New Faces: Sarah Aristidou

»Wenn ich singe, dann geht meine Seele auf«, sagt Sopranistin Sarah Aristidou, Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Unter den Linden. Diese Spielzeit war sie zuletzt in »Fanny! – Wer will mir wehren zu singen?« auf der Bühne zu sehen, ab 7. Juli ist sie in »Ti vedo, ti sento, mi perdo« zu erleben. Wir haben uns mit ihr an einem ihrer Lieblingsorte in Berlin getroffen und über das Opernstudio, ihren Weg dorthin und was sie macht, wenn sie mal nicht an der Staatsoper ist, unterhalten.

Den Ort, an dem wir uns heute treffen, hast Du ausgesucht. Wo sind wir hier?

Wir sind hier im Zentrum meines Kiezes, dem Schillerkiez in Neukölln, im Selig. Neukölln bringt mich ein Stück näher an meine Heimat. Mein Vater ist aus Zypern, meine Mutter aus Frankreich. Ich bin an verschiedenen Orten aufgewachsen und in verschiedenen Kulturen groß geworden. Unser Freundeskreis ist komplett international. Ich habe es als Kind geliebt, auf Zypern inmitten von politischen Debatten zu stehen, während alle in verschiedenen Sprachen diskutieren. Hier im Kiez ist es so schön, weil es eine Explosion an Kultur und Energie ist, ich fühle mich sehr wohl.

 

 

Beruflich bist Du ja viel in Mitte, Unter den Linden, Du bist Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper. Wie stelle ich mir eine Woche am Opernstudio vor?

Es ist jeden Tag anders. Es kommt immer darauf an, ob man in einer Produktion tätig ist oder nicht. Wenn das der Fall ist, dann probt man den ganzen Tag und hat dazwischen noch Coachings mit Partienstudium und Gesangsunterricht oder Workshops sowie Körpertraining, Sprachcoaching und Schauspielcoaching. Wie eine Woche ohne Produktionen aussieht, kann ich nicht sagen, weil ich bisher durchgängig in Produktionen tätig war. Wir erfahren unseren Tagesplan immer einen Tag im Voraus. Ich liebe das, es ist eine gute Herausforderung, zu lernen, in die Zukunft zu planen und gleichzeitig total im jetzigen Moment zu leben. Ich mag es, nicht zu wissen, was in zwei Tagen passiert (lacht). Urlaub planen ist nicht so einfach, aber man lernt sehr schnell, sich zu organisieren.


Wieso wolltest Du nach dem Studium ins Opernstudio, statt direkt ein Engagement zu suchen?

Ich habe auch direkt ein Engagement gefunden. Ich hatte das Studium noch nicht richtig beendet und war in Frankreich, in Nantes am Opernhaus und habe die Eurydice in ›Orpheus in der Unterwelt‹ gesungen. Es ist eine Traumpartie, weil es eine der einzigen Koloratursopranrollen in der Operette ist, die richtig hochgeht, mit Koloraturen. Es war mein erstes richtiges Engagement; raus aus dem Studium und wirklich freischaffend arbeiten. Während meines Studiums habe ich mit Isabel Ostermann, der damaligen Künstlerischen Leiterin der Neuen Werkstatt der Staatsoper, in einem Workshop gearbeitet und es hat mir sehr gefallen. Sie und mein Agent haben vorgeschlagen, mich zu bewerben. Eigentlich habe ich schon mein ganzes Leben studiert. Ich habe mit neun Jahren im französischen Rundfunkchor in Paris gesungen und mit Menschen wie Kurt Masur und Ricardo Muti gearbeitet. Ich habe Komposition und Analyse studiert, ich habe einen Abschluss in Musiktheorie, ich habe einen Bachelor in Musikwissenschaft (lacht) und dann noch meine gesangliche Ausbildung.

Ich habe immer gelernt, ich liebe es, Erfahrungen zu sammeln.

