Musik und Theater, ganz unmittelbar

Auf einen Kaffee mit der Dramaturgie - Punch and Judy

Dirigent Christopher Moulds und Regisseur Derek Gimpel im Gespräch mit dem Dramaturgen Detlef Giese über Harrison Birtwistles »Punch and Judy«.

 

Was bedeutet es für einen britischen Dirigenten, sich mit einem Werk Birtwistles, einem der bekanntesten und profiliertesten britischen Komponisten der Gegenwart, zu beschäftigen?

Christopher Moulds: Punch and Judy dirigiere ich zwar zum ersten Mal, einige Werke von Birtwistle kenne ich aber schon aus anderen Zusammenhängen und aus eigener Erfahrung. So war ich in den 1990er Jahren bei den Vorbereitungen zur Uraufführung seiner Oper The Second Mrs Kong in Glyndebourne dabei, wo ich Sir Harrison auch persönlich kennengelernt habe. Einige Zeit später erhielt ich dann die Möglichkeit, The Last Supper für die Glyndebourne Touring Opera zu dirigieren, so dass ich glaube, mit dem Stil Birtwistles und den Eigentümlichkeiten seiner Musik gut vertraut zu sein. Zudem habe ich viele seiner Proben erlebt und konnte ein »Feeling« entwickeln, wie er arbeitet und was ihm wichtig ist. Birtwistle hat ja immer auch die Wirkung auf das Publikum im Blick und schreibt oft eine ausgesprochen dramatische, effektvolle Musik.

Wie ist es denn zu eurer Zusammenarbeit gekommen?

Derek Gimpel: Ich kannte das Stück schon seit langem und mich hat die Dichte der Musik und die Vielfalt der im Stück liegenden Interpretationsmöglichkeiten begeistert. Es ist ja nicht nur eine britische Oper, sondern zugleich ein Stück mit einem spezifisch nordenglischen Humor, aus der Gegend, aus der Christopher kommt. Wir kennen uns ja schon eine Weile, und da auch er mit Birtwistle zu tun hatte, war es durchaus naheliegend, Punch and Judy für eine Produktion in der Schiller Theater Werkstatt vorzuschlagen.

Christopher Moulds: Das Libretto ist schon sehr clever geschrieben, voller Wortspiele, die selbst für »native speaker« nicht immer zu verstehen sind. Außerdem bringt es die besondere Architektur des Stückes – es gibt viele kurze, episodisch angelegte und mit gewissen Abwandlungen wiederkehrende Szenen – mit sich, dass Punch and Judy ungewöhnlich komplex ist, da viele verschiedene Elemente enthalten und miteinander verschränkt sind.

Wie wirken sich denn die räumlichen Gegebenheiten der ja nicht allzu großen Werkstattbühne auf die szenische und musikalische Konzeption aus?

Derek Gimpel: Ich glaube, wir gehen mit der Stückauswahl bis an die Grenzen dessen, was in diesem Raum musikalisch und szenisch machbar ist. Der große Vorteil einer Aufführung in der Werkstatt liegt in der Direktheit, die ja auch dem Komponisten sehr wichtig ist. Dadurch, dass Christoph Ernst einen Raum entworfen hat, in dem Spielort und Zuschauerbereich ineinander übergehen, können die Figuren, das Geschehen und die Musik eine große Wirkung und Unmittelbarkeit erreichen.

Christopher Moulds: In seiner Partitur verlangt Birtwistle zwei voneinander separierte Instrumentalgruppen, eine im Graben und eine auf der Bühne. Diese besondere Konstellation sowohl technisch als auch klanglich überzeugend herzustellen, ist sicher eine Herausforderung. Auch die Abstimmung mit den Sängerinnen und Sängern, einschließlich der Koordination mit dem Orchester, muss funktionieren. Die Anforderungen an die Solisten sind ja immens: Birtwistle hat die einzelnen Partien mit diversen rhythmischen und melodischen Schwierigkeiten versehen – er scheint generell Freude an einer komplizierten Notation zu haben –, außerdem werden die Stimmen häufig in extreme hohe oder tiefe Lagen geführt. Aber wir haben wirklich wunderbare Sänger, die alle diese Dinge sehr gut meistern.

»Immer wieder wird die Gewalt auch ironisch gebrochen, vergleichbar etwa mit dem Stil der Filme von Quentin Tarantino.«

Das »brutalisierte Kasperletheater«, von dem Opernkenner Ulrich Schreiber mit Blick auf Punch and Judy sprach, ist ja – zumindest für ein deutsches Publikum, das den sprichwörtlichen »schwarzen Humor« der Briten nur ansatzweise kennt – durchaus gewöhnungsbedürftig. Wie geht ihr mit der Darstellung von Gewalt, die ganz offensichtlich »Part of the Game« ist, um?

Christopher Moulds: Die Mord- und Gewaltszenen, von denen es in der Tat so einige im Stück gibt, sind ja auch nicht immer im strikten Sinne »brutal«. Immer wieder wird die Gewalt auch ironisch gebrochen, vergleichbar etwa mit dem Stil der Filme von Quentin Tarantino.

Derek Gimpel: Die Geschichten um Punch und Judy sind in Großbritannien allgemein bekannt. Punch ist dabei die Figur, die ohne Rücksicht auf Verluste Alles und Jeden niedermacht, der sich ihm in bei seinen Vorhaben den Weg stellt. Hier empfindet man das vielleicht als brutal, denn ein »deutscher Kaspar« tut so etwas (wie sein Baby erschlagen etc.) nicht – für das englische Publikum ist von vornherein klar: Das sind Spaß und Spiel wie bei Tom und Jerry! Und weil es ein Spiel ist, kann Punch von einem Moment auf den anderen von Brutalität und Zynismus zu tiefer Trauer umschalten und Mitgefühl hervorrufen. Wir haben ihn bewusst so angelegt, dass er Vieles sein und viele Gesichter annehmen kann. Deshalb kann er in der nächsten Szene auch schon wieder völlig anders reden und handeln als in der vorangegangenen. Nichts bleibt an ihm haften, und so muss man bei diesem Stück auch nicht nach einer Moral suchen.

Was wünscht ihr euch vom Publikum?

Derek Gimpel: Eine Fülle von eigenen Assoziation und Bildern. Punch and Judy ist gewiss ein Ausdruck der Zeit, in der es entstanden ist. Die spielerische Freiheit und das Unkonventionelle sind die grundlegenden Ideen, die unmittelbare Wirkung hingegen das primäre Mittel dieser Oper. Der Librettist Pruslin und der Komponist Birtwistle haben ja auf den unterschiedlichsten Ebenen schon dazu ihre Vorlage geliefert, ohne sich eindeutig festzulegen. Durch An- und Ausdeutungen in der szenischen und musikalischen Interpretation unterbreiten wir dem Publikum unsere eigenen Vorschläge, aber bewusst keine Deutung des Stückes.

Christopher Moulds: Im Untertitel heißt Punch and Judy »A Tragical Comedy or a Comical Tragedy« – und die Gleichzeitigkeit der beiden verschiedenen Sphären von Komödie und Tragödie soll auch spürbar werden. Und überdies ist Birtwistles Musik wirklich »charming« …

Diesen Beitrag findet ihr auch im Programmheft zur Werkstattproduktion »Punch and Judy«

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