Wer zuletzt lacht, lacht am besten – Ein post-mortales Interview

Benjamin Britten - Foto: Hans Wild

Norbert Abels, der als ausgewiesener Britten-Kenner gilt und u. a. 2008 eine Monographie über den britischen Komponisten veröffentlichte, führte ein fiktives Interview mit Benjamin Britten.

Mr. Britten (gestatten Sie mir diese prosaische Anrede), noch kurz vor Ihrem Tod im Dezember 1976 hat man Sie zu einem Life Peer als Baron Britten of Aldeburgh in The County of Suffolk erhoben. Wie haben Sie das damals aufgenommen?
Ich habe den Neid und die Häme darauf schon lange vor meinem Tod nach ähnlichen Ehrungen erfahren. Ich bin noch heute ein unverbesserlicher Sozialist. Der Barontitel jedenfalls hat meinen Ansichten über den ungerechten Zustand unserer Welt und die Unabdingbarkeit ihrer Veränderung keinen Abbruch getan. Die amerikanischen Jagdflieger, die ein paar Jahre zuvor während des Vietnamkrieges unablässig über mein Haus donnerten und mich bei der Arbeit störten, erinnerten mich an meine frühesten Kindheitseindrücke, an die deutschen Zeppelinbombardements. Meine Eltern haben mir oft davon erzählt, dass ich immer wieder geschluchzt habe, dass mir, dem Liebsten, eine Bombe auf den Kopf gefallen sei. Meine schlimmste Begegnung mit dem politischen Wahnsinn war 1945, als ich vor kranken und abgemagerten Menschen in Bergen-Belsen musizierte. Ich konnte das sprachlich nicht artikulieren, habe aber versucht, es in meinen John Donne Vertonungen musikalisch auszudrücken. Mich hat es mehr geärgert, dass mich Prinz Philip unverschämterweise bereits zehn Jahre vor meinem Tod einen »alten Mann« nannte, als dass mich der Adelstitel übermäßig erfreut hat.

Mr. Britten, gerade eben feiert die englische Yellow Press wieder fröhliche Urständ. Da werden in alter viktorianischer Bigotterie erneute Denunziationen hervorgebracht und dabei verleumderisch Existenzen zu Fall gebracht. Ein typisch englischer Volkssport, dem schon Oscar Wilde zum Opfer viel? Sie selbst gerieten damals ins Kreuzfeuer. Eine ganze Clique von Feinden ihren Feinden, darunter die Schriftsteller Dylan Thomas und Louis Mac Neice oder der Maler Michael Ayrton, insinuierten eine homosexuelle Konspiration der Musik.
Darüber spreche ich auch jetzt nicht. Mein Leben mit Peter und meine Faszination von der Knabenschönheit sind Privatsache. Die Biografien über mich, die so gierig wie vergeblich nach begangenem Unrecht gefahndet haben, können mich längst nicht mehr verletzen. Ich habe erfahren, dass die Busfahrer in Aldeburgh ihr Fahrzeug bei meinem Haus stoppen, wenn Schulkinder darin ein wenig randalieren. »Pass auf, wir bringen dich zum bösen Peter Grimes«, wird da angedroht. So ist das eben – das Geschwätz legt sich wie Mehltau über die Welt – man wird es nie zum Schweigen bringen. Die englische Bigotterie ist nur ein ganz spezieller Sonderfall einer allgemeinen bedauernswerten Disposition der inzwischen in die letzten Erdenwinkel exportierten bürgerlichen Moral.

Sie galten, Mr. Britten, von Anfang an als Wunderkind. Was hat Ihren Werdegang zum modernen Orpheus Britannicus denn grundlegend beflügelt?
Sie werden es vermuten: es war meine Mutter. Auf dem Weg zu Morlings Musikalienhandel schwärmte sie von der Zukunft ihres jüngsten B, der auserkoren sei, ein geniales Quartett zu vervollständigen: Wir sprachen häufig über die drei, bzw. vier B’s. Die drei B’s waren Bach, Beethoven und Brahms, und der vierte war – Britten. Soll man da nicht ehrgeizig werden. Aber im Ernst – ich las bereits in den Noten, als ich das Alphabet noch nicht beherrschte, als Junge spielte ich den ganzen Tag am Klavier. Um die Tasten gut zu treffen, bedurfte es einiger Kissen auf dem Schemel. Nach und nach verschwanden diese Kissen, meine Leidenschaft aber blieb. Wir spielten auch unablässig Theater – ein herrliches nachbarschaftliches Kulturleben. Meine Klänge drangen durch’s offene Fenster nach draußen und mischten sich gar wunderlich mit den Schmerzensschreien der Patienten, denen mein Vater in seiner Praxis im Untergeschoß eben eine Wurzelbehandlung verpasste. Das war wohl – erlauben Sie einem Gestorbenen den kleinen Spaß – der Beginn meiner bitonalen Passion.

