Fluxus Reloaded

Foto: Vincent Stefan

Seit 11 Tagen steht die Werkstatt ganz im Zeichen von »Fluxus reloaded«. Nur noch diese Woche könnt ihr Karlheinz Stockhausens »Originale« und das Happening-Konzert (F)LUX:NM mit dem Ensemble LUX:NM, inszeniert von Sofia Simitzis, beim Festival sehen.

Für den Blog hat Frauke Seebass, die momentan als Hospitantin im Pressebüro arbeitet, einen historischen Blick auf die Fluxus-Bewegung geworfen.

»Wenn Du es definieren kannst, ist es kein Fluxus«

Plötzliche laute Schreie durchbrechen an einem sonnigen Dienstag die Betriebsamkeit unseres Büroalltags hier im Schillertheater. Es folgt rhythmisches Klatschen, schließlich kakophonische Symphonien, gespielt auf Alltagsgegenständen statt Instrumenten. Passanten blieben stehen und knipsten die buntbemalten und teils kurios kostümierten Gestalten, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließen. Elektronische Beats kamen hinzu, schienen aber eher gegen das Ensemble zu spielen als mit ihm. »Das ist Kunst, muss man nicht verstehen«, proklamierte eine Touristin. Tatsächlich: Es ist Kunst, es ist eine Verbeugung: Es ist Fluxus!

In diesem Jahr steht das zweiwöchige Festival INFEKTION! unter dem Motto »Fluxus reloaded« und zollt dem  avangardistischen Sprössling der 1960er Jahre in dieser Zeit höchsten Tribut. Den Startschuss setzte am Samstag, 13. Juni »Originale« nach Karlheinz Stockhausen. Ab dem 16. Juni folgten »Europeras 3 & 4« nach John Cage, am 26. und 27.6. »(F)LUX : NM« von Sophia Simitzis, sowie Sound- und Performanceinstallationen, ein Symposium am 20.6. und begleitend die »Sisyphotische Sykomoren Symphonie« von Thomas Goerge, jeden Abend um 18 Uhr für die Dauer des Festivals vom 13. bis 27. Juni 2015.

Fluxus, das heißt fließend, flüssig, vergänglich: Ein Angriff auf das Kunstverständnis vorangegangener Generationen, gegen das Kunstwerk als Büste der Pandorra, dessen Zweck sich im gleichmäßigen Einstauben vor grauer Fassade erfüllt. Die Staatsoper schließt sich damit der Reihe Berliner Kunsthäuser an, die in diesem Jahr den modernen Bewegungen der 1950er bis 70er Jahre huldigt, wie die Installation »Zero« im Martin-Gropius-Bau und die Berlinische Galerie mit der aktuellen Ausstellung »Radikal Modern«.

Der Ausspruch im Titel entstammt übrigens dem amerikanischen Dichter und Fluxus-Mitbegründer Emmet Williams, verstorben 2007. Ebenfalls aus seiner Feder ist der Satz »Das Leben ist ein Kunstwerk, und das Kunstwerk ist Leben«, der ihm als Leitmotiv seiner Arbeit diente. Aktionismus, Schöpfungskraft stehen im Vordergund, das Gemeinsame gegen das Elitäre, den »bürgerlichen Fetisch«. Nationale Grenzen verschwimmen ebenso wie diejenigen zwischen Mensch und Tier, Lebendigem und Objekt – zwischen Publikum und Bühne.

Keine Definition also. Aber sprechen wir von einem Fluss, so lassen sich im Treibgut doch bekannte Elemente finden. Natürlich die große Schwester Dada, aber auch die aus Japan stammende minimalistische Form des Gedichts namens Haiku lässt sich als Fossil unter anderem im Wortgestein Williams’ wieder finden. Wobei, Gestein hemmt wieder den Fluxus. Einigen wir uns auf Sollbruchstellen.

Emmett Williams: LIKE ATTRACTS LIKE aus Selected Shorter Poems (1950-1970)
Emmett Williams: LIKE ATTRACTS LIKE aus Selected Shorter Poems (1950-1970)

Vaudeville, das beliebte und wechselhafte Unterhaltungstheater des 19. und 20. Jahrhunderts, gilt als Vorbild vieler Fluxus-Performances. Der Theaterkultur der Bewegung wird diese Beschreibung allerdings mitnichten gerecht, und die Bedeutung des Titelzitats wird deutlich wie nie, wenn man Yoko Onos Darstellungskunst, in der sie unter anderem das Publikum zum Zerschneiden ihrer Kleider aufforderte, beispielsweise mit der Arbeit des niederländischen Fluktuisten Wim T. Schippers unter einen Hut zu zwängen versucht.

Schippers und sein Talent, Themen wie Langeweile und Verwirrung mit ungeahntem Humor massentauglich zu machen, gipfelte unter anderem 1963 im Ausschütten einer Flasche Limonade in die Nordsee vor versammelter nationaler und internationaler Presse, der er eine große Performance versprochen hatte. Ein weiterer Grundsatz des Fluxus lautet: Das Alltägliche in einem entfremdeten Kontext völlig neu erlebbar zu machen. Und dabei das Absurde zu feiern in einer dauernden Symbiose aus Inspiration und Wahnsinn.

Denn gerade durch diese Transformation wird verdeutlicht, wie durch Kontextverschiebung Alltägliches vollkommen neu interpretier- und begreifbar wird. Anekdoten gibt es viele, wo es an Beschreibbarkeit fehlt. Was nicht heißt, dass die Bewegung nicht ernst genommen wird. Große Namen wie Joseph Beuys und John Cage verzeichnet sie unter ihren Anhängern. Cage beispielsweise prägte die Fluxus-Festspiele in Wiesbaden 1962 mit einem fast fünfminütigen Klavierstück, bei dem nicht eine einzige Taste benutzt wurde. Und Schippers erlaubte man etwa, den Bodes des durchaus respektablen Centraal Museum in Utrecht gänzlich mit Erdnussbutter einzuschmieren  – gegen fürstliche Bezahlung versteht sich.

John Cage: SONATAS AND INTERLUDES, 1948
John Cage: SONATAS AND INTERLUDES, 1948

Fluxus, das bedeutet auch das Fehlen von Anfang und Ende, häufig gar von Ziel. Eine Performance selbst und deren Dokumentation bieten neues Material, Reaktionen sind ebenso Teil der Darstellung wie im Vorfeld Geschriebenes und öffnen den Blick für neue Möglichkeiten; die Unberechenbarkeit öffnet Türen, derer sich auch der Künstler selbst bis dato nicht bewusst war.

Kunst, so postuliert Fluxus, ist nicht passiv. Sie bedeutet immer auch Konfrontation. Vieles, was statisch erscheint, ist doch nur gesellschaftliche Konvention, Trennungen entstehen allzu oft willkürlich – besonders im Theater. Perfekt geschminkt auf die Bühne kommt nun mal nur der, der im Vorfeld perfekt geschminkt wurde. Ein Raum kann sich verändern, ebenso ein Figur. Wir erleben die Wirklichkeit als arbiträr, warum also sollten wir die Kunst ordnen? Man muss auch andere Welten zulassen, um Möglichkeiten erlebbar zu machen.

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