Hörtipps »Die Meistersinger von Nürnberg«

Auf eine Kaffee mit der Dramaturgie - Die Meistersinger von Nürnberg

Rechtzeitig zur großen Eröffnungspremiere am Wochenende hat Dramaturg Detlef Giese wieder einige Tipps für euch zusammengestellt – viel Spaß beim Lesen! :)

Ein Zitat, ein Zitat! Nein, nein, nicht von Frau Berta Panislovski aus Mässatschusetz, sondern von irgendjemandem Bekannten, gleichsam Prominenten. Gerne von Goethe, das geht immer. Oder natürlich von Schiller. Erinnert ihr euch noch, als wir, weiland vor fünf Jahren, das hiesige Theater bezogen, es quasi aus dem Dornröschenschlaf wach küssten? Da prangte draußen an der Glasfront, als Blickfang für die Passanten der damals nur wenig wirtlichen Bismarckstraße, ein Banner mit der Aufschrift »Ich hatte immer ein gewisses Vertrauen zur Oper.« Schön pointiert wirkt diese Aussage, die man im Übrigen in einem Brief an Compagnon Goethe vom 29. December 1797 finden kann. Schiller singt hier ein Lob der Oper, die über Gaben verfüge, wie sie keine andere Kunstform für sich beanspruchen könne. Weiter geht es nämlich so: »Die Oper stimmt durch die Macht der Musik und durch eine freiere harmonische Reizung der Sinnlichkeit das Gemüth zu einer schönern Empfängnis; hier ist wirklich auch im Pathos selbst ein freieres Spiel, weil die Musik es begleitet, und das Wunderbare, welches hier einmal geduldet wird, müßte nothwendig gegen den Stoff gleichgültiger machen.« Das ist doch mal ein ästhetisches Statement! Erschließt sich vielleicht nicht gleich beim ersten Lesen, aber dafür ist Geschriebenes ja auch da, um gebührlich reflektiert zu werden.

Ein weiteres eindrückliches Schiller-Zitat sollte man nicht vergessen. Sein Wortlaut: »Und das Schöne blüht nur im Gesang«, dem Gedicht »Der Antritt des neuen Jahrhunderts« von 1801 entnommen. Wie das Opern-Vertrauen ziert auch dieser Spruch eines der inzwischen legendären Tie-Schörts, die in regelmäßigen Abständen aus der Staatsoper in die Welt hinaus gelangen. In edlem, schickem Schwarz, der Schriftzug in immer anderen Farben und Formen – das scheint das Erfolgsrezept zu sein. In- wie extern sieht man jedenfalls Menschen in jenes Tuch gewandet, mit einer in auffälligem Weiß glänzenden Nummer auf dem Rücken und einer zweifellos bedenkenswerten Weisheit auf der stolz geschwellten Brust. Das Stück mit der Vier ist mir persönlich besonders lieb: »Any Questions?« (die Schlussbemerkung aus Leonard Bernsteins »Candide«) steht darauf, in modischem Dunkelblau. Man erntet Aufmerksamkeit damit, beim komoden Flanieren desgleichen wie beim zügigen Laufschritt – sofern man nicht raschest wie der Wind vorüberzieht, das einen selbst ein eilig zugerufenes »Watt’n ditte?« weder aufzuhalten noch zu einer Reaktion zu verleiten vermag.

Mit Siebenmeilenstiefeln ist man inzwischen bis zur Nummer 7 abgelangt. »Wach auf!« in Bio-Grün ist auffordernd auf dem dunkel schimmernden Stoff zu lesen. Man rät nicht fehl, wenn man diesen Appell als ein Zitat aus Wagners »Meistersingern« ortet, des nach dem Guinness-Buch der Rekorde umfangreichsten Opernwerk des Repertoires. (Ich bin mir da gar nicht so ganz sicher, können sich doch sowohl die »Götterdämmerung« als auch der »Parsifal« bei entsprechender Temponahme in ähnliche, wenn nicht sogar ausgedehntere Längen ziehen.) In jedem Falle sind die »Meistersinger« nicht nur ein »merkwürd’ger« – wie einer jener Meister, Konrad Nachtigall, zu sagen weiß, sondern auch ein unbedingt dankbarer Fall für jedweden Zitatenjäger. Des guten Richie Wagners Text ist reich an schönen Sprüchen, mehr oder weniger humorvoll, zuweilen mit einer Prise Selbstironie gewürzt, mitunter wohl auch – das unterstelle ich einfach mal – unfreiwillig komisch. Erst kürzlich, anlässlich unseres Eröffnungsfestes haben wir zur Genüge Gebrauch von den Wortspielen des Bayreuther Meisters (»denn wer als Meister geboren, der hat unter Meistern den schlimmsten Stand«) gemacht.

