Wie entsteht eine Märchenoper?

Hans im Glück - Foto: Vincent Stefan

Ab Freitag findet Hans sein Glück in der Werkstatt des Schiller Theaters! Doch wie entsteht eine Märchenoper? Vier Tage vor der Uraufführung haben uns Komponist David Robert Coleman und Librettist Rainer O. Brinkmann erzählt, wie sie ihr Werk entwickelt haben. Komponiert man für Kinder anders, was bedeutet Glück und wie klingt eigentlich ein Schwein? Findet es heraus und hört schon mal in die »Pig Aria« rein!

Hans im Glück - Foto: Vincent Stefan

 

Wie klingt eine Arie über ein Schwein? Wir haben in einer Probe die »Pig Aria« für euch als erste Kostprobe mitgeschnitten:

 

David Robert Coleman – Komponist

Wie kam es zur Idee das Märchen »Hans im Glück« zu vertonen?
Die Idee stammt von der Flötistin Ursula Weiler, die in der Uckermark ganz wichtige Kulturprojekte mit ihrem Ensemble Quillo macht. Da möchte ich auch sagen, dass ich sehr inspirierende Zeiten in der Uckermark zwischen Seen und Wäldern verbracht habe, die diese doch karge und stille Landschaft kennzeichnen.

Wie würdest du die verschiedenen Phasen des Entstehungsprozesses des Werks beschreiben?
Das Stück fing an vor einem Jahr als ein halbstündiger Sketch für einen Sprecher und fünf Instrumentalisten. Da habe ich schon einige der grundlegenden musikalischen Themen festgesetzt, z. B. die Kuh und das Pferd. Aber in dieser Form war es ein bisschen wie ‚Schauspielmusik‘. In diesem Sommer, im Zeitraum von ca. drei Monaten, habe ich versucht eine eher durchkomponierte Form zu finden mit ausgearbeiteter Musik, die dem Stück Farbe und Tiefe verleihen soll.

Welche Möglichkeiten bietet die von dir gewählte Besetzung?
Die zwei Männer, Hans und der Meister, sind schicksalhaft miteinander verbunden. Der Meister ist der Movens des Hans, der, psychologisch gesprochen, einen Prozess der Individuation durchwandert. Deshalb wird Hans von einem Bariton gesungen und der Meister von einem Bassbariton. Es gibt als Kontrast noch eine hohe Koloratursopranistin, mal ist sie eine einfältige Kuh, die eine drollige Pastorale besingt, mal hat sie eine hoch-virtuose Arie als Schwein, das so schlau ist, dass es seinem Schicksal als Wurst entkommt. Das kleine Instrumentalensemble bietet eine breite Farbpalette – vor allem durch das Akkordeon, das ein Chamäleoninstrument ist: unendlich wandelbar, ein kleines Orchester! Das Schlagzeuginstrumentarium ist auch relativ groß und farbenreich: z. B. Marimba, Vibraphon, drum-kit… Wenn man mit Phantasie für ein kleines Ensemble schreibt, hat man nicht unbedingt weniger Ausdrucksmöglichkeiten als beim großen Orchester. Stücke wie Strawinskys »Concertino« oder »L’histoire du soldat« sind große Vorbilder.

Komponiert man für Kinder anders als für Erwachsene?
Schwierig zu sagen… Ich habe so komponiert, dass eine ausdrucksreiche Musik entstanden ist, die klar eine dramatische Situation untermalt und kommentiert. Es gibt viele ‚lustige‘ Stellen, über die ich schon lachen muss.

Wie klingt ein Schwein?
Ich habe entgegen eines Klischees des Grunzens eine schöne, quasi ‚tonale‘, Musik für das Schwein geschrieben. Es gibt eine »Pig Aria« in der die Kunstfertigkeit des Schweins in Zerbinetta-haften, gesanglichen Kaskaden hervor getragen wird. Das soll natürlich auch ein Witz sein, ein Moment der totalen Absurdität.

Wie klingt eine Kuh?
Eine lange, etwas einfältige Cello-Melodie!

Wie würdest du die Musik in deinen Worten beschreiben?
Musik ist für mich eine ganz konkrete Sprache. Ich liebe das Absurde, Surreale, mitunter Sentimentale, als Kontrast zur Abstraktion einer klassischen Moderne. Wichtige Bezugspunkte sind Ligeti (»Grand Macabre«) oder die Musik eines Scott Bradley (ein Schüler von Schönberg), der in den vierziger Jahren eine phantastische Musik bestehend aus kurzen Floskeln für die »Bugs Bunny« und »Tom and Jerry« Zeichentrickfilme geschrieben hat.

