Das Böse hat mehr Gewalt

Staatsoper Berlin - Foto: Katrin Ribbe

Michael Thalheimer inszeniert zum dritten Mal an der Staatsoper, Sebastian Weigle, Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt/Main, kehrt nach zwölf Jahren an die Staatsoper zurück. Bei einem ersten gemeinsamen Arbeitstreffen Ende 2013 stellte Journalist Arnt Cobbers ihnen einige Fragen.

Herr Weigle, Sie waren 15 Jahre Solo-Hornist und anschließend Staatskapellmeister der Staatsoper Berlin. Fühlt sich der »Freischütz« als Rückkehr an dieses Haus oder als erste Produktion im Schiller Theater an?
WEIGLE: Es ist schon eine Art Rückkehr. Aber auch ein Neu-Befühlen. Vor vier Jahren habe ich die Zauberflöte beim Gastspiel in Posen geleitet, aber eben nicht in Berlin. Das war wunderbar. Und jetzt geht es weiter. Die Staatskapelle ist wesentlich jünger geworden, der Staatsopernchor ebenfalls. Und die Solisten kenne ich teilweise auch nicht. Ich bin wahnsinnig neugierig, auch aufs Schiller Theater.

Sie haben den Freischütz oft als Hornist gespielt und zwei Produktionen selbst dirigiert. Haben Sie da nicht Bilder im Kopf, die Sie jetzt überschreiben müssen?
WEIGLE: Natürlich. Aber jetzt geht es wieder neu los. Wir fangen gerade an, uns aneinander heranzutasten. Und das ist ein herrlicher Zustand. Michael hat den Freischütz noch gar nicht gemacht, mein letzter, in Dresden, ist auch schon zehn Jahre her. Eigentlich müsste man sich eine völlig neue Partitur nehmen, aber ich sehe, ich habe gar nicht so viel in meine Noten eingetragen. Wir haben tolle Sänger, und wenn man dann noch mit der Szene d’accord geht, da werden wir mehr Spaß als alles andere haben.

Herr Thalheimer, würde der »Freischütz« Sie auch als Schauspiel reizen?
THALHEIMER: Es war mein Wunsch, den Freischütz an der Staatsoper zu machen. Jetzt sind wir im Schiller Theater, weil wir noch nicht in die Lindenoper können. Ich freue mich aufs Schiller Theater, weil das eigentlich ein Schauspielhaus ist. Ich habe schon einige Opern inszeniert, aber meine Mutter ist natürlich das Schauspiel. Und da verknüpft sich jetzt viel. Natürlich habe ich Bilder im Kopf. Wenn man die Musik hört, entstehen automatisch Bilder, gerade beim Freischütz. Das ist so deutsch, man sieht immer das Düstere, die schwarze Romantik, die Überforderung, das Klaustrophobische an dieser Dorfgemeinschaft. Man stellt sich die Frage, mit welchen Menschen hat man es da eigentlich zu tun. Die können nur von A nach B denken. Wenn C kommt, haben sie schon Angst und fallen zurück auf A. In der Geschichte müssten sie eigentlich das komplette Alphabet durchdeklinieren, aber sie pendeln immer nur zwischen A und B und kehren zuletzt doch zu A zurück. Weil das Individuum grenzenlos überfordert ist. Und angstbesetzt. Das Misstrauen in einem Dorf, in dem jeder von jedem alles weiß. Und dann gibt es diesen Funken der Liebe, was natürlich gleich einen Besitzanspruch bedeutet. Und weil man es sich selbst nicht zutraut, muss noch ein Pakt mit dem Teufel geschlossen werden. Es geht ja über das Schützenfest, da muss man treffen, und man macht alles, um an sein Ziel zu kommen. Aber in der Musik erahnt man schon zu Beginn: Das muss in der Katastrophe enden, weil alle genau den falschen Weg gehen, weil jeder Schritt, den sie tun, ein falscher ist. Weil jeder Schritt sie überfordert. Und das ist spannend. Ich wähle eine Oper natürlich nicht aus, weil mir die Musik so gut gefällt. Für mich muss die Geschichte stimmig sein und mich reizen, dass ich sie erzählen möchte. Egal ob ich Oper oder Schauspiel mache: Ich bin ein Geschichtenerzähler. Und das Publikum soll auf die bestmögliche Art teilhaben können. Zum ersten Mal wahrgenommen habe ich diese Geschichte durch The Black Rider, den Abend von William S. Borroughs, Tom Waits und Robert Wilson im Hamburger Thalia-Theater, dessen Intendant damals Jürgen Flimm war. Obwohl die Uraufführung über 20 Jahre her ist, habe ich diese Bilder immer noch im Kopf. Den »Freischütz« selbst habe ich noch nie gesehen.

