Von visueller Archäologie

Lohengrin in der Werkstatt der Staatsoper Berlin

Der Videokünstler Philipp Ludwig Stangl erzählt in einem Interview mit Maria Altnau, wie er sich seinen visuellen Impulsen zu Salvatore Sciarrinos »Lohengrin« näherte.

Wie wird man Videokünstler?
Eigentlich bin ich kein „echter“ Videokünstler. Ich habe Komposition studiert, interessiere mich aber nicht unbedingt für das Innere des Klangs, sondern vielmehr für Zusammenhänge, wenn Klänge auf andere Medien treffen. Mich interessieren Bildwelten aus einer kompositorischen Sicht, und Töne auch aus einer visuellen Sicht. Dieses Immersive, sich Durchdringende, das ist mir sehr wichtig. Und dann war es für mich ein ganz intuitiver Schritt auch Bilder zu komponieren.

Was müssen Sie als Videokünstler beherrschen?
Erstmal muss ich eine Vorstellungskraft dafür entwickeln, was ich sehen möchte. Dann ist die ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzung im Regieteam natürlich von zentraler Bedeutung, um herauszufinden was die eigenen Ideen wert sind. Anders als zu komponieren ist Film ja immer ein interdisziplinäres Projekt. Natürlich ist die technische Komponente ebenso wichtig, denn ich muss meine Bilder auch visualisieren können und, was für die Bühne besonders wichtig ist, das dann auch sichtbar machen. Mich interessieren keine Projektionen, die beispielsweise in Konkurrenz zum Kino stehen.

Mit wem arbeiten Sie zusammen?
Eigentlich arbeite ich mit allen Beteiligten sehr intensiv zusammen, weil man um alles ringt, was man letztlich in einer Inszenierung auf der Bühne sieht und hört. Der Komponist stellt eine Partitur mit seiner Klangvorstellung zur Verfügung, mit der wir uns als Team erst einmal auseinander setzen. Da muss man sich fragen „Was bedeutet das? Wie möchten wir damit umgehen? Was für eine Welt möchten wir auf der Bühne erschaffen?“ Es geht ja gerade im Medium Video für die Bühne nicht darum, Dinge zu illustrieren, sondern Zustände zu zeigen. Auf der Bühne existiert bereits eine vollständige szenische Realität. Wenn da noch Medien oder Film hinzu kommen, hat man sofort eine andere, also projizierte Wirklichkeit. Das hat dann natürlich sehr viel mit Komposition von Zeit zu tun, das heißt mit verschiedenen sich durchdringenden Realitäten.

Wie sieht die Arbeit aus, wenn Sie sich beispielsweise an den »Lohengrin« setzen? Wie gehen Sie dabei vor?
Wir arbeiten im Regieteam. Dazu zählen Regie, Ausstattung, Video, Dramaturgie. Ich versuche erst einmal Strukturen frei zu legen. Es ist wie ein archäologisches Prinzip. Man muss die Schichten nach und nach freilegen. Bei »Lohengrin« ist es ganz stark so, dass es durchaus wiederkehrende Motive und Loop-Strukturen gibt, oder Dinge, die in der Chronologie gar nicht linear ablaufen. Es gibt viele Brüche und Sprünge. Die kann man natürlich in der Partitur sehen und auch im Libretto finden. Da muss man erstmal wie ein Archäologe mit dem Pinsel das Gerüst freilegen. Und wenn man das Gerüst freilegt, dann hat man meistens auch eine Phantasie dazu. Das finde ich das Spannende daran. Es ist ja immer auch ein Prozess, sich einem Thema zu nähern. »Lohengrin« ist ein gigantisch aufgeladener Topos. Und Jules Laforgue, der die textliche Grundlage für das Libretto von Salvatore Sciarrino geschrieben hat, bezieht sich auch nicht unbedingt auf den ursprünglichen Topos, sondern betreibt eher eine ironische Überschreibung des Wagner’schen »Lohengrin«, der sich wiederum von dem Mythos nimmt, was er möchte. Man muss sich also zu so einem Thema verhalten, oder einen Blick drauf haben, ohne Antworten zu geben.

Philipp Ludwig Stangl
Philipp Ludwig Stangl

Was war die größte Herausforderung bei der Arbeit als Videokünstler an »Lohengrin«?
Die größte Herausforderung ist, sich für eine visuelle Sprache zu entscheiden, weil man viele Möglichkeiten hat. Der Topos »Lohengrin« bietet sehr viele verschiedene Perspektiven. Da eine Einflugschneise zu finden, ist nicht ganz einfach. In der Konzeption und jetzt auch in der Probenarbeit, haben wir festgestellt, dass wir innerhalb des Werks so gut wie alles mit allem in Bezug setzen können und immer einen neuen Weg finden. Irgendwann muss man sich aber für einen Weg entscheiden. Wir haben uns jetzt dafür entschieden, sehr nahe an der Figur Elsa zu bleiben, also auch nahe bei Sciarrino zu bleiben, denn es ist ein Monolog aus der Perspektive dieser Frau, mit einer einzigen subjektiven Klangsphäre.

Was bedeutet für Sie Neues Musiktheater?
Die Wirklichkeit.

Wie infiziert sind Sie schon in Anbetracht des Festivals?
Ich freue mich sehr, dass es einen Salvatore Sciarrino-Schwerpunkt gibt. Das Publikum hat die Möglichkeit, sowohl »Lohengrin«, als auch Macbeth zu sehen, als auch Kammermusik zu hören, also tief in den Sciarrino‘schen Kosmos einzutauchen, der extrem sinnlich ist. Das begeistert mich.

Wenn Sie einen Gesichtsausdruck machen müssten, um Neues Musiktheater ausdrücken, wie würde der aussehen?

Ich glaube der wäre möglichst offen und neugierig, sonst hat man bekanntlich relativ schlechte Einstiegschancen. Wenn ich an der Bushaltestelle stehe und meine Zeit, meine eigene Realität mit vielen anderen Realitäten teile, gibt immer etwas Aufregendes zu sehen und zu hören – positiv, wie negativ. Das ist für mich Neues Musiktheater. Es ist nicht abgeschlossen von der Welt. Es hat einen großen Jetztbezug, auch wenn es oft eine sehr artifizielle Anmutung hat. Letztendlich sollte man da aber keine dogmatische Linie ziehen. Wenn mich eine Mozart-Inszenierung begeistert, ist das auch neues Musiktheater.

Das Gespräch führte Maria Altnau.  

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