Ich sehe das Opernstudio gar nicht so sehr als Studium. Wir sind alle junge ausgebildete Künstler und Sänger und wir werden auch so behandelt, auf der Bühne sind wir alle Kollegen. Wir werden unterstützt von der Liz Mohn Stiftung und der Staatsoper und können dadurch unsere Karriere aufbauen und uns vollständig auf unseren Beruf konzentrieren, was unglaublich wichtig ist. Uns wird das Vertrauen gegeben, dass wir das alles können und wir werden dabei unterstützt, alles ans Licht zu bringen, was wir in uns haben. Ich persönlich habe beispielsweise viel Temperament und sehr viel Energie und ich lerne hier, das zu kanalisieren. Die Energie richtig in den Gesang zu bringen und mehr mit mir selber verbunden zu sein. Das ist eine wahnsinnige Lehre, es ist wirklich spannend (lacht). Ich habe wirklich Glück diese Saison, ich bin in drei Produktionen auf der Hauptbühne und in drei in der Neuen Werkstatt. Ich hatte eine Hauptrolle in ›Sommertag‹, damit hatte ich nicht gerechnet. Nächstes Jahr singe ich unter anderem unter der Leitung Daniel Barenboims und Sir Simon Rattles. Wir werden gut gefördert und die Partien werden passend für uns ausgesucht. Diese Chance, direkt auf die Bühne zu kommen und mit Weltklassekünstlern zu arbeiten, ist unglaublich. Jeden Tag trifft man jemanden, bei dem man denkt, den kenne ich irgendwoher, vielleicht aus dem Fernsehen. Alle sind unglaublich offen, unterstützen einen und geben auch Tipps. Ich fühle mich sehr wohl, es ist ein Traum (lacht).


Was magst Du am liebsten an Deinem Job?

Ich liebe Singen und es ist meine Leidenschaft. Wenn ich singe, dann geht meine Seele auf. Es vibriert alles in mir und ich fühle mich sehr mit mir verbunden. Ich bin so dankbar, dass ich das als meinen Job machen kann. Ich sehe das gar nicht als Arbeit, ich sage nie: ich gehe heute zur Arbeit. Es ist wirklich ein großes Glück, und ich liebe es in verschiedene Rollen zu schlüpfen und verschiedene Charaktere zu haben. Emotionen zu erforschen, ganz viel zu erleben, an die Grenzen zu gehen. Neue Sachen entdecken und neue Wege suchen. Es ist auch meine Art, mich auszudrücken, meiner Stimme eine Stimme zu geben. Eines meiner größten Vorbilder ist Daniel Barenboim, nicht nur in Hinblick auf Musik und sein Dirigat, sondern auch wegen dem, was er alles gemacht hat und macht, mit dem West-Eastern Divan Orchestra zum Beispiel. Diese Brücke, die er geschaffen hat. Natürlich ist er kein Politiker, und ich bin es auch nicht und würde niemals wagen, Politik zu machen, aber diese Art, Leute zu bewegen, bringt wahnsinnig viel. Für meinen Masterabschluss sollte ich ein Konzert machen. Einfach nur Titel auszusuchen hat mich nicht interessiert, ich habe ein Programm entwickelt, das sich gegen die Todesstrafe richtete. Ich habe ein Jahr lang geforscht, zwischendurch habe ich aufgegeben, weil es mich zu sehr aufgewühlt hat. Aber am Ende hatte ich ein ganzes Programm entwickelt, ausgehend von Victor Hugos Buch ›Die letzten Tage eines Verurteilten‹. Es gab ein Programmheft, auch inspiriert von Rumi, dem Sufi-Dichter. Das Konzert endete mit Brahms‘ Requiem, glücklicherweise (lacht). Das Publikum hatte das Programmheft, bevor ich auf die Bühne kam und als ich auf der Bühne stand, war die Atmosphäre so spannend. Ich habe gespürt, dass einige einverstanden sind, andere nicht, und dieser Reiz, da dachte ich mir, allein da wurde schon jemand bewegt. Ob man sich danach mit der Todesstrafe beschäftigt, oder nicht. Und die Musik, so ein Abend regt irgendetwas auf in den Leuten und das finde ich spannend.

Mich interessiert es, Menschen zu berühren und zu erreichen.

