Hörtipps Pierre Boulez

Auf einen Kaffee mit der Dramaturgie - Hörtipps Pierre Boulez

Das Konzertprogramm der diesjährigen Festtage steht unter dem Motto »Hommage à Pierre Boulez«. Passend dazu lest ihr heute die Hörtipps von Dramaturg Detlef Giese.

Warum eigentlich beginnen die Namen vieler berühmter Komponisten mit B? Ob es dafür wohl eine schlüssige Erklärung gibt? Denn auffällig ist dieser Umstand schon, wenngleich offenbar so unergründlich wie die Musik selbst. Der »Alte Bach«, von dem gesaget wird, dass bei ihm und in seiner Musik alles stattfindet, was wirklich wichtig ist, steht sicher an der Spitze dieser vielen großen B’s. Als der ja keineswegs unbedeutete Brahms, auch zu dieser Fraktion gehörig, einstmals ein köstliches Glasl Rebensaft mit dem Hinweis kredenzt bekam, dieser sei der Brahms unter den Weinen, bat er seinen Gastgeber, doch noch einmal in den tiefen, dunklen Keller hinabzusteigen, um einen weißen oder roten Bach zu holen, weil er gewiss noch mehr munde, hatte gute Bruder Johannes nichts anderes getan, als diese Rangfolge zu zementieren. Dabei muss er sich ja keineswegs mit der Hase im Pfeffer verstecken, sondern hätte durchaus selbstbewusst Brust und Rauschebart hervorstrecken können, um zu sagen: »Ich bin einer der drei großen B’s!«, wobei die Gelehrten nicht müde werden, darüber zu streiten, ob damit wohl die Trias Bach–Beethoven–Brahms oder das Dreigestirn der großen Sinfoniker Beethoven–Brahms–Bruckner gemeint sei. Wie dem auch sein: Die nach Wien »Zuogeroisten«, aus der alten Bundeshauptstadt Bonn und dem mondänen Hamburch, sind immer am Platz und am Amt.

Damit erschöpfen sich die formidablen Komponisten-B’s aber mitnichten: Von Bach zurück möge der Blick unbedingt zu dem großen Dänen Dieterich Buxtehude schweifen, desgleichen zu seinen nicht minder phantasiebegabten Orgelkollegen Georg Böhm und Nicolaus Bruhns (wer’s nicht kennt, sollt es kennenlernen), in die angelsächsischen Lande zu William Byrd, der sich auch auf den Tasten, die die Welt bedeuten, verdient gemacht hat, und zu John Blow, dem Schöpfer der ersten englischen Oper. Taucht man noch tiefer in die Historie hinein, so stößt man auf Gilles Binchois und Antoine Busnois, die weiland, bereits in Saeculo XV. am Hof des legendären burgundischen Herzogs Philipp des Guten und seiner Nachfolger die Sinnlichkeit in die Musik gebracht haben. Des Weiteren, nunmehr wieder etwas später, wären der Salzburger Heinrich Ignaz Franz Biber (der sich an einer sage und schreibe 53-stimmigen Messe für den hiesigen Dom nicht die Zähne ausgebissen hat) und Luigi Boccherini (der zeitweilig immerhin »compositeur de notre chambre« zweier Preußenkönige war) zu nennen. Nicht zu vergessen natürlich die Söhne von »Old Bach« mit den schönen Namen Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel, Johann Christoph Friedrich (der, wie wir erst kürzlich gelernt haben, sogenannte »Bückeburger Bach« [Doppel-B!]) sowie Johann Christian, der bekanntlich für den jungen Wolferl Mozart eine wichtige Bezugsperson war. Im 19. Jahrhundert gibt es dann eine wahre Schwemme an großen B’s: Ludwig van natürlich an erster Stelle, aber auch die schon erwähnten Brahms und Bruckner (die sich immerhin, was die den Speiseplan anbelangte, in ihrem Geschmack zu treffen wussten), dazu der musikalische Revoluzzer Hector Berlioz von jenseits des Rheins, Maxe Bruch mit seinem Violinkonzert, der Schwede Franz Berwald, der Meister des Kontrabasses Giovanni Bottesini (der immerhin die Uraufführung von Verdis »Aida« dirigiert hat), sodann in Russland Mili Balakirew und Alexander Borodin, das Haupt des »Mächtigen Häufleins« und einer seiner gleichermaßen gelehrigen wie unverbildet-ingeniösen Schüler, dazu noch zwei Opernmeister der besonderen Art, Vincenzo Bellini, dessen »melodie lunghe, lunghe, lunghe« selbst Richie Wagner beeindruckten, sowie Georges Bizet, der die Palette der Klänge so tief in das hispanische Farbenmeer tauchte, dass seine »Carmen« zu einem spektakulären Welterfolg wurde. Zumindest summarisch seien auch noch einige bedeutsame B’s der Jahrzehnte nach 1900 aufgezählt: Albano Maria Johannes Berg (den wir gerade neulich ausgiebig beleuchtet hatten), Ferruccio Busoni, Lili Boulanger, Béla Bartók, Arnold Bax, Benjamin Britten, Harrison Birtwistle, George Benjamin, Luciano Berio, Samuel Barber, Milton Babbitt, Leonard Bernstein, Boris Blacher, Reiner Bredemeyer, Hans-Jürgen von Bose sowie Ralph Benatzky, dessen immergrünes »Weißes Rössl« in diesem Zusammenhang durchaus zu bestehen vermag.