 

Hans im Glück - Foto: Vincent Stefan

 

Rainer O. Brinkmann – Librettist

Was ist die Geschichte von »Hans im Glück«?
Sie ist ein Gleichnis, das uns zwei Wege zum Glück zeigt: Hans genießt seinen glücklichsten Moment, als er frei ist von jeder Belastung. Als Leser oder Zuschauer wissen wir, dass dieser Moment nicht lange anhalten kann, denn so können wir in dieser Welt nicht überleben. Der zweite Weg in der Geschichte führt über die ‚Nutztiere‘. Sie haben etwas zu bieten (Milch, Federn, Fleisch, schnelles Überwinden einer Entfernung), was Hans aber nicht nutzen kann: Reiten ist nicht seine Sache, das Melken hat er nicht gelernt und schon gar nicht weiß er es anzustellen, ein Tier zu schlachten. Die Tiere scheinen ihm schnell wertlos und so ist es kein Wunder, dass er von anderen ‚ausgenutzt‘ wird. Und zwar von Menschen, die ihren ‚Eigennutz‘ aus der Sache ziehen können. Nur wer die Tiere richtig nutzt, kann damit langfristig glücklich werden.

Womit hast du angefangen? Was war die erste Zeile des Librettos, die du geschrieben hast?
Am Anfang war das Wort ‚beglückt‘. Es gefiel mir, weil es den Vorgang beschreibt, wie ein Mensch zum Glück kommt: Er wird durch etwas beglückt. Darauf war schnell das Reimwort ‚verrückt‘ gefunden. Die Geschichte von Hans ist ‚crazy‘, denn innerhalb von einer Stunde einen Klumpen Gold durch sechs Tauschgeschäfte in pures Glück zu verwandeln, das gelingt nur den wenigsten Menschen. Die erste Librettozeile war ein Text des Meisters: »Sieben Jahre hat er mir gedient. Treu und ehrlich. Und was hat er gelernt? Nichts.«

Du gibst den Tieren, anders als in der Märchenvorlage, eine Stimme. Warum? Und wie begegnen uns die Tiere noch im Libretto?
Ja, die Tiere in diesem Märchen sind sprachlos, nicht wie der gestiefelte Kater oder der Froschkönig. Sie werden uns vorgeführt wie Objekte, die ihr Schicksal nicht beeinflussen können. Sie haben eine Bestimmung, nämlich geritten, gerupft oder gegessen zu werden. Im Libretto wollte ich ihnen eine Stimme geben, damit sie den Zuschauern auffallen als Wesen, die ihr Bestes geben, um uns Menschen zu erfreuen. Und ich wollte zeigen, dass die Menschen es oft nicht verdient haben, so wie sie die Tiere halten oder mit ihnen umgehen. Stellvertretend für viel Leid, das den Tieren zugefügt wird, gibt es dann die Rache des Schweins …

Was war die größte Herausforderung daran, das Libretto zu einem so bekannten Märchen zu verfassen?
In der Geschichte kommen eigentlich acht Personen vor, die meisten haben aber nur einen kurzen Auftritt. Es wäre viel zu teuer, wenn man sie alle engagieren müsste und dann würden sie sich die meiste Zeit hinter der Bühne langweilen. Das wollte ich ändern, indem ich die Figur des Meisters erfunden habe. Ich wollte durch ihn zeigen, dass immer, wenn Hans etwas verliert, es jemanden gibt, der sich daran bereichert. Gleichzeitig sollte diese Figur so etwas wie ein Zen-Meister sein, der seinen Schüler (Hans) immer wieder vor die gleiche Problemstellung führt, bis er etwas kapiert. Die Pointe ist, dass er dann den Schlüssel zum Glück findet, aber anders als der Meister es sich gedacht hat.

Wie bist du vorgegangen?
Es war mir wichtig, den richtigen Ton zu treffen, den die Brüder Grimm immer so fantastisch einfach in ihren Märchen anschlagen. Daher habe ich mich stark an der wörtlichen Rede von Hans, den Tierbesitzern und dem Scherenschleifer orientiert. Das meiste ist aus dem Original übernommen, dann habe ich nach einem Idiom gesucht, dass sich damit kombinieren lässt. Oft schienen mir die Sätze bei den Grimms zu lang, so dass ich sie unterbrechen musste durch Fragen. Daraus entstand eine Wiederholungsfigur, die in fast jeder Szene aufscheint: »Und?« – »Wie?« – »Verrückt!«

Hast du eine Lieblingsfigur?
Berta, die Kuh. Sie singt immer ein zufriedenes »Möööh!« und hat viel Spaß in einer Arie, in der sie die Milch verspritzen darf.

Und die Moral von der Geschichte…?
Die zeigt sich am besten im Duett. Meister: »Verrückt! Verrückt! Wie dumm kann man nur sein?« Hans: »Beglückt! Beglückt! Was hab’ ich für ein Schwein?«

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