Hörtipps Edita Gruberova

Am Samstag feiert Bellinis »La Straniera« mit Edita Gruberova in der konzertanten Aufführung bei uns Premiere. Grund genug für Detlef Giese, sich der »Queen des Belcanto« einmal ausführlich zu widmen.

Liebe Freundinnen und Freunde des Schönen Gesangs,

ist euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass Bellini und Belcanto nicht nur inhaltlich formidabel zusammenpassen, sondern auch phonetisch? Das Schöne steckt da schon buchstäblich drin – man denke nur an das immer wieder gern vernommene »Bello« bzw. »Bella« (auch wenn auf den Gassen und Straßen zu hören ist, dass manche Leute ihren Hund bzw. ihre Hündin so benennen). Einen sanften Ohrenkitzel lösen jedenfalls die Worte Bellini und Belcanto aus, wer möchte dies bestreiten? Und die Musik erst, wie schon unser Richie Wagner zu artikulieren wusste, der rückhaltlos anerkannte, dass »der Italiener« den Gesang und die Melodie in besonderer Weise zu pflegen und zu schätzen wisse und dass mitunter selbst »der deutsche Musikkenner die Brille von den strapazierten Augen wegnahm und sich einmal so ganz rücksichtslos der Freude eines schönen Gesanges hingab«. Denn – so der weiland noch recht junge, neugierig-neumodische Wagner weiter – »Gesang ist nun einmal die Sprache, in der sich der Mensch musikalisch mitteilen soll«, ansonsten bliebe er grundlegend unverstanden. Und Bellini habe darin ein exzeptionelles Talent bewiesen, was ihn gewissermaßen zum Vorbild erhebe. Man weiß ja, dass die sprichwörtliche »unendliche Melodie«, die Wagner bei Bellini vorgebildet fand, bei dem Teutonen große Karriere gemacht hat – auch wenn die Tristane, Isolden und wie sie alle heißen, nicht in jedem Fall wirkliche Belcantisten geworden sind.

Zwiefach soll hier, geneigte Leserin und geschätzter Leser, das Belcanteske an sich eine Rolle spielen. Zum Ersten Folgendes: Unser alltägliches Bemühen an der Oper zielt ja bekanntlich darauf, etwas »Schönes« zu produzieren, ja »das Schöne« überhaupt ans Licht zu bringen, damit es uns innerlich erhelle und moralisch befördere. Schon die Alten Griechen wussten um den Zusammenhang von Wahrem, Schönem und Gutem, auf dass wir klug würden. Nun wissen wir wiederum, dass ein solches Miteinander, eine solche Verquickung herzustellen, weder jedermanns Sache ist noch sich selbst bei gutwilliger Anstrengung nicht immer verwirklichen lässt – so wie der Belcanto eben auch. Nichtsdestotrotz (früher sagte man einfach »trotzdem«) sind wir vom Staatsopern-Internetz bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem wir uns neuerdings angewöhnt haben, statt dem scharf akzentuierten »Block« – in einer gewisser Analogie zu Hagens »Mir aber bringt er den Ring« aus Richies »Götterdämmerung«, wo ebendieser anmerkt, dass der Sänger das »g« wie ein »k« artikulieren möge – dazu übergegangen sind, nach Belcanto-Manier den Vokal ein wenig zu längen und mit einem möglichst weichen konsonantischen Ausklang zu versehen, also in etwa so: »Blooog«. Wahrscheinlich wird, wie so oft, auch diesmal die »Philosophie der Mitte«, von der schon Aristoteles schwärmte, angemessen sein, gleichwohl ist uns der Spruch »Schau mal auf’n Blooog!« fast zu einer zweiten Natur geworden.

Und damit sind wir auch schon beim zweiten Zweiten, nämlich beim zweiten Punkt – wenn man so will, auch dem wesentlichen – angekommen, beim Belcanto im eigentlichen Sinne, so wie er uns ganz unverstellt begegnet. Am 6. Juni – im Übrigen dem Geburtstag von Siegfried Wagner, Thomas Mann und noch anderen interessanten Leuten – sowie ein paar Tage darauf, am 10. Juni (dem ersten spielfreien Tag bei der Frauenfußball-WM in Kanada, wo Zeit wäre, mal wieder ins Theater zu gehen), bietet sich doppelte Gelegenheit, eine eher unbekannte Oper von Bellini zu hören: »La Straniera«, zu deutsch »Die Fremde« – nomen est omen, da nicht vorausgesetzt werden kann, dass auch der hinreichend aktive und kenntnisreiche Operngänger sofort, wie aus der Pistole geschossen, weiß, worum es da geht und welche natürlich unbestreitbaren Schönheiten in der Musik zu finden sind. Das fängt schon damit an, dass unklar bleibt, wann das Geschehen eigentlich spielt. In der Partitur steht »um 1300«, die verhandelte Geschichte selbst verweist eher auf »um 1200«, da die Handlung in den Regierungsjahren des französischen Königs Philippe Auguste angesiedelt ist. Und ebenjener Monarch war bekanntlich derjenige, zu dessen Zeit die berühmte Notre-Dame-Polyphonie des Perotinus Magnus entstanden ist, mithin die ersten vierstimmigen Stücke, ohne die Bach und Mozart, ja selbst Bellini und Wagner schlechterdings nicht denkbar wären. Aber das nur am Rande.

