Monteverdis Italien

Claudio Monteverdi (1567–1643) war der tonangebende Komponist in Italien um 1600. Seine Musik entwickelte sich weg von der a-cappella-Vokalpolyphonie der Renaissance hin zu einem expressiveren Stil für Solostimmen und Begleitung, wie er für den musikalischen Barock typisch wurde. Seine neun Madrigalbücher, drei Bücher mit geistlicher Musik und die drei überlieferten Opern sind sowohl Zusammenfassung wie auch Revolution der damaligen Möglichkeiten.

In Cremona geboren und ausgebildet, ging Monteverdi Ende 1590 oder Anfang 1591 nach Mantua an den Hof von Herzog Vincenzo Gonzaga. Sein 4. (1603) und 5. (1605) Madrigalbuch spiegeln neue Entwicklungen wider, die von Tassos und Guarinis Dichtungen beeinflusst waren: Aufgrund des Bruchs mit traditionellen Regeln des Kontrapunkts, der Harmonik und Modi wurden sie höchst kontrovers aufgenommen. Monteverdi rechtfertigte diese Freiheiten mit der Idee der »seconda pratica«, die – anders als die »prima pratica« der Meister der Renaissance – die Musik dem vom Textes erforderten Ausdruck unterwarf. Seine erste Oper, »L’Orfeo« (1607), stellte das gerade erst in Florenz erfundenen Genre auf eine feste musikalische und dramatische Basis. Die gigantische »Santissimae Virgini Missa ¼ ac vespere«, 1610 veröffentlicht, ist ein Meisterwerk, das die verschiedenen zeitgenössischen Strömungen der Kirchenmusik zusammenführt.
1613 ging Monteverdi nach Venedig, um das angesehene Amt des »maestro di cappella« am Markusdom zu übernehmen, das er bis zu seinem Lebensende innehatte. Er genoss den Ruhm und die Sicherheit des wahrscheinlich führenden musikalischen Postens in Italien. Aber niemand hätte erwartet, dass er am Ende seines Lebens zum Theater zurückfand und die neue Entwicklung der öffentlichen Opernhäuser in Venedig nutzte, um »Il ritorno d’Ulisse in patria« (1640) und »L’incoronazione di Poppea« (1642) auf die Bühne zu bringen.

(…)

GRENZÜBERSCHREITUNGEN (I): VON CREMONA NACH MANTUA

Monteverdis Vater sah in den musikalischen Fähigkeiten seines Sohnes eine Gelegenheit für sozialen Aufstieg. Indes war die Frage, ob ein solcher in Cremona stattfinden könne, einer ziemlich kleinen, zum Herzogtum Mailand gehörenden Stadt. Nach dem Ende der Linie der Sforza 1535 wurde Mailand von einer Reihe von Gouverneuren regiert, die von König Philipp II. von Spanien ernannt wurden. Es grenzte im Norden an die Schweiz, im Westen an das Herzogtum Savoyen, im Osten an die Republik Venedig und im Süden an die Herzogtümer Mantua (regiert vom Geschlecht der Gonzaga), Modena (Geschlecht der Este aus Ferrara) und Parma (Geschlecht der Farnese). Als es für den jungen Monteverdi an der Zeit war, eine Anstellung zu suchen, schaute er zunächst auf Mailand, dann ins Veneto. Aber es dürfte ein Musiker aus Cremona in Diensten des Herzogs Vincenzo Gonzaga gewesen sein, Benedetto Pallavicino, der Monteverdis Ernennung zum Hofmusiker in Mantua Ende 1590 vorangetrieben hatte. Der »maestro della musica« des Herzogs war Giaches de Wert, einer der letzten Musiker aus dem Norden, der eine solche Stelle in Italien innehatte. Pallavicino folgte de Wert 1595 nach, 1601 rückte Monteverdi auf.
Mantua war in geographischer Hinsicht ziemlich isoliert, allerdings hatten die Gonzaga durch Heirat enge Bande mit dem Herzogtum von Ferrara und dem Großherzogtum von Florenz (unter den Medici). Es gab also genügend künstlerischen Austausch zwischen ihnen, um Mantua für Künstler, Dichter und Musiker zu einem aufregenden Ort zu machen. Monteverdi traf dort sehr wahrscheinlich Peter Paul Rubens, Galileo Galilei und Guarini sowie andere Dichter. Er verfügte auch über gut ausgebildete Musiker, die er nutzte, um die Werkzeuge seiner Profession zu schärfen, indem er Madrigale, Opern und andere Theaterwerke und geistliche Musik schrieb. Im Dienst eines Herzogs zu stehen, hatte Vorteile: Als Monteverdi 1600 unter Beschuss des konservativen Bologneser Theoretikers Giovanni Maria Artusi geriet, weil er die heiligen Regeln des Kontrapunkts gebrochen hatte, scheint Herzog Vincenzo Partei für seinen Angestellten ergriffen zu haben. Auch integrierte sich Monteverdi in Mantua: Er heiratete eine Sängerin von dort, Claudia Cattaneo, und wurde dortiger Staatsangehöriger. Das geschah vielleicht der Einfachheit halber, aber brachte ihn auch weg vom spanischen Einflussbereich um Mailand in jenen der Habsburger, den Lehnsherren der Gonzaga.
Monteverdi erfuhr aber auch die Nachteile einer Anstellung bei Hofe, nicht zuletzt durch die unregelmäßige Zahlung seines Lohns und anderer Bezüge. Sein Hauptproblem jedoch zeigt sich an einem Brettspiel, das Alonso de Barros in seiner »Philosophia cortesana moralizada« (Madrid, 1587) erfunden hatte. Wer nämlich in diesem Spiel nach Art von »Mensch, ärgere dich nicht« auf dem 43. Feld – »Dein Herr stirbt« – landet, muss an den Anfang zurückkehren. Herzog Vincenzo Gonzaga starb im Februar 1612 und sein Nachfolger, Herzog Francesco, entließ Monteverdi im Juli aus seinen Diensten.

