Die Mauer muss weg – Erinnerungen an das »Konzert gegen Gewalt« vom 5. November 1989
Unter der Leitung des Dirigenten Rolf Reuter spielte die Staatskapelle Berlin am 5. November 1989 in der Gethsemanekirche ein »Konzert gegen Gewalt« – dabei forderte Reuter öffentlich: »Die Mauer muss weg«. Heute – 30 Jahre später – erinnern sich Rainer Auerbach, Solo-Trompeter der Staatskapelle, der damals Mitinitiator war, sowie Sophia Reuter, Bratschistin bei der Staatskapelle Berlin und Tochter des Dirigenten, an dieses denkwürdige Konzert.
Eine Spur von Freiheit
Heute vor 30 Jahren, am 5. November 1989, spielte unser Orchester ein ganz besonderes Konzert in der bewegten Zeit der politischen Wende in der DDR: das »Konzert gegen Gewalt« unter der Leitung meines Vaters, des Dirigenten Rolf Reuter.
Was war passiert…
Der Orchestervorstand trat an meinen Vater heran mit der Bitte, dieses Konzert zu leiten und gemeinsam mit der Staatskapelle Berlin ein Zeichen zu setzen gegen Gewalt, die in diesen schwierigen Tagen der Demonstrationen und Proteste der Bürger gegen die Staatsmacht der DDR greifbar schien, nicht nur im Osten Berlins, sondern überall in der DDR.
In der überfüllten Gethsemanekirche Berlin erklang die Air aus der Orchestersuite von Johann Sebastian Bach und der erste Satz aus der 3. Sinfonie von Ludwig van Beethoven »Eroica«.
Vom Orchester wurde eine Erklärung verlesen für Toleranz und für Freiheit der Andersdenkenden. Auch Rolf Reuter richtete das Wort an die bewegten Zuhörer und schloss mit dem Satz: »Die Mauer muss weg!« – Keiner konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass sie vier Tage später, am 9. November, TATSÄCHLICH fallen würde.
Die Staatskapelle hat mit diesem mutigen Konzert einen historischen Beitrag für die Freiheit in der Wendezeit geleistet. Es war ein hochemotionaler Moment für alle Mitwirkenden und Zuhörer. Noch heute erzählen Orchestermitglieder sehr bewegt von diesem besonderen Novembertag 1989.
Inzwischen bin ich Mitglied der Staatskapelle Berlin und freue mich, gemeinsam mit unserem Orchester und unserem Chefdirigenten am 9. November dieses Jahres mit allen Berlinerinnen und Berlinern 30 Jahre Mauerfall zu feiern.
Sophia Reuter
Im Oktober 1989 hatte ich aufgrund der politischen Situation der DDR, die Idee ein Konzert gegen Gewalt in der Gethsemane Kirche zu organisieren. Als einzigen möglichen Dirigenten für ein damals nicht gewünschtes Unterfangen kam mir mein alter Lehrer und jetziger leider schon verstorbener Freund Prof. Rolf Reuter, damaliger GMD der Komischen Oper Berlin, in den Sinn. Nach seiner reiflich überlegten Zusage fragte ich die Mitglieder der Staatskapelle und erhielt eine einstimmiges JA für dieses Konzert. Das Datum wurde vom Pfarrer der Gethsemane Kirche, von Prof.Reuter und mir auf den 5. November 1989 gelegt, ohne zu wissen, dass am 9. November die Mauer fallen würde… Niemand konnte das ahnen und es hätte auch leicht eine Auseinandersetzung mit Gewalt geben können. Dementsprechend moderat sollte sich auch die Rede von Prof.Reuter gestalten. Reuter war aber immer ein grundehrlicher und nicht nur von mir hochgeschätzter Mensch gewesen und gestaltete daher die Rede äußerst offensiv …! Seine ersten Worte nach dem gespielten Air von Johann Sebastian Bach waren: »Die Mauer muss weg«. Die Kirche füllte sich mit Bravo Rufen und unglaublichem Beifall. Reuter sagte später zu mir, was auch seine Tochter mir bestätigte, dass er uns Beide schon im Gefängnis sitzen sah. Ihm war es die Sache Wert und im nachhinein mir und wahrscheinlich uns allen auch…
An dem Tag brachten wir einen Hauch Hoffnung unter die Leute, die sich am 9. November 1989 zur Wahrheit gestaltete, die wir 40 Jahre nicht zu träumen wagten…
Wenn jetzt jemand fragt, was da wohl besonderes war, so sage ich »Nichts« …Es war nicht mehr und nicht weniger, als was alle Menschen mit Bildung damals taten: Friedlich demonstrieren. Eine friedliche Revolution, wie man sagt, gestaltet von fast allen Menschen und Schichten der DDR.
Aber ein wichtiger Punkt in der Musikgeschichte war, dass die 3. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wirklich 100% das erfüllt hatte, was Beethoven sich damals erträumte: eine Spur von Freiheit.
Rainer Auerbach
2009 dirigierte Daniel Barenboim die Staatskapelle Berlin bei einem Gedenkkonzert an diese Veranstaltung der Staatskapelle Berlin in der Gethsemanekirche, bereits zum 20. und 25. Mauerfalljubiläum haben das Orchester und ihr Generalmusikdirektor an den Feierlichkeiten mit einem Konzert am Brandenburger Tor teilgenommen und kommenden Samstag, am 9. November 2019, freuen wir uns darauf, wieder Teil der offiziellen Feierlichkeiten am Brandenburger Tor zu »30 Jahre friedliche Revolution – Mauerfall« zu sein.
2 Kommentare
schrieb am 05.11.2019 um 20:55 Uhr.
Ein liebes Gedenken an Deinen verehrten Vater, liebe Sophia – für seinen Mut und seine Menschlichkeit
schrieb am 09.11.2019 um 8:42 Uhr.
Grössen Dank möchte ich aussprechen für diese kurze und doch so wichtige Information zur Geschichte dieses Konzertes, insbesondere durch Tochter Sophia. Ich freue mich Michael Cöllen