»Weil das Individuum grenzenlos überfordert ist.«

Das heißt: Bei einer interessanten Geschichte ist es für Sie zweitrangig, ob es eine Oper oder ein Schauspiel ist?
THALHEIMER: Beim Freischütz würde ich soweit gehen. Die Geschichte hat ja was Horvát’sches, man kann sich diese Figuren pur im Schauspiel vorstellen. Aber: Wenn ich Oper mache, mache ich Oper. Schauspiel und Oper sind für mich zwei verschiedene Disziplinen. Der Unterschied ist schlicht und ergreifend: Es wird gesungen. Es gibt eine Partitur. Da können wir zwar eingreifen, was Tempo betrifft, was Pausen und Stille betrifft, vielleicht hier und da einen Strich machen, aber die Partitur gibt den Rhythmus vor, wir wissen jetzt schon, wie lang pi mal Daumen der Abend wird. Im Schauspiel weiß man gar nichts.

Freiheit pur.
THALHEIMER: Aber alle Freiheiten zu haben ist auch ein Gefängnis. Ich empfinde die Einschränkungen, die mir die Oper auferlegt, als Herausforderung, und eine Herausforderung hat etwas Befreiendes – es ist eine Art anderer Eros, und deshalb brauche ich das einmal im Jahr oder alle zwei Jahre. Wenn ich Oper inszeniere, lasse ich mich auf dieses Medium gänzlich ein. Außerdem liebe ich Musik. Ich bin Schlagzeuger, ich verstehe, wie etwas musikalisch  aufgebaut ist. Nicht dass ich eine Orchesterpartitur wirklich durchdringen könnte. Aber das muss ich auch nicht, dafür ist Sebastian da. Ich finde sogar, als Schauspielregisseur muss man musikalischer sein denn als Opernregisseur. Denn wie gesagt: Den Rhythmus, die Musikalität müssen Sie im Schauspiel selbst finden.

Der Dirigent hat dem Regisseur gegenüber immer einen Wissensvorsprung. Er kennt die Musik bis ins Detail und muss auch die Geschichte verstehen, um mit den Sängern arbeiten zu können.
THALHEIMER: Der Dirigent muss das Werk besser kennen, er muss das Orchester leiten und das ganze zusammenhalten. Ich versuche mit der Partitur eine Geschichte zu erzählen, da bin ich wiederum ein paar Schritte voraus. Aber letztendlich geht es darum, gemeinsam ein Werk zu schaffen. Und nicht darum, wer am Ende klüger oder besser oder stärker ist. WEIGLE: Sonst macht er ein Schauspiel und ich ein Sinfoniekonzert, das ist sinnlos. Eine Geschichte zu erzählen funktioniert nur, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht. Und deshalb treffen wir uns heute und werden uns noch häufiger treffen, je näher die Produktion heranrückt. Es geht um einen  Austausch. Damit man weiß, was man voneinander zu erwarten hat. Ansonsten muss man sich früh trennen.

Wer entscheidet denn über die Besetzung – ist der Typ wichtiger oder die Stimme?
THALHEIMER: Das entsteht im Austausch. Ich könnte eine Besetzung gar nicht allein machen, weil ich keine Ahnung habe, ob eine Partie leistbar ist für einen Sänger oder eine Sängerin. Ich habe manchmal Wünsche und freue mich natürlich, wenn es passt. Und ich habe ein Vetorecht. Ansonsten macht die Besetzung das Haus gemeinsam mit dem Dirigenten.  WEIGLE: Es gibt manchmal den Wunsch von Regisseuren, einen bestimmten Sängertyp zu haben. Und das kann ich völlig verstehen. Wir machen audiovisuelle Erlebnisse fürs Publikum, es muss beides stimmen.

Ist es als Schauspielregisseur nicht manchmal schwierig, mit Sängern zu arbeiten, die großartig singen, aber nicht unbedingt virtuose Schauspieler sind?
THALHEIMER: Sänger und Schauspieler sind verschiedene Berufe, es ist eine andere Art der Arbeit. Wenn man im Schauspiel an einen Monolog geht, fängt man bei Null an. Wenn man einer Sängerin in der ersten Probe sagt: Anna, sing mal die Arie, dann  spricht man es vorher durch, sie singt, begleitet nur vom Klavier auf der Probebühne, und die Musik ist so unmittelbar, dass man überwältigt ist und denkt: Mein Gott, es ist ja schon alles fertig. Und dann beginnt die Arbeit. Wenn man dann zum Schauspiel zurückkehrt und in der Leseprobe keiner den Text kann, denkt man erstmal: Ihr könnt ja gar nichts. Man muss aufpassen, weil es einfach zwei verschiedene Dinge sind.
WEIGLE: Bei den Arien und Rezitativen müssen die Sänger natürlich perfekt vorbereitet sein. Es passiert aber, dass der Regisseur sagt: Bitte lernt noch keinen Satz von diesem Dialog. Den erarbeiten wir in den Proben. Dann gibt es zwei, drei Nachmittage, an denen wir nur Dialoge machen, an denen wir die durch eine Körpersprache entwickeln. Wenn die Sänger den Text gelernt haben und man dann streichen will, ist es schwer, das alles wieder aus dem Kopf rauszukriegen.

