgang einzelner Schlachten nicht tangiert wird. Es eröffnet auch jene zweite Schlacht, in deren Folge Tosca sich einen Passierschein erbeutet, der ihr und ihrem Geliebten erlauben würde, aus dem Kirchenstaat zu fliehen, bevor sie Scarpia statt der Liebesnacht, die er sich erkämpft zu haben glaubt, einen tödlichen Messerstoß in die Brust gibt. Ungeduldig blickt sie auf den gefallenen Körper ihres Peinigers und ruft ihm wiederholt zu, »stirb doch«. Entscheidend an dem Widerstand, den Tosca mit diesem Tyrannenmord zur Schau stellt, ist jedoch nicht nur der Umstand, dass er das politische System nicht umstürzen wird. Vielmehr lässt er sich als tragische Selbstbehauptung in einem doppelten Sinn verstehen. Ist Tosca für Scarpia der Einsatz, an dem eine politische Intrige sich mit einer erotischen verschränkt, spielt sie in der Freiheitsfantasie ihres Geliebten keine tragende Rolle. In den Fluchtversuch Angelottis nicht eingeweiht, wird sie nur zufällig Zeugin seines Verstecks, weil sie aus Eifersucht zur Villa Cavaradossis geeilt ist. Der Befehl ihres Geliebten, während seinem blutigen Verhör zu schweigen, nimmt ihr zudem nicht nur die Stimme, sondern auch die an dieser verhandelten Handlungsbefähigung. Auf Toscas Bitte, er solle ihretwillen nicht weiter den Märtyrertod heraufbeschwören, hört er nicht, ist sein romantisches Begehren doch von seinem politischen Aufbegehren klar getrennt.

Aus Toscas Position betrachtet, erscheint die Auflehnung, die sie im Obergeschoss des Palazzo Farnese vorführt, weit ambivalenter. So taktisch unklug ihre eigensinnige Eifersucht auch sein mag [führt diese doch zur Verhaftung der beiden Verschwörer], so sehr bringt sie ein Widersprechen zum Ausdruck. Der agitatorischen Begeisterung, welche ihren Geliebten mit dem verfolgten Konsul verbindet, verweigert sie sich und beharrt stattdessen auf ihrer Forderung nach privatem Liebesglück. Diese blendet das Politische jedoch nicht aus, sondern bietet eine Antwort darauf, dass sie als Frau, auf ihre Schönheit reduziert, von der männerbündlerischen Intrige ausgeschlossen bleibt. Man könnte die Vermutung aufstellen: Vielleicht verrät sie das Versteck Angelottis nicht nur deshalb, weil sie die Folterszene nicht länger ertragen kann, sondern auch, weil sie sich anders als in der von Cavaradossi ihr zugewiesenen Rolle ins Spiel bringen will. Sie lässt sich vom Geliebten die Stimme nicht nehmen, will nicht lediglich mit ihrem Schweigen dessen mutigen Freiheitsfuror bezeugen.

Doch sie nimmt auch nicht die Rolle der verlorenen Frau an, die, um den Geliebten zu retten, einen ihr widerstrebenden Liebespakt eingeht. Die Mordszene, die sie so unerwartet zur politischen Diva werden lässt, zeugt von einer Auflehnung in zwei Richtungen. Tosca widersetzt sich dem lüsternen Scarpia und schaltet sich zugleich als aktiv Handelnde in das Freiheitspiel des Malers ein. Sie vollzieht jene Tat, von der er nur singt, stellt als einzige in dieser Nacht erfolgreich im Palazzo Farnese den Sieg Napoleons nach. Ihre stolze Behauptung, »ein Weib hat ihn getötet«, unterstreicht, dass dieser Widerstand geschlechtsspezifisch zu verstehen ist. Vom politischen Kampf zwischen Männern ausgeschlossen, steht sie weder auf der einen noch der anderen Seite. Sie eröffnet eine weitere Front, von der aus sie — einem Tarnkappenbomber vergleichbar — so erfolgreich kämpfen kann, weil der Tyrann sich gegen eine Gefahr, die er nicht kommen sieht, weil er Tosca eine Bedrohung nicht zutraut, auch nicht zur Wehr setzen kann. Der Messerstoß bringt für Scarpia eine Anagnorisis, die ihn anzuerkennen zwingt, wie sehr er sich in dieser Frau geirrt hat. Die gefährliche Leidenschaft, die er zu seinem Gewinn einsetzen wollte, hat sich gegen ihn gewandt. Bestraft wird er nicht nur für seine sadistische Gewaltlust, sondern auch dafür, dass er, indem er die schöne Sängerin ausschließlich als Spielball seiner Machtintrige behandelt hatte, er sie als eigenständigen Menschen nicht anzuerkennen bereit gewesen war.