Zu sagen: ›Das ist es, was ich glaube und denke, was ich zu sagen habe, und was meint Ihr? Wie steht Ihr dazu, wie findet Ihr das?‹ Ich hatte sehr viel moderne Musik im Programm, ich liebe das. Das ist wie ein Universum, man öffnet die Noten, und da sind manchmal keine Rhythmen, nichts, man kann alles entwickeln, je nachdem, wer man ist. Es ist eine unglaubliche Farbpalette möglich und jede Vorstellung kann anders sein. Die Emotionen kann man spürbar machen und raussuchen: Wie ist das? Was sind das für Laute, die der Komponist wollte? Ich liebe Experimente und Abenteuer und auch, Grenzen zu erweitern. Da fühle ich mich frei. Ich wurde durch meine musikalische Ausbildung dazu erzogen, die schwierigsten Sachen in sehr kurzer Zeit zu lernen. Für mich ist es ein System, wie Räder, die zusammenkommen und dann drehen wir uns. Ich sehe ein bisschen verrückt aus, wenn ich moderne Musik lerne (lacht). Neben moderner Musik gab es an dem Abend auch Barock bis Romantik. Es war ein vielfältiges Programm, ich habe es geliebt, diesen Abend zu entwickeln.


Von welcher Partie träumst Du?

Von der Königin der Nacht in Mozarts ›Zauberflöte‹ und Lucia in Donizettis ›Lucia di Lammermoor‹. Das sind meine Traumpartien, natürlich nicht für nächstes Jahr (lacht), aber ich arbeite daran. Ich bin damit groß geworden. Ich habe sehr früh Musik gemacht, meine Eltern kommen nicht aus dem Bereich klassische Musik, aber auf Zypern kannte die Tante meines Vaters alle Volkslieder und ich habe schon damals viel gesungen. Ich bin mit orientalischen Klängen vertraut. Als ich Komposition und Harmonielehre studiert habe, habe ich immer automatisch mit orientalischen Klängen geschrieben. Und das ging natürlich in einer Übung wie ›Schreibe eine Fuge im Stil von Bach‹ gar nicht, und das konnte ich nicht. Ich wollte immer diese verminderte Sekunde beim Sopran schreiben, und ich durfte das nicht (lacht). Meine Eltern haben mir damals ein CD von der Callas geschenkt, sie ist Griechin und mein Vater mag Oper sonst nicht, aber weil sie Griechin ist, konnte ich sie hören. Ich hätte die CD mitbringen können, sie fällt komplett auseinander, also das Libretto, ich habe sie rauf und runter gehört. Ich wusste ab dem Moment: Ich will wie die Callas sein. Lucia ist drauf, und auch Carmen und Tosca, was eigentlich meine absoluten Traumpartien sind, aber von den beiden musste ich mich verabschieden (lacht). Weil es nicht mein Fach ist, ich bin ja Koloratursopran. Aber vom Temperament her, ich brenne, wenn ich Carmen oder Tosca höre, Tosca ist meine Lieblingsoper. Ich würde sie wahnsinnig gern singen, aber vielleicht ist es auch besser, davon zu träumen, ich kenne die Opern auswendig. Die Königin der Nacht würde ich gern singen, weil ich der Meinung bin, dass diese Rolle viel mehr anzubieten hat, auch psychologisch. Man hört oft von allen Seiten, das sind Koloraturen, das muss einfach sitzen, das musst Du abliefern, aber es ist Mozart. Ich bin der Überzeugung, dass Mozart nie etwas einfach nur so geschrieben hat. Sie wird oft als hysterische Frau bezeichnet, aber ich glaube, dahinter steckt viel mehr als ein Machtwunsch und ich möchte das erforschen. Ich will schauen, was dann machbar ist.


Was machst Du, wenn Du nicht an der Staatsoper bist?

Ich esse (lacht). Ich liebe Essen und ich liebe es auch, zu kochen. Und wenn ich mal nicht arbeite und nicht 216 Meter Bungee Jumping in Südafrika mache…

In Südafrika machst Du Bunge Jumping?!

Ich bin ein abenteuerlicher Mensch, ich liebe Extreme und das Bunge Jumping war auch ein Zufall. Ich war in Südafrika und bin da vorbeigekommen. Da stand: Die höchste Brücke der Welt für Bungee Jumping. Da dachte ich mir: Ja, hatte ich sowieso auf meiner Liste. Dann hier.
Eine Leidenschaft ist Yoga. Ashtanga Yoga und Yin Yoga, die das das komplette Gegenteil voneinander sind und sich gerade dadurch ergänzen. Ich könnte mir vorstellen, irgendwann für mich persönlich eine Ausbildung in Yin Yoga zu machen, weil es mir für die Bühne unglaublich hilft. Ich gehe auch viel ins Theater, in die Oper nicht so viel, eher Schauspiel. Es tut auch gut, mal etwas Anderes als Oper zu sehen. Ich lese sehr viel, in den fünf Sprachen, die ich spreche. Ich liebe es, in Konzerte zu gehen. Neulich war ich in einem Konzert hier in Neukölln im Kulturzentrum. Es war Musik aus Marokko. Danach gab es eine Jam-Session, aber ich habe mich nicht getraut, auf die Bühne zu gehen (lacht). So etwas ist einfach spannend.

