Letzte Tage im Schiller Theater

Letzte Tage © Walter Mair

Nächste Woche findet mit Christoph Marthalers Musik-Theaterprojekt Letzte Tage. Ein Vorabend unsere erste Premiere auf der großen Bühne im Schiller Theater statt. Uli Fussenegger, musikalischer Leiter des Abends und Kontrabassist beim renommierten Ensemble Klangforum Wien, sprach mit Journalist Arnt Cobbers über dieses außergewöhnliche Projekt.

Herr Fussenegger, Sie wirken seit 1997 in Produktionen von Christoph Marthaler mit. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Wir haben lange Vorgespräche geführt, in welche Richtung der Abend gehen könnte. Und als klar war, dass wir Theresienstadt in den Mittelpunkt rücken, habe ich für mich entschieden, ohne die »großen« Komponistennamen auszukommen und stattdessen meines Erachtens sehr gute Stücke, die unbekannt oder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden sind, hörbar zu machen. In der Arbeit mit Christoph beginnt man mit einem relativ großen Pool an Material, Text und Musik, und grenzt das im Laufe der Probenarbeit ein und baut es zusammen. Ich hatte beträchtlich mehr Musik ausgesucht, als am Abend erklingt. Die Premiere fand ja im Rahmen der Wiener Festwochen im alten Parlamentssaal in Wien statt, und da hatten wir nur sechs Wochen Probenzeit, das war schon sehr am Anschlag. Da mussten alleStücke fertig bearbeitet sein für die Besetzung, in der wir spielen.

Ist solch eine Arbeitsweise nicht undankbar?
Nein, das macht Spaß, und ich halte nicht viel davon, mit einer fertigen Musikauswahl anzukommen, wenn man den Abend erst im Laufe der Proben zusammensetzt. Christoph hat mir sehr freie Hand gelassen, was die Erstauswahl anbelangt. Ich weiß ja ungefähr, was er braucht, um sich wohlzufühlen und gut arbeiten zu können. Aber die künstlerische Letztentscheidung lag bei ihm.

Uli Fussenegger © Lukas Beck
Uli Fussenegger

Warum haben Sie diese disparate Besetzung gewählt?
Die Musik reicht von Wagner bis 1945 plus ein Stück von 2013, von Männerchören und russischen Schlagern bis zu Streichquartetten und Orchesterwerken. Um das mit sechs Instrumenten einigermaßen knackig abbilden zu können, muss man eine disparate Besetzung wählen, sonst ist man nicht sehr nah an den Idiomen dran. Man braucht einfach eine spezifische Klanglichkeit. Wir wollten aber auch die Theresienstadt-Situation abbilden, wo man nie ein vollständiges Orchester beisammen hatte und immer
auf Improvisation angewiesen war.

Sind Haas oder Ullmann, Laks oder Koffler unabhängig von Ihrer Biografie bedeutende Komponisten?
Ja! Sie sind genau deswegen nicht groß und bekannt, weil es diesen politischen und kulturellen Kahlschlag gab. Simon Laks, Józef Koffler und Pavel Haas finden in unserem Konzertleben überhaupt nicht statt. Einige der Werke, die an dem Abend erklingen, sind nicht verlegt, da musste ich in Archive gehen und suchen. Von der Kantate von Koffler hatte nicht mal mehr der Verlag das Aufführungsmaterial. Die Idee war: Man soll musikalisch in eine Welt eintauchen, die uns so nicht bekannt ist.

Kann man den Abend aus dem alten Wiener Parlamentssaal ins Schiller Theater übertragen?
Wir haben schon in Paris im Théâtre de la Ville gespielt, was noch ein viel neutralerer Raum als das Schiller Theater ist. Wir hatten vorher allergrößte Zweifel, aber einige Leute fanden, es hätte in Paris sogar stärker gewirkt. Wenn die Kontextualität des Raumes wegfällt, und die Geschichte des Wiener Parlamentssaals
ist aus parlamentarischer Sicht ja ziemlich furchtbar, dann bekommen Text und Musik eine ganz andere Bedeutung und erstaunlicherweise eine viel größere Härte. Zudem ist der Raum in Wien zwar sehr schön und stark, aber auch sehr dominant, er zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. In einem neutraleren Raum kann der Betrachter sich viel mehr auf die Texte und die Musik konzentrieren.

Diesen Beitrag findet ihr auch in der Saisonvorschau 2014/2015.

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