Ein Wochenende an der Oper

OpernKompass - Foto: Thomas Bartilla

Bereits zum zweiten Mal bot der Studienkompass im Januar gemeinsam mit der Deutsche Bank Stiftung Teilnehmerinnenn und Teilnehmerin die Möglichkeit, Oper von innen heraus kennenzulernen. Beim Workshop opernKOMPASS konnten 20 junge Leute ein komplettes Wochenende hinter die Kulissen eines der weltweit führenden Opernhäuser blicken – die Staatsoper im Schiller Theater. Samira El Hattab war als Teilnehmerin mit dabei und hat ihre Eindrücke von dem Wochenende in einem Bericht festgehalten.

»Jetzt stellen wir uns bitte einmal in einem Kreis auf, der Ball, den ich gerade in der Hand halte wird zu einer beliebigen Person geworfen, dabei ruft ihr euren Namen.« So in etwa lauten die Worte der sympathisch lächelnden Theaterpädagogin Nadine, nachdem sie uns herzlich an der Staatsoper im Schiller Theater in Berlin willkommen geheißen hat. Es ist sehr typisch für einen Workshop beim Studienkompass, dass mit einem Kennenlernspiel gestartet wird. Typisch, jedoch auch ziemlich nützlich, denn unsere Gruppe kennt sich vielleicht gerade mal seit einer Stunde. Bunt zusammengewürfelt wurden wir, zwanzig Teilnehmer, aus ganz Nord- und Ostdeutschland. Teilweise schüchtern, teilweise mit verschlossener Körpersprache, fangen wir an, uns gegenseitig den kleinen Plastikball zuzuwerfen. Doch mit jedem Wurf werden wir offener. Schon bald klingt gelöstes Lachen durch den Theodor-Heuss-Zimmer in der Staatsoper, die sich momentan aufgrund von Sanierungsarbeiten in dem Gebäude des Schiller Theaters in Berlin-Charlottenburg befindet.

Dieses Prinzip zieht sich durch die gesamten drei Tage. Je mehr wir zusammen erleben, desto offener und gelöster werden wir untereinander, so dass es uns allen Sonntagvormittag schwer fällt, uns voneinander zu verabschieden. Ein wahnsinnig intensives Wochenende liegt hinter uns, bei dem wir jede Menge neue Informationen, Erfahrungen und in manchen Fällen auch neue Motivation für unseren Traumberuf mitgenommen haben.

Aber ich greife vor. Zum Auftakt führt uns unsere Workshopleiterin Isabel Ostermann in die spezielle Welt der Oper ein. Isabel ist die Persönliche Referentin des Intendanten und Regisseurin an der Staatsoper. Außerdem ist sie Alumna der »Akademie Musiktheater heute«, einem Stipendienprogramm der Deutsche Bank Stiftung. Extra für uns hat sie sich ihr ganzes Wochenende frei geschaufelt, um uns die Oper näher zu bringen, den Alltag ein Stück weit miterleben zu lassen und uns die vielseitigen, spannenden Berufe an einer Oper vorzustellen. »Ein bisschen kann man eure Situation mit denen der Schauspieler und Regisseure an einer Oper vergleichen«, klärt uns Isabel auf. »Auch diese kennen sich meistens zu Beginn einer Produktion nicht und lernen sich in den nächsten sechs Wochen in einer ganz intensiven Art und Weise kennen, um dann nach erfolgreichem Abschluss, sich eventuell nie wieder zu sehen.«

Ich bin erstaunt, nur circa sechs Wochen lang läuft eine Probe für eine neue Inszenierung? Tatsächlich! Dabei wird die kurze Zeit noch zwischen dem Regisseur und dem Dirigenten aufgeteilt. Anders als im Theater hat in der Oper neben dem Regisseur auch der Dirigent das Sagen. Zwei starke Persönlichkeiten treffen aufeinander, die nicht selten einen unterschiedlichen künstlerischen Ansatz haben und diesen auch durchgesetzt sehen wollen. »Es wird schon öfter kontrovers diskutiert zwischen den beiden«, lacht der junge Dramaturg Roman Reeger, den wir in der Kantine der Staatsoper treffen. Spontan wendet er sich uns zu, als er uns im Casino entdeckt. Nur ein paar Worte wechselt Isabel mit ihrem Kollegen und schon sitzen wir alle zusammen und unterhalten uns über den Beruf des Dramaturgen. »Mein Job ist es unter anderem auch, zwischen diesen beiden Charakteren zu vermitteln. Oft kommt der Regisseur zu mir und erzählt mir seine Sicht der Dinge und der nächste Besucher ist dann der Dirigent, der nicht selten ganz andere Ansichten und Schwerpunkte hat.«  Dramaturg – einer der vielen Berufe, die ein Opernlaie nicht kennt. Dabei ist Romans Job ein fundamental wichtiger in der Staatsoper. Die Bedeutsamkeit wird mir in seinem nächsten Satz klar. »Manchmal kommt ein Regisseur mit einem Werk zu mir, das er neu aufleben lassen möchte, und fragt mich, wie der Autor bestimmte Dinge gemeint haben könnte. Ich erkläre ihm dann diese Teile und mache deutlich, warum er diese zum Beispiel nicht einfach streichen kann, wenn das in seiner Absicht steht. Ich muss also wahnsinnig viel Literatur- und Kulturwissen haben. Quasi jeder Film oder jedes Buch, das ich in meiner Freizeit lese, ist gleichzeitig Arbeit.«

