»Emotionale Extreme auf der Bühne«

Juliane Banse Portrait Frontal_c_Elsa Okazaki

Am 10. März gibt die international gefragte Sopranistin Juliane Banse mit dem Doppelabend »Tagebuch eines Verschollenen | La voix humaine« ihr Werkstatt-Debüt. Wir trafen sie zu einem Gespräch über die Probenarbeit, eine Rolle die ihr Sängerleben prägte sowie die drei berühmten Worte »The Met called« …

»Es ist konzentrierter auf das Wesentliche«

Sie kommen direkt aus der Probe – woran haben Sie heute in der Probe gearbeitet?
Der Fokus der Proben liegt, weil wir nicht mehr viel Zeit haben, auf dem Hineinfinden in den Raum und in diese sehr konzentrierte Situation. Wegen der Größe des Raumes muss man viel genauer dosieren, was man szenisch macht, als wenn man auf einer großen Bühne ist. Insofern sind wir im Moment dabei, wenige, aber wichtige Dinge heraus zu filtern, die die Bühnensituation möglichst klar charakterisieren. Viel Bewegung und viel Herumgezappel ist in diesem Bühnenbild und in diesem Stück nicht angebracht.

Sie haben die Rolle in »Voix humaine« in diesem Januar an der Oper in Köln gesungen. Welcher Effekt entsteht dadurch, die Partie nun hier auf der Werkstattbühne ein weiteres Mal zu spielen?
Natürlich lernt man eine Rolle besser kennen, wenn man sie mehrmals singt. Die Bedingungen sind hier etwas anders – durch den viel kleineren Raum und dadurch, dass hier nur ein Klavier den musikalischen Part übernimmt, statt einem Orchester. Es ist konzentrierter auf das Wesentliche. Da kann man kann stimmlich mehr in die Extreme gehen, auch ins extreme Piano, weil man sich nicht darum kümmern muss, ob man mit der Lautstärke über das Orchester kommt. Szenisch gilt das gleiche: Dadurch, dass die Leute hier so wahnsinnig nah am Geschehen sind, kann man gestisch und mimisch wirklich in Kleinstform gehen. Für mich ist es hilfreich, dass ich die Rolle und die damit verbundenen extremen Gefühlszustände vorher auf der großen Bühne in Köln gespielt habe. Man muss sie hier nur durch sparsamere Mittel ausdrücken.

»Die Herausforderung bei ‚Voix humaine‘ ist es, die verschiedenen Seelenzustände zu zeigen«

Was ist das Besondere an der Rolle »Tagebuch eines Verschollenen │ La voix humaine« Welche Anforderungen stellt diese Rolle an Sie?
Normalerweise ist man, wenn man »Voix humaine« singt, alleine auf der Bühne. Das ist einerseits eine große Herausforderung und andererseits natürlich eine Riesenchance. Jetzt ist hier durch die Kombination mit »Tagebuch eines Verschollenen« noch ein Gegenpart vorhanden, insofern ist es eine andere Ausgangssituation. Die Herausforderung bei »Voix humaine« ist es, die verschiedenen Seelenzustände zu zeigen, den Weg, den diese Frau innerhalb dieser 40 Minuten geht. Wie in den meisten Inszenierungen dieses Stücks ist es auch bei uns so, dass der Großteil der Telefongespräche gar nicht in Wirklichkeit stattfindet, sondern vielmehr in ihrem Kopf oder in ihrer Erinnerung. Es gibt sehr viele Facetten, die berücksichtigt werden müssen, denn es geht hier um eine wahnsinnig vielfältige Persönlichkeit. Sie ist mitnichten einfach eine verlassene, frustrierte Frau, deren Mann zu einer Jüngeren gegangen ist. Würde man das glauben, unterschätzt man sie sehr. Es ist sehr fordernd und auch sehr ergiebig, diese Rolle zu spielen.

»Wenn ich eine Figur spiele, dann lasse ich sie wirklich in mich hinein und das kann unter Umständen sehr anstrengend sein«

Sie haben eine beeindruckende Vielfalt an Rollen gesungen. Setzen Sie sich immer neue Ziele, welche Partien Sie noch erarbeiten wollen?
Natürlich gibt es immer mal Partien, die man spannend findet und gerne spielen würde, aber das bedeutet natürlich längst nicht, dass es wirklich dazu kommt. Ich kann Wünsche äußern, aber es hängt auch immer davon ab, was Dirigenten und Regisseure in mir sehen und bei welchen Rollen sie denken »Das könnte passen!«. Unterschiedliche Leute sehen in Sängern unterschiedliche Dinge. Natürlich ist es auch eine Entwicklung, die man im Laufe einer Karriere durchmacht. Man kann immer mehr schöpfen aus der Reife und aus der Erfahrung – stimmlich und gestalterisch –, so dass dann irgendwann die Zeit reif ist für eine bestimmte Rolle. Ich glaube zum Beispiel, dass die Rolle in »Voix humaine« für mich jetzt ziemlich ideal ist. Ich weiß nicht, ob ich mich vor 15 Jahren getraut hätte, diese emotionalen Extreme auf der Bühne darzustellen. Man braucht eine gewisse persönliche Freiheit, um das zu spielen und auch zuzulassen. Diese Figuren kommen ja immer sehr nah an einen heran. Wenn ich eine Figur spiele, dann lasse ich sie wirklich in mich hinein und das kann unter Umständen sehr anstrengend sein. Diese Stärke, das aushalten und zulassen zu können, hat man mit 25 Jahren vielleicht noch nicht. Ich habe auch noch viele Ideen, wie es bei mir jetzt weitergeht, das ist immer eine Entwicklung.