So eine Zusammenarbeit ist ja eine ziemliche Vertrauenssache, Sie müssen die gesamte Produktion gemeinsam vertreten.
WEIGLE: Deshalb ist es so wichtig, dass man früh weiß, was der andere vorhat. Ich komme auch immer zur Bauprobe, ich habe ein Interesse an der ganzen Produktion, mir geht’s nicht nur um die schöne Musik.
THALHEIMER: Es geht darum, dass man gemeinsam etwas schaffen möchte. Möchte, nicht muss. Es geht ums Wollen. Und das löst Interesse aus.

Wie sind Sie beide zusammengekommen?
WEIGLE: Das war ein Vorschlag des Hauses, von der Dramaturgin Katharina Winkler. Und es passt. Wir lieben das gleiche Essen, den gleichen Wein. (lacht) Ich habe Michaels Medea in Frankfurt gesehen – grandios. (er schwärmt eine weile von der produktion.)
THALHEIMER: Allein dass Sebastian meine Medea gesehen hat, das schafft Vertrauen. Da kann er ja gar nicht mehr völlig überrascht sein. Es ist ein gemeinsamer Weg, den man gehen will.

»Das Böse kommt sehr plötzlich. Und wenn es mal da ist, hat es eine ungeheure Kraft.«

Herr Thalheimer, bei ihrem Operndebüt mit Katja Kabanowa 2005 an der Lindenoper sind Sie vehement ausgebuht worden. War das nicht eine traumatische Erfahrung?
THALHEIMER: Ich bin kein Provokateur, ich versuche bestmöglich meine Geschichte zu erzählen. Aber ich bin nicht so harmoniebedürftig, dass ich sage: Ich brauche die Liebe des Zuschauers. Und wenn viele Leute etwas ablehnen und andere begeistert sind, dann weiß ich, ich habe etwas ausgelöst. Ein Buh ist auch ein emotionaler Ausgleich. Oft kommt das Buh früher als das Bravo. Weil das Negative oft schneller und vehementer ist. Die Zustimmung ist mitunter etwas Zarteres als die Ablehnung, das Böse hat einfach mehr Gewalt. Da sind wir wieder beim Freischütz. Das Böse kommt sehr plötzlich. Und wenn es mal da ist, hat es eine ungeheure Kraft. – Aber es war schon so: Als wir als Regieteam da rauskamen, war das ein Orkan, der hat uns zwei Meter nach hinten gefegt. Aber wir haben es ausgehalten und sind nach vorn an die Rampe gegangen, und dann kamen die Bravos. Da fühlt man sich wie in der Hertha-Südkurve – und das ist toll. Oper und Fußball, da gibt es eine Verbindung an Kraft und Energie. Im Schauspiel gibt es nach einem Dialog keinen Applaus, in der Oper fängt das ja mitunter schon nach der Ouvertüre an. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen, der Zuschauer ist ganz anders dabei, weil die Musik so unmittelbar ist. Das ist der Reiz der Oper. Deswegen: Gar kein Trauma.

Und wenn es gut läuft: Sind Sie nicht neidisch, dass der Dirigent jeden Abend gefeiert wird, während Sie sich nur bei der Premiere den Applaus abholen dürfen?
THALHEIMER: Absolut. Das gebe ich ganz offen zu. Mein Beruf macht mir leidenschaftlich Freude, ich werde nicht mehr wechseln. Aber wenn man kurz vor 50 ist, stellt man sich doch die Frage: Welchen Beruf hättest du denn noch gerne? Ganz oben steht bei mir: Dirigent. Absolut! Nicht nur wegen des Applauses. Wegen der Musik. Und ein bisschen neidisch bin ich auch auf die Macht. Vor dem Orchester zu stehen, alles zu wissen und zu hören, zu sagen: Halt, das Cello bitte etwas weicher, und alle hören zu. Das ist eine schöne Macht, wie ich finde. Man hebt den Arm, und es fangen keine Kanonen an zu schießen, sondern das Orchester beginnt eine traumhafte Musik zu spielen. Das ist für mich die schönste Macht auf dieser Welt.
WEIGLE: Du hast als Regisseur doch auch Macht.
THALHEIMER: Der Dirigent hat mehr. Und sie ist sinnlicher. Man dirigiert, und das Orchester spielt tolle Musik. Das muss doch großartig sein.
WEIGLE: Das ist großartig!

Diesen Beitrag findet ihr auch in der Saisonvorschau 2014/2015

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