»Die Musik ist absolut magisch«

Am vergangenen Sonntag feierte Claus Guths Inszenierung von Benjamin Brittens »The Turn of the Screw« ihre Wiederaufnahme in der Staatsoper Unter den Linden. Wir trafen die junge portugiesische Sopranistin Sónia Grané, die die Partie der Flora singt, zwei Tage vor der Vorstellung zu einem Gespräch und sie erzählte uns, welche Herausforderungen es bei den Proben gab, wie es ist, mit einem Hasen auf der Bühne zu stehen und warum sie gerade diese Inszenierung so sehr liebt.

Sónia Grané

»The Turn of the Screw« ist im April wieder an fünf Abenden in der Staatsoper zu erleben. Worin liegen die Herausforderungen bei dieser Wiederaufnahme?
Die Proben laufen gut, aber es ist auch sehr anstrengend. In der Inszenierung wird mit einer Drehscheibe gearbeitet und es ist nicht einfach, alle Abläufe richtig hinzukriegen – das ist technisch schon eine Herausforderung. Aber es macht uns allen Spaß, auch wenn die Stimmung im Stück ein bisschen düster ist. Natürlich ist es einfacher, ein Stück einzustudieren, wenn man es schon mal gemacht hat. Aber es gab hier viele Details in den Bewegungsabläufen, an die ich mich nicht mehr genau erinnern konnte und die ich noch mal neu lernen musste. Bei dieser Wiederaufnahme gibt es auch wieder einen neuen Dirigenten und jeder Dirigent hat immer seine eigenen Ideen, die er einbringt, und eigene Tempi. Da muss man sich natürlich absprechen, welche Vorstellungen man hat und wie man sie umsetzen kann.

Sie singen in der Produktion die Partie der Flora. Was für eine Rolle hat sie in dem Stück?
Flora ist ein verrückter und geistig etwas gestörter Teenager. Sie und Miles sind in dieser Inszenierung Zwillinge und sie verhalten sich beide ziemlich komisch. Sie bewegen sich immer gleichzeitig und sie benehmen sich ein bisschen zu brav für Teenager – allerdings nur, wenn die Governess dabei ist, sonst verhalten sie sich ganz anders. Es gibt eine Szene mit Miles und Flora, in der sie etwas zusammen spielen und am Ende gibt es fast einen Kuss – obwohl sie Geschwister sind. Das ist schon verrückt. Die beiden sind Waisen und man spürt deutlich, bei ihnen fehlt eine Familie. Sie sind alleine in diesem großen Haus mit der Haushälterin Mrs. Grose, die mit ihnen aber nicht gut zurechtkommt. Deshalb kommt eine Erzieherin, die Governess, die sie betreuen soll. Aber Miles und Flora mögen ihre Betreuerinnen immer nicht und es passieren seltsame Dinge. Man merkt, in diesem Haus stimmt etwas nicht und man erfährt zum Beispiel, dass die letzte Erzieherin gestorben ist. Auch die neue Governess verliert immer mehr die Orientierung und man weiß irgendwann nicht mehr, was wirklich passiert ist und was sich vielleicht nur in ihrem Kopf abspielt. Diese Idee, dass sie langsam verrückt wird, ist sehr interessant. Wie Claus Guth das gemacht hat, ist wirklich fantastisch. Ich liebe diese Inszenierung!

»Ich kann jetzt ein bisschen boshafter spielen«

Sie haben die Partie der Flora auch schon 2014 bei der Premiere gesungen. Hat sich seitdem etwas an Ihrer Herangehensweise an die Rolle verändert?
Die Rolle hat sich natürlich nicht verändert – die ist so, wie Claus Guth es wollte und ich versuche, dem gerecht zu werden. Aber ich würde schon sagen, dass ich mich in den letzten Jahren verändert habe. Ich glaube, jetzt, nach fast vier Jahren, kann ich die Rolle sogar noch ein bisschen besser verkörpern, ich kann jetzt ein bisschen boshafter spielen. Im Jahr der Premiere konnte ich das noch nicht, da habe ich die Rolle etwas kindhafter gespielt – jetzt geht es mehr in die Richtung eines Teenagers.

In dem Stück kommt ein echter Hase vor. Was hat es damit auf sich?
An einem Abend spielen Miles und Flora ein Spiel und er verbindet ihr die Augen und dann kommt er mit dem Hasen und schenkt ihn ihr. Kurz darauf gibt es eine Szene, in der zwei Kinder auftreten. Sie sind unsere Doubles und haben riesige Maskenköpfe auf. Die beiden töten den Hasen – das hat etwas Albtraumhaftes und man weiß nicht, ob das vielleicht nur im Kopf der Governess passiert ist. Der Hase war vorgestern zum ersten Mal bei der Klavierhauptprobe da. Er ist sehr süß, sehr groß und sehr dick. Der tote Hase ist dann eine Stoffpuppe. Wir haben schon gesagt, dass die Puppe noch mehr ausgestopft werden muss. Der echte Hase ist wirklich dick, wie ein großer Ball, das ist sehr lustig. Zuerst sitzt er auf meinem Schoß und später setzen wir ihn dann auf den Boden.