GRENZÜBERSCHREITUNGEN (II): VON MANTUA NACH VENEDIG

Monteverdi kehrte nach Cremona zurück und versuchte erneut, in Mailand eine Stelle zu finden. Jedoch eröffnete sich im folgenden Jahr eine neue Möglichkeit nach dem Tod von Giulio Cesare Martinengo am 10. Juli 1613, dem »maestro di cappella« des Venezianer Markusdoms. Die obersten Verwalter der Basilika, die Prokuratoren, schrieben auf der Suche nach einem Nachfolger an Vertreter Venedigs in zahlreichen Städten, darunter einige im Veneto (Bergamo, Brescia, Padua, Vicenza), aber auch außerhalb (Mantua, Mailand, Rom).
Dieses Vorgehen ihrerseits war ungewöhnlich. Die letzten »maestri« am Markusdom waren nicht nur »Italiener«, sondern allesamt Venezianer. Die mittelmäßige Amtszeit von Martinengo veranlasste die Prokuratoren jedoch dazu, ihre Suche auszuweiten. Monteverdis Vorstellung für das Amt im August 1613 beinhaltete auch eine Probe mit den Musikern der »cappella«, und er erhielt ihr einstimmiges Votum. Kurz nachdem er das Amt des »maestro« angetreten hatte, unternahm er dagegen etliche Reformanstrengungen, stellte neue Sänger und Instrumentalisten ein (und feuerte einige alte) und erweiterte das Repertoire der »cappella« beträchtlich. Das machte ihn bei einigen seiner Kollegen nicht gerade beliebt.
Noch einmal war Monteverdi in einen anderen Staat gezogen, um seine Karriere voranzubringen, und diesmal brachte das Gefahr für ihn selbst mit sich: Als er die Grenze zum Veneto passierte, wurde er von Räubern überfallen. Ohne Gepäck und Geld kam er in Venedig an: ein Fremder in einem neuen Land. Er wurde dort auch zweifellos als Ausländer angesehen, was von venezianischen Musikern, die eifersüchtig auf seine Macht waren, gegen ihn eingesetzt werden konnte. Auch war sein Handeln nicht immer glücklich: Bei Vorspielen für neue Stellen der »cappella« bevorzugte er manchmal Musiker, die nicht aus Venedig stammten (etliche kamen aus Mantua). Für seine eigenen sozialen Kontakte in Venedig bedeutete dies, dass er sich eher in der Gesellschaft von letzteren aufhielt. Freundschaftliche Bande könnten das begründen, oder vielleicht auch sprachliche Hürden: Monteverdis Italienisch war sehr anders als das der Venezianer.
(…)
Heinrich Schütz sah Monteverdi vermutlich als einen »italienischen« Komponisten. Für jeden Venezianer war er sehr wahrscheinlich ein Mantovaner. Monteverdi selbst wird sich mutmaßlich als »lombardo« oder »cremonese« bezeichnet haben. Lokale, regionale und nationale Identitäten waren im 17. Jahrhundert nicht weniger problematisch als heute, wenn auch aus anderen Gründen. Aber vor welchen Entscheidungen er auch immer stand: Monteverdi blieb über seine ganze lange Karriere hinweg immer Monteverdi. Dafür sollten wir dankbar sein.

Text von Tim Carter

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