Aber einen haben wir noch gar nicht genannt, der doch dieser Tage überall gewürdigt wird: Pierre Boulez, vor wenigen Tagen 90 Jahre alt geworden. Früher habe ich, um es zugegeben, Boulez zuweilen mit Berlioz verwechselt, was damals sicher vor allem an dem gleichen Namensauslaut gelegen haben mag. Dabei teilen beide doch so Einiges: u. a. die Kompromisslosigkeit in allem, wenn es um die Musik ging. Ein unverbindliches, auf leichten Füßen daherschwebendes Spiel der Klänge ist sie in ihren Augen und Ohren keineswegs, eher eine Angelegenheit auf Leben und Tod, mit Ernst und Konsequenz – insofern scheint sich ein imaginäres Band von dem Einen zum Anderen zu ziehen.

Schriften von Berlioz kann man lesen, etwa seine Memoiren, Boulez desgleichen, hat er doch immer wieder sein Denken und Schaffen gedankenreich reflektiert. Während aber der Dirigent Berlioz nurmehr in Berichten erstehen kann, sind die Leistungen des Dirigenten Boulez direkt greifbar. Verschiedene Labels haben zu seinem runden Geburtstag größere Editionen auf den CD-Markt gebracht. Man wird Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um das Alles adäquat wahrzunehmen. Hinzuweisen wäre aber auf Einiges, das mit Recht bereits zu den »Klassikern« gehört und Boulez’ dirigentisches Vermögen eindrucksvoll unter Beweis stellt. Selbstredend sind da seine Aufnahmen mit Werken der »Wiener Schule« um die Protagonisten Schönberg, Berg und Webern. »Moses und Aron«, das unvollendete Bühnenwerk Schönbergs, existiert in gleich zwei Einspielungen aus den 1970ern und 1990er Jahren, desgleichen auch eine Reihe seiner Orchesterwerke wie »Pelleas und Melisande« oder »Verklärte Nacht«. Von Berg hat er sowohl die beiden Opern »Wozzeck« und »Lulu« als auch das Kammer- und das Violinkonzert exemplarisch aufgenommen, von Webern das Gesamtwerk, das aufgrund seiner prägnanten Kürze auf nur wenige CDs passt, dessen Substanzreichtum aber kaum auszuloten ist. Darüber hinaus sind die weiteren »Favourites« von Boulez hörbar: Strawinsky, Bartók, Debussy, Ravel und natürlich Mahler, dessen Musik er in der Tat neue Seiten abgewonnen hat. Die 8. Sinfonie, die gigantisch besetzte »Sinfonie der Tausend« hat er 2007 sogar mit der Staatskapelle Berlin aufgezeichnet, im Anschluss an den großen Mahler-Zyklus zu den damaligen Festtagen. Wagner ist auch mit dabei, in Gestalt von Live-Mitschnitten aus Bayreuth, einschließend den »Parsifal« aus den frühen und den »Ring« aus den späten 1970er Jahren. Immer noch wirkt Boulez’ technisch tadelloses Dirigat in seinem gleichsam schlackenlosen Purismus, seiner schlanken Tongebung und seinen insgesamt zügigen Tempi ausgesprochen modern. Kühl sind seine Darstellungen mitunter genannt worden, an Expression mangelt es ihnen aber keineswegs.