Eine kleine Blütenlese sei an dieser Stelle gestattet. So haben wir das eigens kreierte »Meistersingerbrot« der Berliner Bäcker-Innung – der Bäcker Fritz Kothner ist ja so etwas wie der Zeremonienmeister der Meistersingerzunft – mit den nach den Regeln der Poesie womöglich suboptimalen Spruch »Beck, beck, beck! Täglich auf dem Fleck! Nimm uns den Hunger weg!« beworben. Die kulinarischen Angebote standen passenderweise unter dem Motto »Schaut, Meister, herrlicher Kuchen! Möchtet ihr nicht auch die Wurst versuchen?« – und immerhin gab’s ja, zumindest temporär, auch Nürnberger Würschtl zum Verzehr. Die seit jeher beliebte Applausschule unseres Intendanten hatten wir mit dem etwas doppelbödigen Beckmesser-Zitat »Treibt ihr hier Scherz? Was wär’ nicht gelungen?« überschrieben, das erste Zusammenfinden des ebenso trefflichen Publikumschores mit einem aufmunternden »Meister wird, wen die Prob’ nicht reut!« Vieles mehr wäre zu nennen, was hier gar nicht in der rechten Weise (etwa der vom Lehrbuben David angeführten »Frösch-, Kälber- und Stieglitzweis’«) gewürdigt werden kann, beispielsweise das kecke »Ei sagt: Was treibt ihr hier für Possen?« oder das desillusionierende »Mein Herr! Der Singer Meisterschlag gewinnt sich nicht an einem Tag«. Auch heutzutage ist man des Öfteren geneigt, folgendes zu äußern: »Entnahmt ihr, was der Worte Schwall?« (das kann man bei entsprechender Gelegenheit immer mal wieder anbringen) oder gar »Wahn! Wahn! Überall Wahn!« Wieder Hoffnung schöpfend geht es weiter mit »Die schwache Stunde kommt für jeden, da wird er dumm und lässt mit sich reden« oder auch mit »All Dichtkunst und Poeterei ist nichts als Wahrtraumdeuterei«, alles aus der guten Schusterstube des Sprücheklopfers Hans Sachs.

Besonders schön aber finde ich auch die versteckten, mitunter ein wenig enigmatisch anmutenden Zitate aus dem Libretto, die im Geflecht der Stimmen, vornehmlich im Ensemble der Meister und in der sogenannten »Prügelfuge«, unweigerlich untergehen, die aber gleichwohl Bestandteile von R.W.’s »Opus magnum«, das – um einen Terminus des Sachs-Zeitgenossen Nikolaus Listenius zu bemühen – zugleich ein »Opus perfectum et absolutum« ist. Da heißt es zum Exempel: »Wer heult denn da? Wer kreischt mit Macht? Ist das erlaubt so spät zur Nacht?» oder auch: »Schert euch gleich nach Hause heim! Ei, so schlag ein heilig’ Hageldonnerwetter drein!«. Darüber hinaus gibt es noch Trouvaillen wie »Seht nur der Has’ hat überall die Nas’« oder »Wartet, ihr Racker! Maßabzwacker!«, desgleichen ein wackeres »Ha, nun geht’s: Pardauz!, da wächst kein Gras so bald nicht wieder nach!«