Wir feiern in Ihrem hundertsten Geburtsjahr auch die zweihundertsten Geburtstage von zwei Komponisten, deren Initialen keinerlei Bs aufweisen. Wie fühlen Sie sich in dieser Gesellschaft?
Verdi und Wagner? Sie sind im Alphabet weiter von mir entfernt als in meinem musikalischen Kosmos. Ich kann mich noch verdammt gut an den Eindruck erinnern, den mir der Ring machte, als ich ihn in Wien mit meiner Mutter zusammen erleben konnte. Ich sah und hörte dort auch die Meistersinger und war hingerissen. Ein paar Tage später erblickte ich in Nazi-Deutschland die Hakenkreuzmeere – ich habe mich nicht dazu bringen lassen, da eine unselige Verbindung herzustellen. Wagners Genie ist einzigartig. Dennoch sollte man sich davor hüten, ihm wie in Bayreuth allzu idolatrische Tribute zu entrichten. Das Absolute ist, wie der von mir verehrte Gustav Mahler einmal formulierte, nur für einen Gott gemacht. Ich verrate Ihnen aber mal etwas. Ich arbeitete in meiner noch jugendlichen Phase an einer Sword in the Stone betitelten Konzertsuite für Kammerensemble, sechsteilig angelegt. Der Stoff, aus der Welt des Königs Arthur, stand mir sehr nahe. Listig wie Loge, der Ideologe, versetzte ich Zitate aus Wagners Ring in die Tafelrundengesellschaft, etwa bei der Vogelmusik: einen Originalvogel (Donald Duck) findet man in der Posaune – sowie Besuche von Beethoven (Pastorale), Wagner (Siegfried), Strauss (Bürger als Edelmann), Liza Lehmann (Vogel-Lieder) und Delius (1rst Cuckoo) – was ein wenig unangemessen erscheinen mag – aber eben das Beste war, was ich damit machen konnte. Bitte drucken Sie das nicht und erwähnen Sie auch nicht meine Begeisterung für Emil und die Detektive. – Und Verdi? Nun, ein spätes Bild zeigt mich ironisch lächelnd in Venedig, zu Füßen der Büste Verdis sitzend. Das sagt doch alles. Was wäre die Geschichte der Oper ohne ihn? Verdi war mir immer wichtig und ich fand es abscheulich, wie man auch ihn ideologisch attackierte, – etwa während meiner Kriegsjahre in Amerika. Damals wurde auch in den Staaten die Stimmung frenetisch. Da gab es eine ekelhafte Hetzkampagne, die deutsche und italienische Musik, Mozart und Verdi, verbieten lassen wollte. Das war noch vor McCarthy und so ungeheuerlich wie die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung. Apropos schwarz: War es nicht Verdi, der in seinen Opern immer wieder den existentiellen Außenseiter präferiert hat und neben Othello Gestalten wie einen Buckligen, eine moribunde Prostituierte, eine Zigeunerin oder einen südamerikanischen Indianer zu Helden machte. Auch in Albert Herring, meiner sarkastischen Ensemble-Oper, die oft an ihr großes Modell, Verdis Falstaff, denken lässt, schließt – auch ohne Fuge – mit der Lehre: »Wer zuletzt lacht, lacht am besten.« Das Tohuwabohu des Geschwätzes, im unvergleichlich gelungenem Nonett von Verdis Gartenszene archetypisch vorgegeben, kommt hier gleich in mehreren Passagen zur Geltung.

Mr. Britten, was wünschen Sie sich zu Ihrem hundertsten Geburtstag?
Ich hatte im Mai 1973 eine schreckliche Operation mit einem katastrophalen Ergebnis: Meine rechte Hand blieb gelähmt und ich konnte nicht mehr Klavier spielen. Das würde ich aber jetzt gerne noch einmal tun und zwar auf dem Klavier meiner Kindheit. Wenn ich damals aufhörte zu spielen, hörte ich, wie die Nordsee die Klänge einsog. There was a time…

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