»Eben war ich noch der Mittelpunkt und jetzt?«

Comeback - Foto: Thomas M. Jauk

Die letzte Spielzeit in der Werkstatt des Schiller Theaters eröffnet am Freitag die Uraufführung von »Comeback«, einem Musiktheaterwerk von Schriftsteller Christoph Hein und Komponist Oscar Strasnoy. Den Hintergrund des Librettos von »Comeback« bilden die Biografien von Tilla Durieux und Emil Jannings, die in den 1910er- und 20er-Jahren große Erfolge als Schauspieler feierten. Beide Figuren reflektieren am Ende ihres Lebens über einschneidende persönliche Ereignisse vor und nach 1933. Dramaturg Roman Reeger hat den Entstehungsprozess der Produktion und die beiden zentralen Figuren beleuchtet.

In dem als Auftragswerk für die Staatsoper Berlin entstandenen Musiktheater setzen sich Christoph Hein und Oscar Strasnoy mit zwei großen Schauspielerbiografien auseinander, deren Verläufe durch die Herrschaft der Nationalsozialisten unterschiedliche Wendungen nahmen. Doch geht es um mehr, als um die historisch-künstlerische Aufarbeitung jener Biografien. Beide Protagonisten verbindet ein eigenartiges Gefühl von Sehnsucht, als Resultat der Entfremdung von ihrer eigenen Zeit. Die Struktur von »Comeback« entspricht, analog einer filmischen Dramaturgie, dem Prinzip des Parallel-Schnitts. Beide Szenerien folgen einer Erinnerungsstruktur. Tilla findet sich auf einer verlassenen Bühne wieder. Gedanken kreisen, Erinnerungen an ihren Aufstieg zum Bühnen-Star, den »tout Berlin« kannte, an die Flucht aus Deutschland, die späte Rückkehr und nicht zuletzt an die Beziehung mit Paul Cassirer, dessen eitler Selbstmord nicht nur ihre Scheidung verhinderte, sondern ebenso dafür sorgte, dass das »Gespenst Paul« für Tilla allgegenwärtig blieb. Auf der anderen Seite sieht sich auch Emil Jannings mit seinen Geistern konfrontiert. Kurz nach Ende des Krieges als Mitläufer klassifiziert mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt, bekommt Jannings Besuch von seinem Neffen Jörg, der ebenfalls den Beruf des Schauspielers ergreifen möchte. Doch die Charaktermaske Jannings existiert auch ohne die Möglichkeit der öffentlichen Bühne. Auf die kritischen Nachfragen Jörgs, ob er denn nicht gewusst habe, was in Deutschland passierte, reagiert Jannings nicht mit Leugnung, sondern mit einem Plädoyer, in welchem er dem Schauspielersein die moralische Charakterlosigkeit voraussetzt, zugleich lägen die Schrecken der Menschheit bereits in den Schurkenfiguren des Danton, Friedrich und Kreon offen zutage. Jannings steht somit stellvertretend für eine ganze Generation von Schauspielern, die die großzügigen Filmprojekte des NS-Propagandaministeriums für ihren eigenen Vorteil nutzten. Der argentinische Komponist Oscar Strasnoy entwickelt einen individuellen Blick auf den Text Christoph Heins, dessen Figuren immer wieder den Wirkungen geschichtlicher Prozesse gegenüberstehen. Schlaglichtartig beleuchtet Strasnoy die einzelnen Szenen als Stationen der Erinnerung und lässt dichte musikalische Atmosphären entstehen. Für den ursprünglich monologischen Text der Tilla entwickelte der Komponist eine Doppelstruktur für eine sprechend-singende Schauspielerin/Sängerin sowie einen hohen Sopran. Zudem erhält auch der verstorbene Paul eine Stimme (Bariton). Überhaupt steht die Stimme im Zentrum von Strasnoys Musiktheater: Sei es die bemerkenswerte stimmliche Agilität der Janningsfigur, der chansoneske Alt Gussys oder der prägnante, spielerisch zwischen den Lagen springende Countertenor des Jörg. Doch dient die avancierte Ausgestaltung der Vokalpartien nicht nur der individuellen Charakterisierung der Figuren, sie zeichnet zugleich den atmosphärischen Zustand eines Lebensgefühls der 1920er Jahre, welches nicht selten als »Tanz auf dem Vulkan« beschrieben wurde. Zwischen zwei Weltkriegen entwickelte sich Berlin zu einer Metropole der Avantgardisten, des Varietés und Cabarets. Die Entwicklungen der frühen Moderne hatten Fahrt aufgenommen. Der später vom Tonfilm abgelöste Stummfilm gilt als massentaugliches Gesamtkunstwerk, die Künstler der Berliner Secession sowie die Expressionisten sorgten für Skandale und die neue Musikrichtung Jazz etablierte sich in den Nachtclubs. Hiervon zeugen auch die zahlreichen Referenzen und unterschiedlichen Genreanleihen der Partitur sowie die Timbres des  Instrumentalensembles, das die Erzählungen der Figuren verlängert, bricht oder kommentiert.

