»… der feine Humor, die bezaubernde Lyrik …«

Bei Sergej Prokofjew weiß man nur selten, woran man wirklich ist. Was ist Wahrheit und was Ironie? Was ist ehrliche Kundgabe und was Versteckspiel? Wie gut, dass er so manche Einblicke in den Schaffensprozess zu seiner Oper DIE VERLOBUNG IM KLOSTER gegeben hat. Dazu stand er uns zu einem (fiktiven) Gespräch zur Verfügung.

 

Sergej Sergejewitsch, ihre zweite Ehefrau Mira Mendelson, die Sie kennengelernt haben, just bevor die Arbeit an der »Verlobung« begann, hat in ihren Erinnerungen mitgeteilt, dass Sie gesagt hätten, als sie Ihnen das Sujet vorstellte: »Das ist ja geradezu Champagner, das kann ja eine Oper im Stil Mozarts und Rossinis werden!« Ist das richtig?
Ja, ich lernte das Stück »Die Dueña« im Jahre 1940 kennen. Mich reizten der feine Humor, die bezaubernde Lyrik, die scharfe Charakteristik der einzelnen Personen, die Dynamik der Handlung, die so spannend aufgebaut ist, dass in keinem Augenblick das Interesse erlahmt und ihr Fortgang mit Ungeduld erwartet wird.

Wie hielten Sie es mit dem Text? Immerhin musste ja die Komödie von Richard Sheridan, die dieser in den 1770er Jahren für eine Londoner Bühne geschrieben hatte, ins Russische übertragen und zu einem Opernlibretto umgearbeitet werden.
Das Textbuch für meine Oper schrieb ich selbst, wobei mir die Behandlung des Stoffes als Oper einige neue Möglichkeiten vermittelte. So gebe ich am Ende des ersten Bildes nach einigen Zwischenfällen verliebt-komischen Charakters die in Musik ausgedrückte Vorstellung der allmählich einschlafenden Stadt in Gestalt einer großen Ballettszene, im Hinblick darauf, dass bei Sheridan zu dieser Zeit in der Stadt ein Karneval stattfindet. Des Weiteren habe ich mir ausgedacht, die Handlung eines der komischen Bilder sich unter den Klängen eines Liebhabertrios abspielen zu lassen – Papa Don Jerome mit zwei Freunden; dieses Musizieren wird in einem fort durch den Verlauf der Intrige unterbrochen.

Offenbar ein witziges Stück, nicht wahr? Haben Sie denn Neuland damit betreten?
Sheridan ist in der Sowjetunion beliebt und geschätzt; seine Stücke »Die Nebenbuhler« und »Die Lästerschule« beherrschen die Spielpläne unserer Theater. »Die Dueña« war bei uns weniger bekannt. Einige Übersetzungen bestanden nur handschriftlich und waren im Besitz von Theatern, die das Stück zu bringen beabsichtigten.

Sie nennen DIE VERLOBUNG IM KLOSTER selbst eine »lyrisch-komische Oper«. Was hat es damit auf sich?
Als ich an die Komposition einer Oper über den Stoff der »Dueña« ging, standen mir zwei Wege offen – entweder die komische Seite des Stückes zu unterstreichen oder die lyrische. Ich entschloss mich zur letzteren. Es scheint mir, dass ich mit der besonderen Betonung des Lyrischen in der »Dueña« recht habe, handelt es sich doch um die Liebe zweier junger, lebensfroher, schwärmerischer Paare – Luisas und Antonios, Claras und Ferdinands, um die sich ihrer Liebe entgegenstellenden Hindernissen und ihre glückliche Verlobung, um das poetische Sevilla, das an einem stillen Abend vor den Augen der Liebenden ausgebreitet liegt, um nächtlichen, verhallenden Karneval und ein altertümliches, verlassenes Nonnenkloster.

Das Lyrische und das Komische befinden sich trotzdem in einer guten Balance, so will es scheinen. Der reiche Fischhändler Mendoza, der am Ende der Gefoppte ist, und die Dueña, die mit List und Können die Fäden in der Hand hält, sind nun wirklich humoristisch gezeichnet, oder?
Diese Personen und die komischen Situationen, in die sie geraten, heben sich vor dem Hintergrund der lyrischen Szenen nur noch mehr ab, besonders wenn die komischen Quiproquos mit ernsthaftem Gesichtsausdruck gespielt werden. Übrigens haben die Moskauer Kammerspiele, die die »Dueña« aufführten, als meine Oper schon geschrieben war, die komische Seite besonders herausgestellt, wobei sie stellenweise ins Possenhafte verfielen. Eine solche Überspitzung des Komischen war meiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt.

Und wie haben Sie sich an die Musik gemacht? Sheridans Bühnenwerk war ja im Grunde auch ein Singspiel.
Das in seinem Verlauf viele Lieder enthaltende Stück Sheridans gab mir die Möglichkeit, eine ganze Reihe von in sich abgeschlossenen, abgerundeten Nummern – Serenaden, Arietten, Duetten, Quartetten und größeren Ensembles – hineinzubringen, ohne den Gang der Handlung aufzuhalten. Die Oper besteht aus vier Akten und neun Bildern. Ich nannte sie »Die Verlobung im Kloster«, da sich »Dueña« im Russischen nicht eingebürgert hat.

Damit wäre die Frage nach dem Titel auch geklärt. Wann und wie fand das Werk dann den Weg auf die Bühne?
Die Erstaufführung der VERLOBUNG IM KLOSTER sollte noch im Jahre 1941 stattfinden, kam aber infolge des Krieges nicht zustande. Beim Durchblättern habe ich einige Stellen neu gesehen sowie auch gefunden, dass ein Teil der Rezitative melodischer sein könnte. Das Moskauer Bolschoi-Theater wollte dann die erste Aufführung zum Beginn der Herbstspielzeit 1943 in Betracht ziehen.

Uraufgeführt wurde das Stück dann erst im November 1946 am Leningrader Kirow-Theater. Ihr Komponistenkollege Dmitri Schostakowitsch schrieb daraufhin, dass die Oper »eine der hellsten und lebendigsten Werke Prokofjews sei …«
»… makellos in ihrer Meisterschaft, ihrem Geschmack und der vollendeten Form.« Dem ist nichts hinzuzufügen.

Sergej Sergejewitsch, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.

 

Das fiktive Interview wurde von Detlef Giese verfasst.

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