Fürchte nichts. Genieße. Zur Reue ist später Zeit genug.

The Rake's Progress - Foto: Ruth Wslz

Throwback Thursday zur Einstimmung auf die Wiederaufnahme am 15. Mai: 2011 inszenierte Theaterregisseur Krzysztof Warlikowski die Neuproduktion von Igor Strawinskys »The Rake’s Progress« und verlegte die Oper, die von der Faszination des Bösen erzählt, in die Ära von Andy Warhol zwischen Pop-Art und Factory. 

Herr Warlikowski, die Oper ist ein Gefängnis, haben Sie mal gesagt.
Das ist auch so. Man hört dauernd: Das war schon immer so, so macht man das, so kann man es nicht machen usw. Ich komme nie dahin, wo ich das Potential einer Musik oder einer Geschichte auch nur annähernd ausschöpfen könnte, es stehen immer Mauern davor.

Warum begeben Sie sich immer wieder in dieses Gefängnis?
Weil es eine Herausforderung ist. Man macht etwas nicht, weil es einfach ist. Sondern weil es schwierig ist. Ich hasse es, wie Oper meist gemacht wird. Die Oper ist noch immer geprägt vom bourgeoisen Geschmack des 19. Jahrhunderts. Natürlich hat sie sich verändert nach dem Zweiten Weltkrieg, aber nicht genug. Ich habe in meinem Leben wenige gute Opernproduktionen gesehen. Ich dachte, ich kann der Oper etwas geben. Und die Oper gibt mir etwas. Das brauche ich von Zeit zu Zeit. Es ist ein großer Kampf, Oper zu inszenieren. Der bringt mich jedes Mal an meine Grenzen. Weil man es mit einem Riesenapparat zu tun hat, in dem alles zusammenpassen muss, der Dirigent, die Sänger, das Orchester, der Chor usw. Und es ist selten, dass alles passt.

The Rake's Progress - Foto: Ruth Walz

»Ich liebe diese Oper.«

War »The Rake’s Progress« Ihre Wahl?
Ich sollte »Rake’s Progress« schon einmal an einem anderen Haus machen, da steckten schon zwei Jahre Vorbereitung drin, aber dann wurde nichts draus. Um so dankbarer war ich, als ich die Anfrage aus Berlin bekam. Ich liebe diese Oper. Es ist eine moderne Oper, aber sie ist auch sehr klassisch. Russisch, aber auch amerikanisch. Sie spielt nach dem Krieg, aber es ist, als habe es den Krieg nie gegeben. Es ist eine handfeste Geschichte, aber zugleich eine Metapher und ein Mythos. Was immer es ist, ist es nicht. »The Rake’s Progress« ist ein sehr ungewöhnliches Werk – bis heute.

Hatten Sie Einfluss auf die Besetzung?
Ingo Metzmacher und ich haben sehr vieles gemeinsam besprochen und entschieden. Das gibt es selten, meist bekommt man eine Besetzung vorgesetzt. In dieser Oper steckt so vieles. Es ist eines der verlockendsten Werke überhaupt.

Es gab berühmte Inszenierungen von Ingmar Bergman, von Ken Russell, von Peter Mussbach und Jörg Immendorf in Salzburg.
Und gerade ist die berühmte Inszenierung von Robert Lepage, »Rake’s Progress« im Supermarkt, durch Europa getourt. Ich mag es, gegen Bilder anzugehen, die in den Köpfen der Zuschauer stecken. In Paris habe ich »A Streetcar named Desire (Endstation Sehnsucht)« gemacht, und es war hart, sich gegen die Filmbilder durchzusetzen. Aber »Rake’s Progress« ist auch nicht wie Verdi. An der Met hat Luc Bondy Scarpia ohne Kerzenleuchter auftreten lassen, und es gab einen Riesenaufschrei. Blasphemie! Da sind wir wieder beim Gefängnis.