Wir wollten uns ja dem Belcanto widmen. Und da liegt es aus gegebenem Anlass nahe, einer Queen Referenz zu erweisen. Das Goldene Thronjubiläum wie die echte Queen (die mittlerweile ja sogar schon über 60 Jahre ihr Krönlein trägt) hat sie zwar noch nicht ganz erreicht, allzu viel fehlt aber nicht mehr. Königin Edita beehrt uns: Sie wird nämlich die »Straniera« sein, auf singuläre Art, zumal sie auch in unserer Oper (von der gesagt werden kann, das sie hinsichtlich der Klarheit der Handlungsführung nicht ganz das Optimum erreicht, wenn ihr versteht, was ich damit meine) eine Königin ist, deren Identität sich freilich erst gegen Schluss enthüllt. Dann allerdings hat sie höchst eindrucksvoll zu singen – und Queen Edita tut es auch.

Wer es live nicht hören kann (was man durchaus sollte), kann das auch am heimischen Herd tun, da es eine Aufnahme der Oper gibt, in der sie der Straniera (alias Alaide, so kennt sie der passionierte Tenor im Stück, alias Agnese, was ihr Königinnenname ist) Stimme und Profil gibt. Wem dieser Belcanto der »slowakischen Nachtigall« (neben der »Königin der Koloraturen« auch so ein Reklamesprech) gefällt, kann auch zu Anderem greifen. Obwohl für viele, wenn Auge und Ohr auf Bellini fallen, nach wie vor La Callas das Maß aller Dinge ist, sind doch die Leistungen der Edita G. staunenswert genug. Als Norma allzumal, aber auch als Amina in »La Sonnambula« unter Marcello Viotti (eine Rolle, die ihr aufgrund der lyrischen Qualitäten stimmlich besonders entgegenkommt) oder als Giuletta in »I Capuleti e i Montecchi« unter Riccardo Muti (ein etwas kruder Romeo-und-Julia-Verschnitt). Anderes vom guten Vincenzo singt sie immer wieder auf der Bühne: die Elvira in »I Puritani« oder die Beatrice di Tenda in der gleichnamigen Oper. Desgleichen ist sie mit Donizetti-Werken (deren Menge man kaum überschauen kann) unterwegs: »Lucia di Lammermoor«, »Roberto Devereux«, »Linda de Chamounix«, »Anna Bolena«, »Maria Stuarda«, »Lucrezia Borgia«, »La Fille du Régiment« und anderes mehr. Auch Verdi hat sie für die Schallplatte gesungen: Die vom rechten Wege Abgewichene, auch »La traviata« genannt etwa, oder auch die Gilda im »Rigoletto«, zu sehen auch in einer Verfilmung an der Seite von Luciano Pavarotti als gewichtigem Herzog. Eine Krone extra gebührt ihr aber als Mozart-Sängerin: Wer einmal ihre phänomenale Konstanze in »Die Entführung aus dem Serail« (unter Sir Georg Solti) gehört hat, wird gewiss begeistert sein, ebenso ihre Königin der Nacht in der »Zauberflöte‹ (unter Nikolaus Harnoncourt) – gestochen genaue Koloraturen, bei denen jeder Ton bestens sitzt, verbinden sich mit tiefer Expression, Persönlichkeit und Ausstrahlung, was sich akustisch aufs Beste mitteilt. Auch wenn dies kein genuines Belcanto-Repertoire, so sind doch die Vorzüge des belcantesken Gesangsstils offensichtlich. Mit Harnoncourt hat sie im Übrigen oft zusammengearbeitet: bei Haydns »Schöpfung« ebenso wie bei Mozarts »La finta giardiniera« und »Don Giovanni«, sogar bei Straußens »Fledermaus«. Und dann natürlich ihre Paradepartie: die Zerbinetta in »Ariadne auf Naxos«, dem geistreichen Bühnenwerk des anderen Strauss, dem Richard: im Studio mit noch gänzlich jugendlichem Elan unter Sir Georg Solti, ein wenig reifer dann unter Kurt Masur, live unter Karl Böhm aus der Wiener Staatsoper 1976, was damals ihren spektakulären Durchbruch bedeutete.

Nicht immer müssen es also Königinnen sein, die sie singt und verkörpert, da sie ja selbst eine Königin ist. In den Belcanto-Oper fallen sie, auffällig genug, am Schluss oft in den Wahnsinn – und so verwundert es auch nicht, dass es eine CD mit Edita G. mit einer Reihe von »Wahnsinnsszenen« gibt, von Bellini und Donizetti für die Freunde der italienischen Oper, aber auch Arien auf Französisch und Russisch, von Thomas und Rimsky-Korsakow. Von Rimsky singt sie ein Stück aus der »Zarenbraut«, wo sie (in Gestalt der Marfa) ja quasi auch zur Königin erhoben wird, um aber – tragisch, tragisch – gleich darauf wieder zu verdämmern. Wahnsinnig eben, aber auch wahnsinnig gut gesungen.

Bis zum nächsten Mal,

euer Detlef Giese

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