»Wenn man die Musik hört, versteht man, worum es in der Geschichte geht«

Die Handlung der Oper ist unheimlich und rätselhaft. Spiegelt sich das in Benjamin Brittens Komposition wider? Und wie wirkt sich das auf Ihren Gesang aus?
Gesanglich werden ein paar Effekte eingesetzt, aber auch wenn man eine verrückte Figur spielt, sollte man seine Stimme und seine Technik natürlich nicht vernachlässigen. Ich muss in dem Stück ein paar Mal schreien, aber das mache ich vorsichtig und kontrolliert.
Die Musik ist absolut magisch – das ist großartig komponiert. Was ich so toll finde, ist, dass man die Handlung eigentlich nicht kennen muss – wenn man die Musik hört, versteht man, worum es in der Geschichte geht. Die Besetzung ist kammermusikalisch und das passt sehr gut zu dem Stück. Das Orchester ist dadurch sehr eng mit den Sängern verbunden. Zusammen mit dem Bühnenbild, der Bühnentechnik und dem Licht hat es einen unglaublichen Effekt – ich habe dafür eigentlich keine Worte – es ist ein Stück, das ich wirklich sehr gerne mache.

Sie waren von 2013 bis 2015 im Internationalen Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden. Inwiefern hat Sie diese Zeit geprägt?
Ich bin für das Opernstudio nach Deutschland gekommen, davor war ich in Großbritannien, wo ich vier Jahre studiert habe. Wir hatten im Studio viel Unterricht – Gesangsunterricht, Körpertraining und Meisterkurse mit bekannten Sängern. Ich habe noch mit fast allen Mitgliedern aus meinem Jahrgang Kontakt. Wir waren wie eine kleine Familie. Das hilft natürlich sehr, wenn man in ein neues Land geht und man niemanden kennt, da braucht man gute Freunde. Nach der Zeit im Studio bin ich an der Staatsoper geblieben und ins feste Ensemble gewechselt. Dann hatte ich viele Proben und auch viele Vorstellungen. Und irgendwann trifft man die Leute, die im Opernstudio Meisterkurse gegeben haben, auf der Bühne wieder und sie sind auf einmal ganz normale Kollegen. Das war eine schöne Erfahrung.

»Ich musste mir bewusst sagen: Ich bin jetzt kein verrückter Teenager mehr, sondern die Königin der Nacht«

Gerade waren Sie noch in »Parsifal« als Blumenmädchen und Knappe zu erleben, dann als Königin der Nacht in »Die Zauberflöte«, nun als Flora in »The Turn of the Screw« und ab Juli als Pasquozza in »Ti vedo, ti sento, mi perdo«. Wie schaffen Sie es, in so kurzer Zeit zwischen den verschiedenen Rollen zu wechseln? Ist das für Sie Routine oder erfordert es jedes Mal Kraft und Anstrengung?
Zwischen den verschiedenen Rollen zu wechseln, lernt man mit der Zeit. Am Anfang war es für mich schwierig, da bin ich zu einer Probe gegangen und habe gemerkt, dass ich eigentlich in einem anderen Modus, in einer anderen Rolle war. Mit der Stimme hat das gar nicht so viel zu tun, es ist vor allem eine Kopfsache, man muss wirklich umschalten. Letzten Donnerstag hatte ich vormittags eine Probe für »The Turn of the Screw« und am Abend habe ich die Königin der Nacht gesungen. Der Nachmittag dazwischen war ruhig, da habe ich mich ein bisschen ausgeruht. Als ich dann für die Vorstellung herkam, musste ich mich erst mal mental vorbereiten und mir bewusst sagen »Ich bin jetzt kein verrückter Teenager mehr, sondern die Königin der Nacht«. Man muss eine andere Körperhaltung einnehmen, da hilft es sehr, ein bisschen vor dem Spiegel zu üben.

Was machen Sie als Ausgleich zu den langen Probentagen und den Aufführungen?
Am liebsten bin ich draußen mit meiner Hündin Pixie, einem portugiesischem Podengo. Jetzt wo der Frühling kommt, gehe ich gerne spazieren oder Kaffee trinken, lese ein Buch und entspanne – am liebsten im Freien. Das brauche ich nach den Probentagen im Winter, denn da ist man viel zu oft in Räumen ohne Fenster. Und wenn man dann nach Hause geht, ist es häufig schon Abend und deshalb auch schon wieder dunkel. Man geht schlafen und morgens, bevor es richtig hell ist, geht man wieder los und hat wieder Proben. Aber wenn die Proben vorbei sind, hat man endlich wieder die Freiheit, die Zeit auch draußen zu genießen.

Das Interview führte Leonie Stumpfögger.

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