Unser nächster Stopp und gleichzeitig auch ein kleines Highlight des Freitagabends ist der Besuch der Seitenbühne. Den ganzen Tag lang haben wir uns im Tempolauf mit den verschiedensten Leuten über ihre Berufe unterhalten: Sei es der Lichttechniker, der Tonmeister und Toningenieur, die Maskenbildnerinnen, die Chefin der Komparserie oder der Requisiteur gewesen. Nun sehen wir sie alle richtig in Aktion, denn in ein paar Minuten soll die Inszenierung der »Zauberflöte« von Wolfgang Amadeus Mozart beginnen. Alle arbeiten Hand in Hand und verlassen sich gleichzeitig aufeinander. In jedem Gesprächen, das wir bis Dato führten, wurde mindestens einmal das Wort »Team« benutzt. Ohne Zusammenarbeit funktioniert nichts. »Wenn einer schläft kann das viel kaputt machen«,  erklärt uns der Tonmeister. Er steht in einem kleinen Raum, der aussieht wie ein Ministudio: Viele Computer und ein großes Pult voller Schalter und Knöpfe stehen hier eng nebeneinander. »Wenn der Sänger zum Beispiel auf ein Geräusch von uns wartet, damit er eine bestimmte Aktion machen kann und dieses Geräusch dann nicht kommt, ist das sehr ärgerlich. Der Sänger weiß schließlich auf der Bühne nicht was los ist. Es entsteht eine Pause und das kommt nicht wirklich gut. Immerhin bezahlen die Zuschauer viel Geld, um bestimmte Inszenierungen sehen zu können.«

Umso gespannter sind wir alle natürlich, ob heute alles klappen wird. Staunend beobachten wir die verschiedenen Leute, die sich bereits für den Beginn versammelt haben. Die Techniker, die einen sehr entspannten Eindruck machen, stehen schon länger zusammen und unterhalten sich, ein Sänger, der bereits geschminkt in seinem Kostüm steckt, läuft herum und gibt seltsame Lippengeräusche von sich, wahrscheinlich Stimmübungen. Ist er aufgeregt? Man kann es nicht genau sagen, doch ein wenig Nervosität meine ich in seinem schnellen Gang von rechts nach links  entdecken zu können. Es sind unheimlich viele Menschen hinter der Bühne unterwegs. Wer hier wohl den Überblick behält? »Ich bin quasi das Gehirn hier«, ein Mann, mit einem vollen, weißen Bart und einem Headset auf dem Kopf steht auf einmal vor uns. Er ist der Chefinspizient der Staatsoper. Ein Techniker hinter uns lacht. »Ja genau, und wir sind die Muskeln!« Sie grinsen sich beide vertraut an. Doch als »das Gehirn« könnte man den Beruf von Udo Metzner tatsächlich bezeichnen. Nicht nur weil später, während der Inszenierung, immer wieder seine tiefe, brummige Stimme über Lautsprecher durch das Haus schallt, um weitere Komparsen an ihren nächsten Einsatz zu erinnern, sondern weil er anscheint alles weiß. »Ihr könnt mich auch Kapitän, Pilot oder Chef nennen«, bietet er uns gut gelaunt an und unterstreicht damit die Wichtigkeit seines Berufes. Diese hohe Verantwortung hat auch ihren Preis: Freizeit hat man nur selten wenn man im Theater arbeitet, da sind sich auch Roman und Isabel sich einig: »Es ist eine Herzenssache hier zu arbeiten. Man muss es leben und lieben.«

Die Minuten schwinden. Jetzt ist es bald soweit, die Musiker sitzen bereits im Orchestergraben.

