Verdi, Politik und die Oper

»Ich liebe die Politik nicht, aber ich akzeptiere ihre Notwendigkeit…« schrieb Giuseppe Verdi 1889 in einem Brief an den Politiker Giuseppe Piroli. Eine solche Äußerung mag zunächst überraschen, gibt es doch wenige bedeutende Künstler des 19. Jahrhunderts die sowohl in ihrem Privatleben als auch in ihrer Kunst über viele Jahre ein vergleichbar großes politisches Engagement aufgebracht hätten wie der aus Le Roncole in der Provinz Parma stammende Sohn eines Gastwirts und einer Spinnerin.

Auch wenn weite Teile der Narration, die Verdis Rolle und Musik in den politisch-kulturellen Entwicklung Italiens während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betreffen, der nachträglichen Mythenbildung zuzuschreiben sind, so ist seine politische Biografie untrennbar mit dem Risorgimento verbunden, jener Bewegung, die nach einer neuen nationalstaatlichen Einheit des in kleine Fürstentümer zerschlagenen Landes strebte und die schlussendlich in der Gründung des italienischen Königreiches 1861 mündete.

 »Ich liebe die Politik nicht, aber ich akzeptiere ihre Notwendigkeit…«

Es existieren beispielsweise keineswegs Belege dafür, dass der »Gefangenenchor« seiner 1842 in Mailand uraufgeführten Erfolgsoper »Nabucco« tatsächlich als Hymne des Risorgimento entstanden ist. Auf das Publikum dürften dennoch eben jene Musikstücke eine besondere Wirkung gehabt haben und auf besondere Art und Weise im damaligen politischen Kontext interpretiert worden sein.

Seine politischen Sichtweisen wurden entscheidend von dem Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini, den Verdi 1847 in Mailand traf, beeinflusst. Zur gleichen Zeit verschärfte sich die politische Lage in seinem Heimatland. Während der 5 Tage Revolution in Mailand, einem der Hauptzentren der Märzrevolution 1848, hielt sich Verdi in Frankreich auf und schrieb an seinen Librettisten Francesco Piave:

»Du kannst Dir vorstellen, daß es mich nicht in Paris gehalten hätte, nachdem ich von einer Revolution in Mailand gehört habe. Ich bin von dort abgereist, sobald ich die Nachricht vernommen habe; ich habe lediglich die großartigen Barrikaden zu Gesicht bekommen. Ehre den Tapferen! Ehre ganz Italien, das in diesem Augenblick wahrhaft groß ist! Die Stunde seiner Befreiung hat geschlagen, dessen kannst Du gewiß sein. Das Volk will sie; und wenn das Volk will, dann gibt es keine der Erde, die ihm widerstehen könnte. Sie können anstellen, sie können sich bemühen, soviel sie wollen – diejenigen, die mit aller Gewalt unersetzlich sein möchten – es wird ihnen dennoch nicht gelingen, das Volk seiner Rechte zu berauben. Si, si, nur noch ein paar Jahre, ja vielleicht Monate, und Italien wird frei, eins, republikanisch sein. Was sollte es auch sonst sein?«

»Es gibt, es darf nur eine Musik geben, die den Ohren der Italiener von 1848 gefällt: Die Musik der Kanonen!«

Demselben Brief entstammt im Übrigen auch das bekannte Zitat: »Es gibt, es darf nur eine Musik geben, die den Ohren der Italiener von 1848 gefällt: Die Musik der Kanonen!« Dass Verdi, der sich selbst in der Beobachterrolle sah (und sich hierin zunehmend gefiel), in die Ereignisse involviert war, ist nicht belegt und darf mit Recht bezweifelt werden. Er blieb nur wenige Tage in Mailand, bevor er nach Paris zurückreiste, wo er jedoch mit »La Battaglia di Legnano« eine seiner politischsten Opern komponierte, die zugleich heute von der Wissenschaft als einzig legitime »Risorgimento-Oper« bezeichnet wird.

Nach dem Scheitern der Revolution verschieben sich auch die thematischen Akzente seiner Musiktheaterwerke. Anfang der 1850er Jahre entstanden mit »La traviata«, »Il trovatore« und »Rigoletto« seine später als »triologia popolare« berühmt gewordene Werkreihe, die fast ausnahmslos private Konflikte schildert und politische Probleme nur am Rande berührt. Vielmehr leben diese Opern von den Individualschicksalen der Figuren, die sich in gesellschaftlichen Außenseiterrollen befinden. Eine deutliche Weiterentwicklung lässt sich dabei in der psychologischen Komplexität und Vielschichtigkeit erkennen.

Erst mit »Don Carlos«, welche er von 1865 bis 1867 komponierte, kehrte Verdi gewissermaßen zu einer Form der politischen Oper zurück.

Erst mit »Don Carlos«, welche er von 1865 bis 1867 komponierte, kehrte Verdi gewissermaßen zu einer Form der politischen Oper zurück. Basierend auf dem gleichnamigen Drama Friedrich Schillers entwickelt Verdi hierin ein komplexes Handlungsgeflecht, in welchem Politik, Kirche und individuelle Interessen auf engste miteinander verwoben sind.

Die Dramaturgie von »Don Carlos« weist im Schaffen Verdis und seiner Zeitgenossen besondere Züge auf: So erscheint die Politik als Strukturmoment, die jegliches Handeln bestimmt. Schon die Hochzeit Elisabeths, die eigentlich Carlos liebt, mit Philipp dient einem politischen Motiv, nämlich dem des Friedens zwischen Spanien und Frankreich. Posa unterstützt Carlos bei seinem politischen Ziel, Flandern zu befreien und fällt letztlich doch einem »Deal« Philipps und des Großinquisitors zum Opfer. Von besonderer Bedeutung sind hierbei auch die Rollen der Repräsentanten: Philipp II., der letztlich die Staatsräson verkörpert, erfüllt keineswegs das Klischee des megalomanen Tyrannen, wie es Macbeth noch darstellt. Spätestens in der berühmten Arie »Ella giammai m’amò« (»Sie hat mich nie geliebt«) wird die Unsicherheit deutlich, von der Philipps Handeln bestimmt ist.

Ihm gelingt es hierin, die Politik als unsichtbares Prinzip, ohne konkrete Repräsentanten und vielmehr als diffuse Macht erscheinend auf die Bühne zu bringen.

Zugleich manifestiert sich in kaum einer anderen Figur der Operngeschichte die innere Zerrissenheit zwischen dem öffentlich-politischen Amt und der väterlichen Liebe auf so eindringliche Art und Weise. Hinzu tritt eine weitere Macht, welche als ideologische gar die des Königs übersteigt, auf den Plan: der den Klerus repräsentierende Großinquisitor. In dieser Figur spiegelt sich auch Verdis kritische Einstellung gegenüber der Kirche wider, welche auch in »Aida« eine zentrale Rolle spielen wird.

In seinem »Don Carlos«, der vielen Zeitgenossen als zu schwierig und komplex erschien, zeigt sich exemplarisch, wie sehr Verdi sein Konzept der politischen Oper verändert hat. Ihm gelingt es hierin, die Politik als unsichtbares Prinzip, ohne konkrete Repräsentanten und vielmehr als diffuse Macht erscheinend auf die Bühne zu bringen. Folgerichtig steht am Ende der Oper keine Revolution, keine Entmachtung des Herrschers, vielmehr liegt die eigentliche Katastrophe in der Wiederherstellung der bestehenden Ordnung.

 

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