»Die Gastfreundschaft war ihnen immer das Wichtigste und das war es, was uns geprägt hat.«

Vom 26. März bis zum 6. April 2018 war der Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden zusammen mit Vinzenz Weissenburger, der den Chor seit 2007 leitet, auf Tournee in Argentinien. Die 40 Kinder im Alter von 10 bis 16 Jahren traten in Buenos Aires, Córdoba und Mendoza auf und trafen verschiedene argentinische Kinderchöre. Nach Vietnam (2015), China und den USA (2016) war es die vierte große Konzertreise des Kinderchors. Wir trafen uns mit Delara, Inna, Lorenz (alle 12 Jahre alt), Jule (13), Elisabeth (14) und Kira (16), die alle zum ersten Mal in Südamerika waren, um über ihre Erlebnisse zu sprechen und wurden direkt angesteckt von der Begeisterung, mit der sie erzählten.

Wie habt ihr euch im Chor auf die Reise vorbereitet?
Jule: Unsere Konzerte in Argentinien hatten das Thema Folklore. Wir haben uns aus allen möglichen Ländern Stücke ausgesucht und einstudiert. Aus Deutschland hatten wir »Auf einem Baum ein Kuckuck saß« im Programm, aus Amerika hatten wir »Deep River«, aus Südafrika »Shosholoza« und »Vem kan segla«, ein nordisches Lied und eins aus Ungarn.
Delara: Viele Stücke davon hatten wir sowieso schon in unserem Repertoire und wir haben dann jeweils noch einzelne Stellen geübt.
Elisabeth: Wir hätten uns auch gefreut, ein argentinisches Lied zu singen, aber es war dann leider zeitlich zu knapp. Das Lied war noch nicht fertig geschrieben, deshalb konnten es uns die Leute vor Ort nicht rechtzeitig zuschicken.

»Ich hatte von Argentinien allgemein den Eindruck, dass es da sehr lebhaft ist«

Am 1. Tag der Reise in Buenos Aires

Hattet ihr vorab bestimmte Erwartungen an die Reise oder an das Land?
Jule: Gutes Essen! Und ich hatte von Argentinien allgemein den Eindruck, dass es da sehr lebhaft ist.
Inna: Ja, die Stimmung und die Leute sind schon anders. Hier in Deutschland sagen wir zum Beispiel einfach nur »Guten Morgen«, aber in Argentinien kommen die Leute direkt auf dich zu und geben dir links und rechts auf die Wange einen Kuss und sagen »Hello, cómo estás?«.
Delara: Die Leute waren alle wirklich sehr gastfreundlich, das hätte ich so gar nicht unbedingt erwartet

Wie habt ihr vor Ort gewohnt?
Lorenz: Wir waren in Gastfamilien untergebracht, die uns zugeteilt wurden.
Elisabeth: Meistens waren wir zu zweit bei einer Familie.
Jule: Die Kinder der Familien waren in den Chören, die wir besucht haben und mit denen wir auch Konzerte gesungen haben. Und dann gab es natürlich noch Geschwister und andere Verwandte, die mit ihnen gelebt haben.

 Und wie habt ihr euch mit euren Familien verstanden?
Lorenz: Meine Gastfamilie in Buenos Aires war echt cool. Die hatten einen Sohn, der war 18 und für mich schon so ein bisschen wie ein großer Bruder – auch wenn ich nur drei Tage bei ihnen war.
Inna: Ich hab mich richtig gut mit meinem Gastmädchen verstanden, wir waren zusammen frühstücken. Die freie Zeit, die wir zusammen mit der Gastfamilie verbracht haben, haben wir auch richtig ausgenutzt, weil wir uns so gut verstanden haben. Und wir haben auch immer noch sehr viel Kontakt, wir schreiben oft über WhatsApp.
Jule: Ein anderes Mädchen und ich, wir waren in Buenos Aires in keiner richtigen Gastfamilie, weil es nicht genügend gab. Deshalb waren wir bei einer Frau, die im Teatro Colón, wo wir auch gesungen haben, im Orchester gespielt hat. Sie hatte selbst einen Sohn, aber der war schon erwachsen.

 Gab es Momente, in denen ihr Heimweh hattet?

In Mendoza: Lorenz, Jasper, Jule, Inna und Delara

Alle: Nee, gar nicht.
Delara: Die Reisen machen immer so großen Spaß und man ist die ganze Zeit mit seinen Freunden zusammen, da vergisst man das irgendwie.
Inna: Naja, in den Momenten, in denen man in seinem Zimmer ist, und man keine andere Beschäftigung hat, da denkt man automatisch daran, was die Leute zu  Hause wohl machen und man fängt automatisch an, sie zu vermissen. In den Momenten hat man dann halt schon ein bisschen Heimweh.