Ich wurde in verschiedenen Kulturen erzogen. Als Kind fand ich das schlimm, weil ich nie Französin war, in der Schule wurde ich auch als Ausländerin bezeichnet. Aber mittlerweile empfinde ich es als eines der größten Geschenke, es hat mich so geöffnet. Ich liebe es, zu reisen, ich war in Südafrika, ich war auch in Indien. Ich habe noch sehr viel auf meiner Liste, ich liebe es, neue Menschen kennen zu lernen. In Indien wurde ich wahnsinnig berührt. Ein indischer Fahrer war aus einem sehr armen Dorf und er wollte uns unbedingt zu seiner Familie einladen. Wir kamen da an und man kann sich das nicht vorstellen, sie haben nichts, wirklich, es gibt nichts. Wir wurden erstmal zum Tempel geführt und willkommen geheißen und dann waren wir bei ihm zu Hause. Es war so klein und die ganze Familie war da. In der Kultur isst man nicht mit den Gästen, es ist nicht höflich, man schaut den Gästen beim Essen zu. Wir saßen auf dem Boden und bekamen Bananenblätter, nicht, weil es fancy ist, wie in vielen Hotels, sondern sie haben nichts Anderes. Es war das beste Essen, was ich in meinem Leben gegessen habe. Es war so berührend, sie hatten nichts, aber sie hätten uns alles gegeben, auch wenn wir mehr Geld haben. Weil man einfach alles teilt, das wenige, was man hat, teilt man. Es war menschlich berührend und verbindend. Diese Verbindende, das erlebe ich auch bei Retreats. Ich habe mehrmals Retreats gemacht, ich war im Sommer in einem Zen-Zentrum, da meditiert man den ganzen Tag. Es war eine Schweigewoche und ich habe über acht Stunden meditiert am Tag, bin um 4.30 Uhr aufgestanden und habe noch zwei Stunden Ashtanga-Yoga gemacht, sehr akrobatisches Yoga.

Ich habe mich noch nie so verbunden mit Menschen gefühlt.

Ich habe keinen Ton mit ihnen gewechselt, die Tatsache, dass man zusammensitzt und in sich ruht und trotzdem verbunden ist, ist unglaublich. Da entsteht ganz viel Empathie. Das mache ich, wenn ich nicht arbeite (lacht).

Was würdest Du machen, wenn Du nicht Opernsängerin wärst?

Ich würde, glaube ich, als erstes um die Welt reisen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich noch die Yoga-Ausbildung machen. Ich glaube, man kann auch so leben. Ich würde vielleicht kochen, ich würde Menschen helfen. Ich glaube, man denkt immer an Geld, vielleicht ist es naiv von mir, das so zu sagen, aber ich glaube, man kann alles schaffen, wenn man den Willen hat und Geld ist nicht das Problem. Mein Vater kommt aus einer sehr armen Familie und er hat alles selbst aufgebaut. Ich wurde so erzogen, dass man kämpfen und selbst alles schaffen muss und kann. Ich kann auch spachteln, ich kann die Elektrizität in meiner Wohnung machen, man darf das in Deutschland nicht, aber ich könnte es. Meine Eltern bewundere ich sehr, sie haben mich immer unterstützt, so lange es das ist, was ich liebe und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Ich hätte auch den komplett verrückten Wunsch, auf den Mond zu gehen, vielleicht wäre ich Astronautin. Aber ich bin nicht mathebegabt, also insofern (lacht).

Aber ich kann mir ehrlich gesagt auch nichts Anderes vorstellen, als Opernsängerin zu sein, es ist mein Traumberuf. Ich will und kann auch als Sängerin noch die ganze Welt erkunden und fremde Kulturen kennenlernen.

 

Das Internationale Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden wird von der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung gefördert.

Das Interview führte Peggy Zenkner.
Fotos: Johannes Xaver Zepplin

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