 

Tilla Durieux

— Einst gehörte Tilla Durieux, die 1880 in Wien als Ottilie Godeffroy geboren wurde, zu den berühmtesten und gefragtesten Schauspielerinnen der späten Kaiserzeit und der Weimarer Republik. 1903 wurde sie von Max Reinhardt an die von ihm geführten Berliner Bühnen engagiert und wird für ihre Darstellungen der Lady Milford in Schillers »Kabale und Liebe«, Salome von Oscar Wilde und in den Stücken Frank Wedekinds gefeiert. Durch die skandalumwitterte Beziehung zu dem Verleger und Galleristen Paul Cassirer, der als wichtiger Vertreter der Berliner Secession, der Maler wie Max Beckmann, Wassily Kandinsky und Ernst Barlach angehörten, und Förderer der frz. Impressionisten ein Dorn im Auge Wilhelms II. war und als Dandy und Lebemann galt, geriet Tilla zunehmend ins Visier der Berliner Klatschpresse. Schnell verkomplizierte sich die Beziehung zu Cassirer, dessen launisches und egoistisches Verhalten in regelmäßigen Abständen zu heftigen Streits führte. Ihren dramatischen Höhepunkt erlebt die Ehe 1926, als sich Paul Cassirer, kurz vor Abschluss des Scheidungsvertrags in einem Nebenzimmer des Gerichtsgebäudes mit einer Pistole das Leben nimmt. Vier Jahre später heiratet Durieux den Brauereidirektor Ludwig Katzenellenbogen, mit dem sie kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 die Flucht in ihr jugoslawisches Exil nach Zagreb unternimmt. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht und der Verhaftung ihres jüdischen Ehemanns – Ludwig stirbt zwei Jahre später in Haft – schließt sich Durieux verschiedenen Widerstandsgruppen an. Auch nach Ende des Krieges bleibt sie in Zagreb und arbeitet als Näherin am dortigen staatlichen Puppentheater. 1952 kehrt sie erstmals für ein Gastspiel nach Berlin zurück und erhält in den Jahren darauf zahlreiche Ehrungen. Bis ins hohe Alter ist sie in verschiedenen Produktionen in der gesamten Bundesrepublik zu sehen. Kurz vor ihrem 90. Geburtstag erhält sie ihr letztes Engagement am Staatstheater Wiesbaden. 1971 stirbt Tilla Durieux in Berlin.

 

Emil Jannings

— Obwohl ihm seine Eltern die Schauspielkarriere verboten, schloss sich Emil Janenz, der seinen Nachnamen später in Jannings umändern ließ, 1901 verschiedenen Wanderbühnen an und spielte an zahlreichen deutschsprachigen Theatern. 1915 erhielt er ein Engagement am Deutschen Theater Berlin, wo er in der Regie von Max Reinhardt zu sehen war. Ein Jahr später begann die Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Ernst Lubitsch, der den Jahren zuvor ebenfalls am Deutschen Theater engagiert war. Der aufkommende Stummfilm beschert Jannings erste große Erfolge, vor allem in Lubitschs Historiendramen konnte er sich auf der Leinwand als Charakterdarsteller profilieren. 1919 gelang es ihm mit der Rolle des Louis XV. in »Madame Dubarry«, auch international auf sich aufmerksam zu machen. Auf der Bühne war Jannings 1918 am Königlichen Schauspielhaus Berlin zu sehen und feierte mit seiner Darstellung des Dorfrichter Adam in Heinrich von Kleists »Der zerbrochene Krug« einen beachtlichen Erfolg. In den »Goldenen Zwanzigern« der Weimarer Republik wird Jannings zu einem der bedeutendsten Filmschauspieler. Es ist das Animalische, Ungezügelte, mitunter auch Schockierende seiner Darstellungen, die das Publikum in seinen Bann zieht. Auch die Kritik überschlug sich vor Begeisterung und nannte Jannings »Beinahe ein Vieh« oder bezeichnete ihn als »menschgewordenen Rülps«. 1926 holte ihn das Paramount Studio nach Hollywood, wo er eine stattliche Wochengage bekam und in einer Luxusvilla am Hollywood Boulevard residierte. 1929 erhielt er bei den erstmals verliehenen Academy Awards den Oscar als bester Schauspieler. Dennoch verließ er die USA, wo sich der Tonfilm nach und nach durchsetzte, noch im selben Jahr und kehrte nach Deutschland zurück. 1930 gelang ihm mit »Der blaue Engel« an der Seite von Marlene Dietrich ein Welterfolg. Sein ausufernder Lebensstil und ausbleibende profitable Engagements führten zu finanziellen Sorgen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten weigerte sich Jannings, aus Deutschland zu emigrieren. Zudem hatte er in Reichspropagandaminister Joseph Goebbels einen erklärten Bewunderer. Dieser ernannte ihn nicht nur zum Staatsschauspieler, sondern verschaffte ihm auch zahlreiche Hauptrollen in Propagandafilmen. Nach 1945 wird Jannings von den Alliierten aufgrund seiner Nähe zum nationalsozialistischen Führungsstab mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt. In materiell abgesicherten Verhältnissen lebt Jannings mit seiner Frau, der in den 1920er Jahren durch ihre Chansons bekannt gewordene Gussy Holl, die sich aufgrund des Berufsverbots ihres Mannes ebenfalls weigerte aufzutreten, in seinem Haus in Strobl am Wolfgangsee. 1950 stirbt Jannings an den Folgen einer Krebserkrankung.

 

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