»… wie bei einem Hauskonzert«

Solo-Cellisten der Staatskapelle Berlin - Foto: Tatjana Dachsel

Sennu Laine, Prof. Andreas Greger und Claudius Popp, die drei Solo-Cellisten der Staatskapelle Berlin, im Gespräch mit Dramaturg Detlef Giese über Yo-Yo Ma, Bach, Dvořák und das Violoncellospiel an sich.

DETLEF GIESE Irgendwann im Leben eines Musikers fällt die Entscheidung für ein bestimmtes Instrument. Wie war das bei Ihnen?

ANDREAS GREGER Eigentlich ganz einfach: Mein Vater war Cellist, und im Kleinkindalter saß ich viel und gern bei ihm, wenn er geübt hat. Ich kann mich exakt an die Situation erinnern, das war vielleicht 30 oder 40 Zentimeter vor dem Violoncello, vor diesem riesigen Korpus. Und dann dieser Klang! Das fand ich beglückend, in jeder Hinsicht. Über viele Stunden, Wochen, Monate ist dann der Wunsch gewachsen, dass ich auch Cello spielen wollte.

DETLEF GIESE Als Streicher muss ja schon im Kindesalter beginnen, damit man ein professionelles Niveau erreicht.

ANDREAS GREGER Das stimmt natürlich. Ich habe mit fünf Jahren begonnen und zwar auf einer umgebauten Bratsche, auch das weiß ich noch genau.

SENNU LAINE Meine Eltern sind keine Musiker, wollten aber ein musikalisches Hobby für mich finden. Eigentlich sollte ich Geige spielen lernen, aber in der Musikschule gab es damals keinen Platz. So ist es dann das Violoncello geworden.

DETLEF GIESE Das war noch in Finnland?

SENNU LAINE Ja, genau. Es war also nicht meine Entscheidung, aber ich habe es einfach mitgemacht. Mir hat es sehr gefallen, und wir wurden auch sehr gefördert. Für mich war von Anfang an klar, dass ich Violoncello spielen will, in Zukunft auch beruflich.

CLAUDIUS POPP Bei mir war es ganz ähnlich wie bei Andreas. Meine Mutter ist Pianistin, mein Vater Cellist, sogar Professor für Violoncello. Unter anderem hat er in Moskau studiert und kam dann von dort zurück mit einem Achtelcello, als Mitbringsel. Das stand dann so herum. Und als ich vier war, habe ich anscheinend einfach angefangen zu spielen. Ich kannte vom Sehen, wie man mit dem Instrument umgehen muss: Hand links, Bogen rechts, das war ein ganz spielerisches Herangehen.

DETLEF GIESE War denn der dunkle, warme Klang des Violoncellos dabei von Wichtigkeit?

Claudius Popp im Gespräch mit Detlef Giese - Foto: Tatjana Dachsel
Claudius Popp im Gespräch mit Detlef Giese

CLAUDIUS POPP Für mich persönlich nicht unbedingt, für mich war immer das Repertoire entscheidend. Ich bin schon ein wenig neidisch auf die Pianisten, denn diese können so viel solistisch spielen und haben eine riesige Auswahl an Stücken. Ein gewisser Neid besteht natürlich auf die Geiger mit ihren vergleichsweise vielen Konzerten, die wahnsinnig schön sind. Aber auch wir haben sehr gute Literatur.

DETLEF GIESE Die sechs Solo-Suiten von Bach spielen ja gewiss eine spezielle, herausgehobene Rolle, wie man vermuten darf. Was ist denn eigentlich das Besondere an dieser Musik? Hält die Faszination ein Leben lang?