All das kann das kundige Ohr vernehmen, wenn es denn darum weiß. Man kann es sich selbstredend lesend wie hörend vergegenwärtigen, an Möglichkeiten hierfür mangelt es nicht, man möge nur einmal zu einer der Tonaufnahmen greifen, die in den vergangenen Dekaden produziert worden sind. Das unvermeidliche Gewühl der Prügelfuge und anderer Passagen, in denen eine größere Zahl an Protagonisten beteiligt ist, kann natürlich vor allem im Studio transparent gemacht werden. Das ist vor allem bei meinen beiden Lieblingsaufnahmen – eine Auswahl und Empfehlung darf ja ruhig subjektiv sein – der Fall: bei der Einspielung aus Dresden, die 1970 unter Leitung von Herbert von Karajan getätigt wurde, sowie bei derjenigen von Rafael Kubelik mit den Kräften des Bayerischen Rundfunks aus München, die drei Jahre zuvor entstand. HvK dirigierte nicht nur eine hervorragend aufgelegte Staatskapelle Dresden und den vereinigten Chören aus Elbflorenz und vom Leipziger Rundfunk, sondern auch ein wunderbares Ost-West-Solistenensemble, mit Theo Adam als Sachs (vielleicht die beste Rolle dieses »zentralen Wagner-Sängers«, wie ich ihn einmal genannt habe), dem munter eloquenten Peter Schreier als David, René Kollo als Stolzing, Helen Donath als Eva und Karl Ridderbusch als Pogner. Schön schlank und durchsichtig ist da vieles musiziert, ohne aufgesetztes Pathos und mit enormem Schwung. Dazu bis in die kleinsten Partien hinein glänzend besetzt, was sich nicht zuletzt in der Qualität der »kleinen Meister« (Zoltán Kelemen etwa macht aus dem Kothner ein wahres Kabinettstück komödiantischer Gesangskunst) widerspiegelt. Ähnlich eindrucksvoll die – leider nicht sonderlich bekannte – Einspielung von Rafael K., der den Konversationston, den das Werk ja über weite Strecken prägt, besonders gut trifft. Dazu gibt es sinfonische Entfaltungen von bemerkenswerter dramatischer Intensität, außerdem scheint er mir die musikalischen Details mit immenser Sorgfalt herauszuarbeiten. Da ist nichts flüchtig, sondern prägnant geschärft, von großer gestischer Kraft. International das Ensemble: Der Amerikaner Thomas Stewart singt einen Sachs, der seine Autorität glaubhaft stimmlich verkörpert, während der Ungar Sándor Kónya, als Puccini-Tenor wie als Lohengrin zu Recht berühmt geworden, den vielleicht besten Stolzing auf Tonträger singt, mit weit geschwungenen Melodiebögen und expansiver Stimmgebung, die den fränkischen Junker wie einen italienischen Kanzonensänger erscheinen lassen. An seiner Seite singt Gundula Janowitz eine wunderbare Eva, desgleichen die junge Brigitte Fassbaender eine keineswegs ältliche, sondern dynamisch-freche Magdalena. Franz Crass beeindruckt als Pogner und Gerhard Unger – quasi der David vom Dienst, der auf diese Rolle bereits in den 50er Jahren gleichsam abonniert war – einen quicklebendigen Lehrbuben mit Witz und Durchschlagskraft. Chor und Orchester befinden sich auf absolut hohem Niveau, was sich – wenn man denn erst einmal dorthin hörend angekommen ist – vor allem auf der Festwiese zeigt.

Von den älteren Studioaufnahmen, die noch monaural produziert worden sind, ragt diejenige von Rudolf Kempe heraus, die 1956 mit den Berliner Philharmonikern realisiert wurde (es singen hier übrigens, noch vor dem Mauerbau, die Chöre der Deutschen Oper und der Staatsoper Berlin gemeinsam), und ein First-Class-Ensemble vereinigt: Ferdinand Frantz als Sachs (Furtwängler Lieblings-Wotan), die wunderbare Elisabeth Grümmer als Eva, der stimmgewaltige Gottlob Frick als Pogner, Benno Kusche als Beckmesser, Rudolf Schock als Stolzing, Gerhard Unger als David, nicht zu vergessen Hermann Prey als Nachtwächter. Eine schöne, immer noch sehr hörenswerte Aufnahme ist dies allemal, auch wenn Manches womöglich etwas antiquiert wirkt. Einige Jahre älter – und das merkt man stilistisch durchaus – ist die Studioproduktion unter Hans Knappertsbusch mit den Wiener Philharmonikern von 1950/51 (1951 hatte Kempe in Dresden im Übrigen seine erste »Meistersinger«-Aufnahme hergestellt, schon damals mit Frantz als Sachs). Knappertsbusch gelingen zwar die weihevollen Teile der Partitur, die Lebendigkeit und der Humor bleiben jedoch nur allzu häufig auf der Strecke, zumal er über eine leider recht uneinheitliche Sängerschar verfügt. Paul Schöffler als Sachs – in dieser Partie hat er in der Tat Maßstäbe gesetzt – ist zwar ein Highlight, nicht jedoch Günther Treptows Stolzing, der wie ein angestrengter Siegmund klingt. Hilde Güden kommt als Eva ihm gegenüber doch zu leichtgewichtig daher, während sich Anton Dermota als David als Schönsänger begnügt. Die vielen Meister bilden aber ein schönes Ensemble: Otto Edelmann als Pogner oder auch Karl Dönch, der einer der besten Beckmesser-Sänger ist.