Und schließlich dürfen die Aufnahmen seiner eigenen Werke nicht fehlen. Die Deutsche Grammophon, mit der Boulez seit mehr als 20 Jahren verbunden ist, hat die Einspielungen auf 13 CDs (inklusive einiger bereits »historischer« Aufnahmen aus den Sixties und Interviews) gebündelt, so dass eine Art Gesamt-Œuvre erkennbar wird (Boulez’ kompositorisches Werk ist ja keineswegs leicht zu überblicken, da er verschiedentlich – was eher die Regel als die Ausnahme ist – mehrere Fassungen vorgelegt hat, z. T. auch Werke und Versionen nicht mehr gelten lässt). Viele dieser Aufnahmen sind unter der Leitung von Boulez selbst entstanden, oft dabei mit dem von ihm gegründeten Pariser Ensemble intercontemporian. Anerkannte Hauptwerke wie »Le marteau sans maître«, »Pli selon Pli«, »Le visage nuptial«, »Répons«, »Ritual« oder die Orchesterfassungen der fünf »Notations« kann man auf diese Weise hörend erleben und dabei das Gefühl haben, dass hier ein Dirigent am Werke ist, der so genau wie kein Anderer um die Dinge weiß, die da musikalisch geschehen, da sie unmittelbar seiner Gedankenwelt entsprungen sind. Komponist und Dirigent gehen hier quasi eine Symbiose ein, die eine Tätigkeit wirkt auf die andere ein, in wechselseitig sich Schwung gebendem Energiefluss. Pierre Boulez gehört zweifelsohne zu den besagten »großen B’s«. Bleibt eigentlich nur noch die die Frage, warum die Namen nicht nur von so vielen Komponisten, sondern auch von so vielen berühmten Dirigenten mit B beginnen?

2 Kommentare

  • Emanuel Overbeeke
    schrieb am 05.02.2017 um 15:43 Uhr.

    Emanuel Overbeeke
    Steven Butendiekplateau 176
    3581 GT Utrecht
    Niederlande

    Utrecht, den 5. Februar 2017

    Gutentag,

    Weil Pierre Boulez einer meiner Lieblingsmusiker ist (ich habe gerade ein Buch über ihm geschrieben), las ich mit Freuden über das Buch, publiziert in 2015 beim Fest zum 90. Geburtstag in Berliner Staatsoper. Meine Frage ist: ist das Buch Hommage à Pierre Boulez noch lieferbar? Können sie mir sagen wie ich ein Exemplar bekommen kann? Verkauft die Staatsoper auch noch dieses Buch?
    Ich hoffe von Ihnen zu hören.

    Mit freundlichen Grüssen,
    Emanuel Overbeeke

  • Maike Bossler
    schrieb am 15.02.2017 um 17:01 Uhr.

    Sehr geehrter Herr Overbeeke, das Buch »Hommage à Pierre Boulez« können Sie bei uns käuflich erwerben. Es kostet 12 Euro, wobei nochmals 5 Euro Portokosten hinzukommen würden. Wenn der Preis für Sie in Ordnung geht und Sie Interesse haben, das Buch käuflich zu erwerben, dann schicken Sie am besten direkt eine Mail (mit Ihrer Adresse) an: s.greco@staatsoper-berlin.de
    Das Buch schicken wir Ihnen dann per Post zu.

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