ANDREAS GREGER Die Faszination ist ungebrochen, aber es entstehen jedes Mal, wenn man diese Werke in die Hand nimmt, mehr Fragen als Antworten. Es gibt keine einheitliche stilistische Idee, wie man Bach spielt, sondern prinzipiell viele verschiedene Möglichkeiten. Es gab und gibt diesen ungeheuren Impuls der historischen Aufführungspraxis, durch den niederländischen Cellisten Anner Bylsma etwa. Das war für mich faszinierend, prägend geradezu, bis dahin, dass ich mich intensiv damit beschäftigt habe: Stachel weggenommen, Darmsaiten und Barockbogen gekauft — und los ging es! Ich habe sogar Violoncelloabende auf zwei Instrumenten gespielt: im ersten Teil Bach auf dem Barockcello, nach der Pause dann Beethoven, Brahms oder Webern. Das hatte zwar so ein bisschen einen pädagogischen Impetus, aber für mich war es sehr wichtig. Und Bach zu spielen ist immer eine große Aufgabe und eine Herausforderung.

DETLEF GIESE Ist da nicht so eine gewisse Ambivalenz vorhanden, dass man sich einerseits dieser in der Tat wunderbaren Musik widmen kann, zum anderen aber auch der Respekt vor den großen Interpreten mit hineinspielt?

SENNU LAINE Bach wird ja so unterschiedlich interpretiert, da gibt es kein Muss oder Soll.

ANDREAS GREGER Man hat sich heute prinzipiell darauf geeinigt, »historisch informiert« zu spielen und nicht wie noch in der 60er Jahren in einer romantisierten Art und Weise. Also eher Anner Bylsma als Hugo Becker.

DETLEF GIESE Ein paar Namen sind ja schon angeklungen. Gibt es denn für Sie speziell direkte Vorbilder aus dem Kreis der großen Cellisten aus Vergangenheit oder Gegenwart, von dem Sie meinen, auf der gleichen ästhetischen Wellenlänge zu sein?

SENNU LAINE Ich mag sehr gern, wie Boris Pergamenschikow gespielt hat. Geschmackvoll und farbig, nie zu groß oder bombastisch im Ton. Aber es gibt natürlich auch andere hervorragende Cellisten.

DETLEF GIESE Und wenn man in einen wirklichen »Klassiker« der Bach-Interpretation hineinhört, in die Aufnahmen von Pablo Casals aus den 1930er Jahren? Ist das eine vollkommen vergangene Zeit, der man da begegnet?

SENNU LAINE Casals war überhaupt der Erste, der die Bach-Suiten in diesem Umfang gespielt hat. Er besaß kein Vorbild, auch war er nicht von irgendwelchen Traditionen belastet. Das kann ein Vor-, aber auch ein Nachteil sein.

CLAUDIUS POPP Mein erster hauptsächlicher Kontakt mit Bach kam von Heinrich Schiff. Dessen Aufnahme gefällt mir persönlich mit am besten, weil es zwei Arten miteinander verbindet: das natürliche und das analytische Spiel. Eine Analyse des Notentextes ist wichtig, keine Frage. Aber wenn das Ganze dann wie eine musikwissenschaftliche Abhandlung klingt, geht die eigentliche Musik doch ein wenig verloren. Deswegen empfinde ich bei Schiff die Balance als genau die richtige.

DETLEF GIESE Nun kommt der Cellist Yo-Yo Ma zu den FESTTAGEN, und das gleich zwei Mal, für die Bach-Suiten und zwei Tage später dann für das Violoncellokonzert von Antonín Dvořák, das er gemeinsam mit der Staatskapelle und Daniel Barenboim spielen wird. Haben Sie ihn schon mal live erlebt, als Zuhörer wie als Mitwirkender im Orchester?

CLAUDIUS POPP Ja, wir haben schon zusammen gespielt.

SENNU LAINE Das Schumann-Cellokonzert war das, in New York. Und 1992, da war ich noch sehr jung, habe ihn einmal mit Bach gehört.

Andreas Greger und Sennu Laine im Gespräch
Andreas Greger und Sennu Laine im Gespräch

ANDREAS GREGER Yo-Yo Ma ist im medialen Zeitalter quasi omnipräsent. Er ist schon ein großes Vorbild für mich. Er kann auf eine lange Karriere zurückblicken, die immer noch anhält, unter anderem weil er ein eminent guter Cellist und Musiker ist. Es spricht für ihn, dass er sich verändert, dass er nicht mehr so spielt wie noch vor 30 oder 40 Jahren, sondern dass er sich immer weiter emotional und intellektuell entwickelt.