Wie liefen die Proben vor Ort?
Jule: Wir hatten vor Ort nicht mehr viele Proben, eigentlich nur Stellproben. Wir haben da nicht mehr viel an den Stücken gearbeitet.
Elisabeth: Ich hatte das Gefühl, dass es in Argentinien auch nicht üblich ist, dass man vor den Konzerten noch ganz viel vor Ort übt. Alles war ein bisschen chaotisch und unorganisiert, aber das war einfach die argentinische Art und Weise, wie wir gelernt haben. Einmal hatten wir nicht einmal eine Stellprobe, dann sind wir einfach auf die Bühne gegangen und haben losgelegt. Und dann wurde es trotzdem gut. Es ist schon ein großer Kontrast zu Deutschland: Hier hat man alles strukturiert und man soll pünktlich ankommen und in Argentinien kommt man eine halbe Stunde zu spät und die sagen Leute sagen »Ach, perfekt«

»Wir haben bei jedem Konzert eine Zugabe gesungen«

Und wie liefen die Konzerte? Wart ihr selber zufrieden?
Alle: Ja, sehr!
Jule: Ganz am Anfang in Buenos Aires waren wir alle noch sehr müde und kaputt und wir hatten uns noch nicht an das Klima gewöhnt, aber wir haben trotzdem gegeben, was wir konnten.

Konzert im Teatro Colón in Buenos Aires

Lorenz: Ich glaube auch, dass Herr Weissenburger, unser Chorleiter, ganz zufrieden war. Wir haben immer viel Applaus bekommen und manchmal gab es auch Standing Ovations.
Inna: Es gab eine sehr schöne Situation bei einem Konzert, das wir in einer Kirche gesungen haben: Bei dem Stück »Sub tuum praesidium« von Mozart haben die Leute sogar angefangen zu weinen und danach haben sie noch richtig lange geklatscht. Ich glaube, wir haben bei jedem Konzert eine Zugabe gesungen.

Gibt es ein Ereignis, das euch besonders in Erinnerung geblieben ist?
Jule: Eigentlich die ganze Reise. Aber wir hatten zwischendurch immer besonders tolle Momente, an die man sich gut erinnern kann. Nach einem Konzert in Buenos Aires sind wir noch mit Kindern aus dem Chor in Buenos Aires und deren Eltern zum Hafen gegangen. Das war gut, denn dort konnten wir uns besser kennenlernen und einfach reden. Die haben uns ein paar Sachen auf Spanisch beigebracht und wir ihnen auf Deutsch, das war sehr witzig. Dann wurde es dunkel und bunte Lichter wurden angeschaltet, das war so schön!
Inna: Einmal waren wir bis zwei Uhr mit ein paar Leuten in einem Restaurant und haben einfach Abend gegessen. Wenn man dann rausgeht, sind nicht mehr so viele Leute unterwegs, es ist viel ruhiger und die ganzen Lichter sind an. Dann ist es besonders schön, durch die Straßen zu laufen, vor allem auch weil es dort um diese Uhrzeit noch warm ist.
Lorenz: Mein schönster Moment, das war auch in Buenos Aires: Da sind wir abends noch mit der Gastfamilie Eis essen gegangen – es war schon Mitternacht – und wir waren auf einer Dachterrasse, konnten die Sterne sehen und haben dabei Eis gegessen.
Inna: Das ist uns auch immer wieder aufgefallen: Die Leute dort gehen viel später ins Bett. Du wirst dann immer gefragt »You’re sleepy, right?« und wenn wir »Ja« gesagt haben, haben sie sich richtig gewundert, weil die Kinder dort erst um zwei oder drei Uhr nachts ins Bett gehen.
Kira: Ich fand es schön, als uns die Chorleiterin in Córdoba zu sich eingeladen hat. Sie hatte ein großes Haus mit einem Pool, wo wir auch gegrillt und getanzt haben. Es gab ein kleines Mikrofon und wir haben dann ganz spontan gesungen, zum Beispiel »Despacito«, »Love Yourself«, »Mamma Mia« oder auch »Bohemian Rhapsody«. Das hat richtig Spaß gemacht!

Zu Besuch bei der Chorleitung in Córdoba:
Erst wurde gesungen und dann getanzt

 

 

»In Cordoba und in Mendoza haben wir eigentlich nur über Google Übersetzer kommuniziert
oder einfach mit Gesten – das ging dann auch irgendwie. «

Wie seid ihr mit der Sprache zurechtgekommen? Wie habt ihr euch mit euren Gastfamilien verständigt?
Delara: In manchen Familien konnten die Leute gar kein Englisch. Dann musste man mit Google Übersetzer arbeiten.
Inna: In Mendoza konnte meine Familie überhaupt kein Englisch. Einmal habe ich gesagt »I have to wash my hair«, aber wir mussten eigentlich schon los und dann meinte mein Gastvater »You can do it in the car«. Daraufhin mussten wir jedes Wort zehn Mal einzeln bei Google Übersetzer eingeben, weil es dort die ganze Zeit falsch übersetzt wurde. Er hatte wohl »brush« verstanden. Das war wirklich lustig.