»Die Partie der Pamina über einen so langen Zeitraum mit Harry Kupfer zu erarbeiten, das hat mich geprägt für mein ganzes Sängerleben«

Angefangen haben Sie schon sehr früh, mit 20 Jahren standen Sie in der Komischen Oper als Pamina auf der Bühne. Wie kam es dazu?
Das war meine erste große Rolle, da war ich noch mitten im Studium. Ich studierte damals bei Brigitte Fassbaender und die arbeitete wiederum mit Harry Kupfer zusammen in Wien. Er meinte, er bräuchte für seine Wiederaufnahme der »Zauberflöte« an der Komischen Oper dringend eine Pamina und da hat sie mich vorgeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich erst zwei Semester studiert und so bin ich dann nach Berlin gefahren. Das waren damals noch die »goldenen Zeiten«, wo an der Komischen Oper für eine Wiederaufnahme noch sechs bis acht Wochen geprobt wurden. Das war für mich ein Riesenglück, denn diese Partie über einen so langen Zeitraum mit Harry Kupfer zu erarbeiten, das hat mich geprägt für mein ganzes Sängerleben. Diese Partie der Pamina hat mich fast 20 Jahre begleitet und ich habe immer davon gezehrt, dass ich die Partie damals so genau erarbeitet hatte. Diese genaue und detaillierte Probenarbeit war eine ganz besondere Erfahrung, das habe ich danach nicht mehr oft erlebt. Eine bessere Schule hätte ich mir nicht wünschen können! Natürlich war es auch hart – ich habe alle paar Tage gesagt, ich fahre nach Hause, ich kann das nicht. Das lag daran, dass Harry Kupfer einfach nicht nachgelassen hat. Er hat immer weiter gebohrt, sowohl in der Partie als auch in mir. Und das ist genau das, was letztendlich zu einem tollen Ergebnis geführt hat.

Und wie war dann Ihr weiterer Werdegang?
Ich habe an der Komischen Oper noch zwei Produktionen gemacht, alle noch während meines Studiums. Eine Neuproduktion von »Idomeneo« und eine Wiederaufnahme von »Figaro«. Ich habe parallel zur Oper von Anfang an, natürlich auch durch die Prägung von Fassbaender, immer schon Liederabende und Konzerte gegeben. Ich hatte viele Jahre einen Residenzvertrag an der Wiener Staatsoper, wo ich auch viele Rollen gesungen habe. Insofern begann meine Karriere mit einem Schnellstart und danach hat sich alles organisch weiterentwickelt. Von Harry Kupfers »Zauberflöte« über die Uraufführung von »Schneewittchen« von Heinz Holliger war von allem was dabei…

…bis hin zur Met.
Bis zur Met, genau, das war quasi das Sahnehäubchen und im Grunde war es auch ein Zufall: Ich saß in Wien in der Volksoper in einer Generalprobe von »Albert Herring«, den wiederum Brigitte Fassbaender inszeniert hatte. Und in dieser Probe saß auch Ioan Holender, der ja viele Jahre mein Direktor in der Wiener Staatsoper war und der darüber hinaus einen Beratervertrag mit der Met hatte und häufig die europäischen Sänger empfahl. Er zog mich irgendwann im Laufe des Morgens zur Seite und sagte »Singen Sie noch die Zdenka? Können Sie die noch?« Daraufhin habe ich gesagt »Naja, eigentlich bin ich jetzt zu Arabella gewechselt, aber worum geht’s denn?» Und dann sagte er, dass die Met wegen einer Absage dringend eine Zdenka suche und ob er da mal meinen Namen nennen solle. »Ja, nennen Sie mal meinen Namen, das kann ja nie schaden«, meinte ich, aber ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass nichts daraus wird. Ich habe dann auch einige Tage nichts von ihm gehört, deshalb dachte ich, das hätte sich erledigt, aber dann klingelte doch das Telefon. »The Met called«, diese berühmten drei Worte. Und dann gab es natürlich keine Alternative, das musste ich natürlich machen. Also bin ich eben wieder zu Zdenka zurückgewechselt und letztendlich hatte ich da eine wunderschöne Zeit mit einer tollen Produktion und einem fantastischen Team.

Und was verbinden Sie mit der Staatsoper?
Ich habe ein Mal hier gesungen, auch wieder die »Zauberflöte«. Pamina war einfach viele Jahre lang die Rolle, bei der mir überall die Tür aufging, mein Markenzeichen. Als ich hier gesungen habe, war ich gerade mit meinem ersten Sohn schwanger. Bei der Produktion gab es einen Steg zwischen dem Orchester und der ersten Reihe, über den man laufen musste. Mit meinem Babybauch hatte ich erst mal große Angst, dass ich da runterfalle, aber es ist natürlich nichts passiert. Diese Produktion war aber tatsächlich das Einzige, was ich hier gemacht habe. Insofern bin ich sehr froh, jetzt wieder hier zu sein. Das ist wunderbar.

Das Gespräch führte Leonie Stumpfögger

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