DETLEF GIESE Die Bach-Suiten hat er mehrmals aufgenommen, einmal in den frühen 80er Jahren, eine Einspielung, die legendär geworden ist, und dann noch einmal nach 2000. Dazu hat ja auch nicht jeder Künstler die Gelegenheit.

CLAUDIUS POPP Ich bin sehr gespannt, wie er es diesmal machen wird, rein cellistisch gesehen. Die Bach- Suiten spielt er nun wahrlich nicht zum ersten Mal … Da er in der letzten Zeit aber zumeist in Amerika und weniger in den europäischen Konzertsälen aufgetreten ist, wird man vielleicht einiges Neues erwarten dürfen.

DETLEF GIESE Im Konzert mit der Staatskapelle wird ja das Cellokonzert von Dvořák aufgeführt werden, auch das ein häufig gespieltes Stück. Ist dieses Werk auch für Sie ein »Favourite«?

SENNU LAINE Ja, es ist ein so tolles Stück. Brahms hat, als er das hörte, sinngemäß gesagt: »Schade, dass ich nicht wusste, dass man so für Violoncello schreiben kann.« Das ist einfach perfekt, es gibt keine schwache Stelle darin.

ANDREAS GREGER Nicht ein Takt ist überflüssig, das kann man wirklich nicht von jedem Stück sagen. Eigentlich ist es eine »Symphonie fantastique« für Violoncello und Orchester. Das Werk besitzt einen sinfonischen Zuschnitt, ohne dass das Cello im Bermudadreieck des Klangs verschwindet, das war ja das Problem der ganz großen Komponisten. Insbesondere von Brahms, der nach seinem Doppelkonzert geschrieben hat, dass er sich doch lieber auf die Instrumente zurückziehen würde, von denen er wirklich etwas versteht. Getrieben hat ihn wohl die Sorge, dass das Cello dadurch, dass es klanglich und seinem Tonumfang entsprechend vor allem in der Mittellage angesiedelt ist, ungünstig hörbar einzubinden ist. Diesem Problem bei der Instrumentierung konnte man eigentlich nur begegnen, indem man das Orchester entsprechend ausdünnt. Da hat Dvořák eine souveräne Lösung gefunden.

CLAUDIUS POPP Aber auch späteren Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch oder Sergej Prokofjew ist dies gelungen. Dessen Sinfonia concertante für Violoncello und Orchester ist neben dem Dvořák-Konzert eines meiner absoluten Lieblingstücke.

DETLEF GIESE Und dann gibt es ja noch das Cellokonzert von Henri Dutilleux. Sennu, Sie spielen dieses Werk als Solistin im Mai in einem Abonnementkonzert mit der Staatskapelle. Überwiegt im Hinblick auf diesen Abend Vorfreude oder Respekt?

Sennu Laine - Foto: Tatjana Dachsel
Sennu Laine

SENNU LAINE Das Werk ist neu für mich, auch immer noch ein wenig fremd. Ich finde das Stück aber sehr intim und durchsichtig, ein bisschen in Richtung der Musik von Olivier Messiaen. Und natürlich, das Konzert mit den Kollegen aus dem Orchester und Maestro Barenboim spielen zu dürfen, ist eine besonders schöne Sache.

DETLEF GIESE Werden Sie denn Yo-Yo Ma bei seinem Soloabend in der Philharmonie lauschen?

SENNU LAINE Auf jeden Fall. Ich hoffe, es gibt Podiumsplätze, das würde ich mir wünschen, da ist man dann ganz nahe am Geschehen. Ich mag es, wie Yo-Yo Ma auf der Bühne agiert, da ist er wie zu Hause, auch wenn er vor 2.000 Leuten spielt. Das habe ich in der Carnegie Hall erlebt, das Konzert war ausverkauft — und er kam einfach so, als ob es ganz normal wäre, ganz alltäglich.

ANDREAS GREGER Ja, wie bei einem Hauskonzert. Wir freuen uns jedenfalls darauf.

Diesen Beitrag findet ihr auch in »Staatsoper – Das Magazin No. 4«

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