Verweigerung aus Liebe bietet ihr die einzige Möglichkeit, sich inmitten dieses Männerbundes der Macht zu behaupten.

Wenn Tosca für sich nur die Rolle der Liebenden zulässt, die aus Eigensinn den Geliebten mehrfach verrät und den Widersacher im Affekt tötet, verfolgt sie damit nicht nur ein romantisches Interesse. Sie bringt auch eine partikulare politische Haltung zum Ausdruck. Sie lässt sich von keiner Seite vereinnahmen, hält radikal am eigenen Begehren fest, kämpft ausschließlich in eigener Sache. Sie macht aus einem Laster — der Eifersucht — eine Tugend: den Widerstand gegen jegliche Tyrannei, die ihr eigenständiges Handeln abspricht. Sie besteht darauf, Regisseurin jenes Dramas zu sein, in welches sie von den gegnerischen Männern anfänglich unwillentlich hineingezogen worden war, und koste es ihr Leben.

Am Ende der Oper kündigt das Morgengrauen keine neue politische Ordnung an. Scarpia ist zwar tot, doch sein Polizeisystem operiert intakt weiter, obgleich Tosca, mit ihrem Geliebten ein letztes Mal vereint, verkündet: »die Zukunft leuchtet heller uns entgegen«. Noch einmal meint sie, in das Geschehen eingreifen zu können, inszeniert ein Spiel falscher Hoffnungen und gibt Cavaradossi genaue Bühnenanweisungen, wie er den Erschossenen zu spielen hat, damit es echt wirkt. Und noch einmal wohnt sie ungeduldig einer Sterbeszene bei, ruft auf die gleiche Weise, wie sie es bei Scarpia tat: »nun stirb doch«. Die unheimliche Wortwahl zeigt, wie ambivalent bis zum Schluss ihr Widerstand bleibt. Stellt sie für einen Augenblick [und sei es nur unbewusst] den Geliebten dem Widersacher gleich? Will sie sein Überleben? Oder hat sie bereits begriffen, dass eine Wahl zwischen Freiheit und Tod nur einer falschen Wahl entsprechen kann? Auf Spolettas Drohung »Tosca, für das Leben Scarpias wirst du büßen!« antwortet sie, indem sie seinen Satz aufgreift: »Mit dem meinen! O Scarpia, uns richtet Gott«.

Man kann diese Wahl fatalistisch deuten, als erschütternde Einsicht, dass in einem totalitären Machtsystem der Freitod eine radikale Geste politischer Freiheit signalisiert. Für den spezifisch weiblichen Widerstand bezeichnend ist jedoch, dass Tosca bis zum Schluss als Spielleiterin ihres Dramas auf der Bühne steht: diejenige, die  a l s W e i b  dem Tyrannen das Leben nahm und nun sich selbst zum Einsatz eines Vergeltungsaktes deklariert. Zuerst dem Tyrannen und dann sich den Tod geben bedeutet  einen doppelten Sieg. Scarpia stirbt nicht nur durch ihre Hand, sondern Tosca widersetzt sich auch jeglicher irdischen Gerichtsbarkeit. Es mag zwar sein, dass der Kampf um die Staatsgewalt in Puccinis Oper Männersache ist, doch den entscheidenden politischen Akt, der uns auf der Bühne dargeboten wird, führt Tosca aus. Sie hat zudem das letzte Wort, welches durch den Sturz von der Engelsburg begleitet, in seiner Autorität erhöht wird. Zwar vereitelt dieser Sprung jeglichen Anschluss an zukunftsträchtiges politisches Handeln, zugleich jedoch zementiert der Ruf, mit dem Tosca ihn begleitet, jene schillernde Geste des Widerstands, für die sie eingestanden ist. Die Bühnenanweisungen sehen vor, der Vorhang habe schnell zu fallen. Vor dem erstarrten Blick der Polizei verflüchtigt sich die Tyrannenmörderin im Nichts. Jeder nachträgliche Urteilsspruch ist irrelevant. Stattdessen triumphiert eine zwischen Ertönen und Erlöschen in der Schwebe gehaltene Stimme als fragiles Sinnbild des Aufbegehrens.

Diesen Beitrag findet ihr auch in Staatsoper – Das Magazin No. 1

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