Nur der Dirigent fehlt noch. Ein Mann mit einem komplett schwarzen Anzug steuert Udo Metzner  an. »Wirft mich jemand in den Orchestergraben?«, höre ich. Wieder lachen Leute und der Dirigent verabschiedet sich ebenfalls lachend in Richtung Orchestergraben. Ganz klar kann man erkennen, dass sich hier wirklich alle wohl fühlen. Die Mitarbeiter in der Staatsoper Berlin lieben ihren Job, das hat man den kompletten Tag über gemerkt. Jeder einzelne von ihnen leuchtet schon fast vor Freude an seinem Beruf, während er uns ausführlich von seiner Aufgabe berichtet. Mittlerweile wird es wirklich unruhig. Immer mehr Leute versammeln sich auf der Seitenbühne. Man hört überall schnelle »toi, toi, toi«-Wünsche, es werden Küsschen und Umarmungen verteilt. Dann geht es los, das Orchester fängt an zu spielen. Einen Moment dürfen wir noch bleiben, doch dann werden wir höflich gebeten zu gehen, die Techniker brauchen jeden Millimeter. Allein diese zehn Minuten an der Seitenbühne der Oper reichen aus, um die Vorfreude auf den nächsten Tag erheblich steigen zu lassen. Denn zum Workshop-Programm gehört auch ein Besuch der Inszenierung von »La Bohème« am Samstagabend.

Um uns einen guten Einblick in dieses weltberühmte Werk zu geben, starten wir am nächsten Morgen mit einem Theaterpädagogischen Workshop, der speziell auf die Oper »La Bohème« abgestimmt ist. Ziel ist es, das gesamte Stück mit unserer Gruppe komplett durchzuspielen. Mit ein paar Schauspielübungen geht es los. Schnell ist die anfängliche Anspannung gelöst und als wir dann die verschieden Rollen zugeteilt bekommen und uns anfangen, in sie hineinzudenken, haben wir schon lange vergessen, dass es am Anfang für den Einen oder Anderen vielleicht ein bisschen peinlich gewesen ist. Am Ende des Workshops schaffen wir es tatsächlich, die wichtigsten Szenen der Oper auf unsere Werkstattbühne zu bringen und freuen uns wahnsinnig darauf, die eine oder andere Situation am Abend wieder zu erkennen.

Aber vorher steht noch ein weiterer wichtiger Punkt auf unserem Programm: der Besuch der Baustelle der Staatsoper Unter den Linden. Das Gebäude wird seit 2010 komplett saniert und bei unserem Rundgang können wir genau sehen, welche Dimensionen zum Beispiel der Bühnenbereich mit seinen Beleuchterbrücken, Zugstangen, Orchestergraben, Hubbühnen und Drehscheiben im Vergleich zum fast schon klein wirkenden Zuschauerraum einnimmt. Ein wirklich einzigartiger Einblick in diesen kulturhistorisch bedeutendsten Theaterbau Berlins. Nach dieser Führung muss es schnell gehen. Bald schon beginnt die Vorstellung und wir haben vorher noch ein Gespräch mit Pressesprecherin Victoria Dietrich…

Zurück im Schiller Theater wirkt für uns alles schon ganz heimelig. Von der Pforte bis zur Bühne – alle kennen uns und lächeln uns zu. Dann ist es so weit: Schick angezogen sitzen wir diesmal vor der Bühne im Zuschauerraum. Es ist schon ein tolles Gefühl zu wissen, was genau in diesem Moment hinter der Bühne passiert. Im meinem Inneren höre ich die Stimme von Udo Metzner, der allen Bescheid gibt, dass es jetzt gleich losgeht. Ich höre die »toi, toi, toi«-Wünsche und muss lächeln. Entspannt lehne ich mich in den gemütlichen roten Sessel des Hauses und denke darüber nach, was für ein Glück wir 20 Teilnehmer haben, dass wir dieses Ereignis erleben dürfen, dass uns dieser Einblick so intensiv gewährt wird und dass wir Oper so nah und so ehrlich kennenlernen können. An dieser Stelle noch ein Mal einen riesigen Dank an den Studienkompass, die Deutsche Bank Stiftung und die Staatsoper, die uns dies ermöglicht haben.

»La Bohème« war natürlich der Hammer! Wir alle kamen mit großen, leuchtenden Augen aus Puccinis  weihnachtlichem Paris. Wie schön, dass es draußen in Berlin dann tatsächlich schneite.

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