Mit dem Gastchor aus Buenos Aires im Teatro Colón

Jule: Ich habe schon seit mehreren Jahren Spanisch in der Schule, deshalb konnte ich mich ganz gut verständigen. Aber die Argentinier haben einen anderen Dialekt, »doppel L« wird in Spanien zum Beispiel wie »J« ausgesprochen, während es in Argentinien wie »Sch« ausgesprochen wird. Das macht einen großen Unterschied.
Lorenz: Ich hatte Glück, in meiner ersten Familie konnten alle Englisch sprechen. Aber das war eher eine Ausnahme. In Cordoba und in Mendoza haben wir eigentlich nur über Google Übersetzer kommuniziert oder einfach mit Gesten – das ging dann auch irgendwie.
Jule: Auch wenn die Kommunikation nicht immer einfach war, fand ich es wirklich lieb, wie die Gasteltern trotzdem versucht haben, mit uns zu reden. Sie haben alles Mögliche versucht und gezeigt und dann ging es ganz gut.
Elisabeth: Meine Freundin, die in derselben Gastfamilie untergebracht war, konnte ein bisschen Spanisch sprechen und das hat gereicht, um sich verständlich zu machen. Ich spreche fließend Französisch und da sich Französisch und Spanisch ähneln, konnte ich auch einiges verstehen, auch wenn ich gar kein Spanisch spreche

Was für Wörter habt ihr auf Spanisch gelernt?
Alle: lachen
Inna: Zum Beispiel »Me llamo Inna«, also »Ich heiße Inna« oder auch »Cómo estás?« (»Wie geht’s?«) oder »Che boludo?« (»Was geht?«) .
Delara: Die Leute dort sind immer gekommen und meinten »Hola chica«.
Lorenz: Ich kann noch »Yo tengo 12 años«, »Ich bin 12 Jahre alt«.

Alles in allem, was habt ihr von der Reise mitgenommen?
Delara: Jetzt, wo man darüber spricht, merkt man erst, wie viel man eigentlich gemacht hat.
Inna: Was für mich sehr eindrücklich war, war der Unterschied zwischen arm und reich – der ist richtig groß. Es gab Gastfamilien, die nicht so viel Geld hatten und dann gab es andere Familien, die in großen Villen gelebt haben. Das war schon krass, sich darüber auszutauschen.
Kira: Ich fand, es gab nicht wirklich eine Mittelschicht. Es gab entweder ganz Reiche oder ganz Arme.
Lorenz: Aber auf jeden Fall haben sich alle Familien viel Mühe gegeben und alle waren sehr nett.

Elisabeth: Die Gastfreundschaft war ihnen immer das Wichtigste und ich glaube, das war es, was uns geprägt hat. Auch wenn das Haus vielleicht nicht so schön war, die Leute waren alle so freundlich – nichts anderes hat gezählt.
Jule: Wir haben auch gemerkt, wie gut es uns hier in Berlin geht. Der Chor von Córdoba ist ja Anfang des Jahres auch nach Berlin gekommen und als sie zurückkamen meinte unser Gastkind, dass es total schön war und dass wir so ein großes Haus hätten und alles so sauber gewesen sei. Man hat gemerkt, dass sich dann in Argentinien alle besonders bemüht haben, es uns auch schön zu machen.

Delara bei einem Zwischenstopp an einem Bergsee am Rande der Anden

Elisabeth: Wir werden bald mit dem Chor noch ein Nachtreffen haben, bei dem wir alles noch einmal rekapitulieren können, denn vor Ort haben wir – außer bei den Konzerten und ein paar Freizeitaktivitäten – gar nicht so viel Zeit als Gruppe verbracht. Ein paar Leute, die mit auf der Reise waren, verlassen jetzt den Chor, deshalb wollen wir die Zeit noch zusammen genießen und einen schönen Abschluss haben.
Lorenz: Wir sind auf jeden Fall sehr dankbar, beim Chor dabei zu sein, nicht nur wegen der Reisen, sondern einfach auch, weil es generell eine schöne Erfahrung ist. Dass man dann noch die Möglichkeit hat, um die ganze Welt zu reisen, das ist schon echt cool.

 

Das Interview führten Leonie Stumpfögger und Katharina Langels

 

 

 

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