The Rake's Progress - Foto: Ruth Walz

»Grenzenlose Freiheit ist langweilig.«

Werden die Gefängnismauern irgendwann eingerissen sein?
Es wird immer Widerstände geben. Sonst wäre es auch nicht interessant. Grenzenlose Freiheit ist langweilig. Als ich angefangen habe, Theater zu machen, waren 30 Leute im Saal, dann wurden es 40, dann 100, dann 500. Ich versuche mich immer wieder auf meine Anfänge zu besinnen, als ich mich gegen alle Widerstände durchsetzen musste. Das mobilisiert alle Kräfte in mir.

Kehren Sie immer wieder zum Sprechtheater zurück, weil Oper so anstrengend ist?
Beides ist anstrengend. Aber ich brauche beides. Im Theater reduziert man die ganze Zeit. Und am Ende steht ein einziger Schauspieler auf der Bühne und redet. In der Oper beginnt man ganz woanders – und reduziert von da aus. Es sind ganz unterschiedliche Seiten ein und derselben Sache. Meine erste Erfahrung in der Oper war schrecklich. Es war eine Probe zu »Don Carlos«. Wir haben uns drei Stunden unterhalten. Und dann hieß es: Alles klar, jetzt proben wir. Wie um alles in der Welt sollen wir in drei Stunden irgendwohin kommen?! Aber darum ging es ihnen nicht. Sie wollten wissen, wie sehen die Kostüme aus, wie das Bühnenbild? Im Sprechtheater diskutiert man wochenlang, bevor man auf die Bühne geht. Die Oper ist solch ein Kosmos – und wir reduzieren sie auf Kostüme und Bühnenbild. Wenn ich clever bin, arbeite ich mit einem Bühnenbildner, der solche Räume baut, dass die Kritiker erschlagen sind und nur noch übers Bühnenbild schreiben. Und nicht über das Stück, von dem sie nichts verstanden haben. Es gibt so viele Paradoxa in der Oper.

Eröffnet die Oper andere Möglichkeiten als das Sprechtheater?
Zunächst einmal ist die Oper Teil des Theaters, das bei den Griechen mit der Formulierung ganz tiefer, existenzieller Fragen begonnen hat, etwa von Schuld, wenn der Sohn die Mutter erschlägt. Wir haben heute die Oper aus unserem wirklichen Leben verbannt. Es heißt, die Leute gingen in die Oper, um zu träumen, um in eine künstliche Welt versetzt zu werden. Ich glaube das nicht. Die Oper kann sogar tiefer wirken als das Sprechtheater. Wenn ich die »Iphigenie« mache, möchte ich etwas sagen über jemanden, der im Krieg geblieben ist. Wenn ich Janáčeks »Die Sache Makropoulos« mache, geht es mir um die Frage der Ewigkeit. Man kann in der Oper berühren durch einfache Gesten, die im Sprechtheater oder im Film simpel oder sogar lächerlich wirken würden. Durch die Musik und das Singen sind wir in einer anderen Welt, wo man Dinge berühren und zeigen kann, wie es im Sprechtheater oder im Film nicht möglich wäre.

Sie arbeiten zum ersten Mal in Berlin, haben Sie eine besondere Beziehung zur Stadt?
Ich habe eine sehr spezielle Beziehung zu Berlin. Ich bin nur 100 Kilometer entfernt geboren – in Stettin. Mein Lieblingsautor ist Alfred Döblin, der auch aus Stettin kam. Er gab mir eine Berlin- Mythologie aus Vorkriegszeiten an die Hand. Wenn ich hier bin, denke ich immer an Döblin. Man spürt hier noch diese Vergangenheit, als Berlin das Herz von Mitteleuropa und ein großer Schmelztiegel war. Ich bin gern in Berlin.

The Rake's Progress - Foto: Ruth Walz

»Fürchte nichts. Genieße. Zur Reue ist später Zeit genug.«

Igor Strawinsky – The Rake’s Progress


Diesen Beitrag findet ihr auch in der Saisonvorschau 2010/2011.

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