In den 70er Jahren kamen zwei zumindest von den Namen her hochkarätige Studioaufnahmen auf den Markt, die trotz all ihrer Qualitäten spürbar Wünsche offen lassen. Der versierte Eugen Jochum dirigierte 1976 eine Einspielung mit Dietrich Fischer-Dieskau als Sachs, der diese Riesenpartie seiner stimmlichen Konstitution entsprechend anders interpretiert als die meisten seiner Kollegen. Er wirft ihm das Gewand eines Liedsängers über, was neue Facetten zur Erscheinung bringt, auf der Festwiese aber vergleichsweise wenig kraftvoll wirkt. Die Schwedin Catarina Ligendza, die zu den führenden Wagner-Sängerinnen ihrer Zeit gehörte, ist eine sehr profilierte Eva, was man von Plácido Domingos Stolzing jedoch nur bedingt sagen kann: Seine Diktion ist dann doch etwas gewöhnungsbedürftig – später als Lohengrin, Tannhäuser und Parsifal hat er die deutsche Sprache, schwere Sprache gewiss besser gemeistert. Georg Solti hat gleich zwei Mal die »Meistersinger« für die Schallplatte bzw. die CD aufgenommen: zunächst 1975 mit den Wiener Philharmonikern, zwei Jahrzehnte darauf dann in mit seinem Weltklasseklangkörper Chicago Symphony. An den Orchester liegt es keineswegs, dass diese Aufnahmen m. E. nicht ganz vorne rangieren: Spielkultur, Ausdruck und Klangschönheit sind beinahe in Überfülle vorhanden. Leider hatte Sir Georg beide Male kein Glück mit seinen Sachs-Sängern: Sowohl der rauhstimmige Norman Bailey als auch der offenbar disponierte, ansonsten aber hochzuschätzende José van Dam können höchste Ansprüche erfüllen, wenngleich beide Casts sich durch große Namen und markante Sängerleistungen auszeichnen: So setzen René Kollo, Hannelore Bode, Kurt Moll und Bernd Weikl 1975 ebenso vokale Glanzlichter wie Ben Heppner, Karita Mattila und René Pape 1995 in Chicago.

Zwei Jahre zuvor wurde eine Aufnahme veröffentlicht, welche die »Meistersinger« an den Ort ihrer Uraufführung zurückbrachte, an das Münchner Nationaltheater. Wolfgang Sawallisch, wagnerkundiger GMD des Hauses, stand mit Bernd Weikl als Sachs (der unter Solti noch den Beckmesser gesungen hatte), Ben Heppner als Stolzing, Cheryl Studer als Eva, Kurt Moll als Pogner, Siegfried Lorenz als Beckmesser und Deon van der Walt als David ein formidables Solistenensemble zur Verfügung. Das Resultat ist dementsprechend gut, auch wegen des Orchesters und des Chors, die schon damals, zu Wagners Zeiten, für einen Erfolg, gar Triumph des Werkes gesorgt haben. Klanglich etwas zu opulent ist das Ganze womöglich geraten, gemessen etwa an den Zugriffen von Karajan, Kubelik oder Solti, die auch die kammermusikalischen Seiten der Partitur hinreichend zu offenbaren wussten.

Hinzuweisen ist natürlich auch auf die Mitschnitte aus dem Bayreuther Festspielhaus, die über die Jahre eine ganze Reihe von Aufführungen dokumentiert haben. Allein die Liste der Dirigenten liest sich dabei wie ein »Who is who«, angefangen von Wilhelm Furtwängler über Herbert von Karajan, Hans Knappertsbusch, André Cluytens und Erich Leinsdorf bis hin zu Daniel Barenboim, dessen »Meistersinger« 1999 auf dem Grünen Hügel aufgezeichnet wurden. Der tenorhaft strahlende Peter Seiffert als Stolzing ragt sängerisch dabei heraus, aber auch Robert Holl als Sachs und Andreas Schmidt als beider Gegenspieler Beckmesser bieten konturierte Rollenporträts.

Der »Wach auf«-Chor macht eigentlich, wer möchte es bezweifeln, immer und überall Eindruck. Wir haben es erlebt beim Eröffnungsfest mit dem Maestro himself vor Chor und Orchester, wobei sängerisch nicht nur die bewährten Profis vom Staatsopernchor präsent waren, sondern auch diverse Laien, die das Ganze einmal live und in Farbe mitsingen wollten. Machte Eindruck, wie gesagt. Auffrischung der Erinnerung daran bietet mir eine Kaffeetasse, die mir meine lieben Kollegen vom Marketing zugeeignet haben, und die gleich dem Trikot mit der Nummer 7 auf der Außenseite ebenjenes couragierte »Wach auf!« ziert. Und als besonderen Clou gibt es im Inneren die Fortsetzung »Es nahet gen den Tag«, das dann vor dem Auge auftaucht, wenn man die Tasse bis zum Grund geleert hat. Fand ick ’ne jute Idee, witzig wie lehrreich.

Wie heißt es doch so schön: »Ein Königreich für ein Zitat« – das scheint aber aus einem anderen Stück zu sein.

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