Die innere Emigration
Am 27. September feiert die erste Werkstattproduktion der Saison 2014/2015 Premiere: Karl Amadeus Hartmanns »Des Simplicius Simplicissimus Jugend«. Friederike Heller, die in der Werkstatt ihr Opernregie-Debüt gibt, im Gespräch mit dem Dramaturgen Detlef Giese.
Detlef Giese: Bei »Des Simplicius Simplicissimus Jugend« haben wir es mit drei Zeiten zu tun: mit jener von Grimmelshausen (17. Jahrhundert), der von Hartmann (1930er Jahre) und mit unserer Gegenwart. Spielt ein Denken in verschiedenen geschichtlichen Ebenen für Dich eine Rolle?
Friederike Heller: Auf jeden Fall. Durch die verschiedenen Zeitebenen ergeben sich sehr viele Möglichkeiten von Erzählweisen und Deutungen. Hartmann zieht ja beständig Parallelen zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den verbrecherischen Taten der Nationalsozialisten, obwohl deren Tragweite in den Jahren der Entstehung des Stückes noch nicht in vollem Umfang zu erkennen war. Der Simplicius ist ein Werk mit einem eindeutigen Bekenntnischarakter.
Worin liegt für Dich der Kern des Stückes? Was sind seine besonderen Charakteristika?
Entscheidend ist aus meiner Sicht die Entwicklung des Simplicius, der am Beginn als ein einfältiges, unschuldiges Kind gezeichnet wird, und gezwungen ist, durch die Gräuel der Welt zu gehen. Simplicius muss eine Haltung zu dem finden, was ihm widerfährt. Impliziert ist dabei auch eine politische Stellungnahme, wie sie am Schluss in aller Deutlichkeit formuliert wird. Außerdem haben mich die formalen Züge der Oper interessiert: die ausgeprägte epische Struktur, die an Brecht erinnert, die vielen Sprünge, Bilder- und Perspektivwechsel, dazu die oft spürbaren Ecken und Kanten.
Wie und warum fiel die Entscheidung für die Urfassung aus den mittleren 30er Jahren?
Schon in den ersten Gesprächen bin ich mit dem musikalischen Leiter Adrian Heger überein gekommen, diese erste Version zu nehmen, die insgesamt viel weniger »opernhaft« wirkt als die zweite Fassung aus den 1950er Jahren. Durch die vergleichsweise vielen und umfangreichen gesprochenen Dialoge enthält diese Urfassung in weit höherem Maße Elemente des Sprechtheaters. Auch zeigt sich ein enorm breites Spektrum: von größter Zartheit und Zerbrechlichkeit bis hin zu wirklich derbem Humor, der nichts für Feingeister ist. Bei aller Ernsthaftigkeit und Tragik besitzt das Stück doch auch seine komischen Seiten, in sprachlicher wie in szenischer Hinsicht.
Welche Wirkungen gehen Deiner Ansicht nach von der Oper aus, vom Text wie von der Musik?
Die scharfen Kontraste sind es, von denen die größten Wirkungen ausgehen. Jeder der drei Teile verfügt über seine individuellen Farben, ist von sehr eigener Art. Die Kurzweiligkeit des Ganzen entsteht durch diese Kontraste, durch die ungeheure Dynamik, die der Oper insgesamt innewohnt. Das lässt sich sowohl im Libretto als auch in der musikalischen Gestaltung finden. Von einem Moment auf den anderen kann die Atmosphäre umschlagen, so dass man sich plötzlich in einer anderen Welt wiederfindet.
Wie hast Du die Figuren angelegt?
Der Zuschauer soll Anteil daran nehmen, wie der kreative Prozess des Autors – konkret des Komponisten Karl Amadeus Hartmann – vonstatten geht. Deshalb haben wir auch den im Stück verlangten Sprecher mit der Person Hartmann gleichgesetzt, der sich am Anfang in die vielzitierte »innere Emigration« begibt, indem er sich einzuschließen versucht. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine komplette Abschottung nach außen nicht möglich ist, dass man sich der umgebenden Welt im Grunde nicht entziehen kann. Beim Simplicius wollte ich auf keinen Fall verstecken, dass es eine Frau ist, die einen Jungen singt und spielt. Eine solche Hosenrolle eignet sich aber besonders gut dazu, den Simplicius als eine Art männlich-weibliches Mischwesen zu zeigen, als eine fabelhafte Gestalt, die der Phantasie unseres Sprechers – also Hartmanns – entspringt. In unserer Inszenierung ist er nichts anderes als die Manifestation von Hartmanns Visionen, ein Traumbild, das plötzlich zur Wirklichkeit wird – wie auch alle später hinzukommenden Figuren.
In welchem Ambiente hast Du gemeinsam mit Deiner Ausstatterin Sabine Kohlstedt das Geschehen angesiedelt?
Das grundlegende Interesse an den verschiedenen historischen Ebenen spielt auch hier mit hinein. Wir haben uns dafür entschieden, die Handlung in der Hartmann-Zeit spielen zu lassen, was vor allem durch die Kostüme bezeugt wird. Inspirierend war für mich auch das Mahnmal auf dem Berliner Bebelplatz, das an die Bücherverbrennung 1933 an diesem Ort erinnert: die leergeräumten Bücherregale, die den barbarischen Akt der Vernichtung von Kulturgut eindringlich ins Gedächtnis rufen. Eine Bibliothek, in der das Wissen gesammelt und aufbewahrt wird, sollte den Bühnenraum prägen – das war unser erster Impuls.
Es ist ja Deine erste Regiearbeit für das Musiktheater. Welche Erfahrungen hast Du im Laufe des Produktionsprozesses gewonnen?
Es ist ein großes Geschenk, in die Musik hinein zu horchen und in einem analytischen Frage-Antwort-Spiel zu szenischen Lösungen zu kommen. Es handelt sich ja um eine extrem gestische Musik, die bestimmte schauspielerische Vorgänge mehr oder minder bereits festlegt. Die Musik gibt die Zeiträume vor, in denen etwas geschehen muss, trotzdem bleibt es ein kompliziertes Puzzle, alles so zusammenzufügen, damit es am Ende »richtig« erscheint. Die Suche nach den Bühnenvorgängen habe ich gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern unternommen, in enger Abstimmung mit dem Dirigenten. Und auch die Jugendlichen vom Chor haben sich sehr engagiert eingebracht. Es war ein schönes, produktives Arbeiten – alles hat gut gepasst.
Diesen Beitrag findet ihr auch im Programmbuch zu »Des Simplicius Simplicissimus Jugend«.