Alle sprechen eine Sprache
Dramaturg Detlef Giese sprach mit Alexandra Uhlig, David Robert Coleman und Max Simon über die Arbeit der Orchesterakademie der Staatskapelle Berlin, über das, was gewesen ist und das, was kommen wird.
Anfang März 2015 habt ihr Gustav Mahlers »Lied von der Erde« in der Kammerversion von Arnold Schönberg zur Aufführung gebracht. Mit Mahler verbindet man ja gewöhnlich das große Orchester und die große Sinfonik, diese Fassung benötigt aber lediglich fünfzehn Musiker und zwei Sänger. David, als Dirigent des Ganzen, wie hast Du diese Arbeit mit den Akademisten empfunden?
David Robert Coleman Ganz wunderbar. Ich hatte das Glück, dieses Werk sowohl in der großen Fassung zu dirigieren als auch in der kleinen. Es wird oft gesagt, diese sei von Schönberg, aber in Wahrheit hat Schönberg nur Teile davon geschrieben. Ein Frankfurter Musikwissenschaftler namens Rainer Riehn hat die Partitur dann in den 1980er Jahren vervollständigt. Ich hatte immer das Gefühl, dass diese Bearbeitung nicht so toll ist, aber ich wurde eines Besseren belehrt. Ich finde, wir hatten ein sehr schönes Konzert. Das Wesentliche bei Mahler im Vergleich zu Richard Strauss ist, dass er das große Orchester häufig sehr kammermusikalisch behandelt. Das haben wir, glaube ich, sehr gut herausgearbeitet. Ich jedenfalls war sehr glücklich mit dem Resultat.
Wie empfindet das ein Musiker, der daran beteiligt war?
Max Simon Mir hat das auch sehr, sehr viel Freude gemacht. Ich habe mich freiwillig dafür gemeldet, weil ich Lust darauf hatte und das Stück schon im großen Sinfonieorchester gespielt habe. Ich war wahnsinnig neugierig, wie die Musik in der Kammerfassung klingt. Die große Herausforderung war, dass alle Parts solistisch besetzt sind. Im Tutti mischt es sich normalerweise, hier aber lagen plötzlich viele Dinge ganz offen. Auf einmal sitzt man dort ganz alleine und denkt: Jetzt bin ich derjenige, der die Stimmung hoffentlich gut herüberbringt. Zugleich aber war es ganz herrlich, man wusste, dass man die anderen mitreißen kann.
Wir sind ja seit fünf Jahren im Rahmen unserer Kammerkonzerte mit der Staatskapelle im Roten Rathaus. Alexandra, du hast alle diese Konzerte der Orchesterakademie organisiert. Mahlers »Lied von der Erde« war dabei sicher das bislang ambitionierteste Projekt. Welche Herausforderungen hat das mit sich gebracht?
Alexandra Uhlig Es war schon erstaunlich, dass es eigentlich ganz reibungslos lief. Ich habe selten so wenige organisatorische Probleme gehabt. Als wir es vor etwa zwei Jahren ins Auge gefasst haben, habe ich mich gefragt, ob das mit der für unsere Verhältnisse doch recht großen Besetzung funktioniert. Es war ein sehr schönes Erlebnis, am Ende das Ergebnis zu hören. Aber manchmal gab es schon Engpässe. Bei dir, David, habe ich zum Beispiel ganz schön geschwitzt.
David Robert Coleman Ja, ich bin damals Vater geworden, genau am Konzerttag. Ein Lied der Familie.
Alexandra Uhlig Genau zwischen Generalprobe und Konzert.
Max Simon »Ich muss jetzt gehen, mein Kind wird gerade geboren.« Wir waren alle völlig überrascht.
Das ist ja eine schöne Geschichte. David, ist es ein Unterschied, mit den jungen Musikerinnen und Musikern zu arbeiten, die noch nicht zwanzig Jahre Berufserfahrung haben? Muss man da in der Einstudierung anders vorgehen?
David Robert Coleman Ich habe bewusst nicht anders gearbeitet. Die Mitglieder der Akademie sind ja nun auch wirklich professionelle Musiker. Das Niveau ist sehr hoch und man kann sehr intensiv arbeiten.
Die zwei Jahre in der Akademie haben ja immer auch den Vorteil, ein Karrieresprungbrett zu sein. Wie viele haben denn in anderen Orchestern Fuß fassen können? Und was waren dabei die am weitesten entfernten Ziele?
Alexandra Uhlig Mehr als zweihundert Musiker haben die Akademie bislang vollständig durchlaufen. Manche haben auch schon vor dem Ablauf ihrer Zeit als Akademist eine Orchesterstelle gefunden. Viele spielen heute in Solopositionen auf der ganzen Welt. Eine Musikerin ist nach Brasilien gegangen – das ist wahrscheinlich das exotischste. Andere sind heute in England oder Skandinavien. Aber der Großteil ist in Deutschland geblieben, auch in der Staatskapelle selbst.
Max, du bist seit September dabei. Wo siehst Du Dich in etwa eineinhalb Jahren, wenn Deine Zeit bei der Akademie zu Ende geht?
Max Simon Ich wünsche mir, irgendwann einmal eine Konzertmeisterstelle anzutreten. Was ich mir auch vorstellen könnte: Konzermeister in einem Kammerorchester zu sein und einen Teil der Konzerte von der Geige aus zu leiten. So etwas würde mich sehr ansprechen. Auf der anderen Seite: Wie das Musikerleben so ist, muss man nehmen, was es gibt. Aber in einer führenden Position zu spielen, das mache ich gerne. Ich habe auch selbst an mich einen hohen Anspruch.
In der kommenden Saison soll das Mahler-Projekt eine Fortsetzung mit Franz Schrekers Kammersymphonie finden. Ist das ein konsequenter Schritt in der Erarbeitung komplexer Partituren?
David Robert Coleman Ich denke schon. Ich glaube, es ist auch ein logischer Schritt hin zu Schreker, der ein bisschen jünger als Mahler war und heute nicht so bekannt ist. Er war auch mit Berlin verbunden, u. a. war er Direktor der Musikhochschule bis 1932. In den Zwanziger Jahren war er zusammen mit Puccini und Strauss einer der erfolgreichsten Opernkomponisten. Die Kammersymphonie ist 1916 entstanden, für Mitglieder des Lehrkörpers am Wiener Konservatorium. Es ist keine Bearbeitung wie bei Mahler, sondern eine Originalkomposition. Stilistisch geht mehr in die Richtung von Alban Berg, was eine spannende Aufgabe sein kann.
Die Orchesterakademie gibt neben den Diensten in Oper, Konzert und Ballett in jeder Saison mehrere eigenständige Konzerte. Was werden wir in der Spielzeit 2015/2016 mit der Akademie alles erleben?
Alexandra Uhlig Die Zahl der Konzerte variiert immer ein wenig. Es kommt darauf an, wieviel in einer Spielzeit läuft. In der nächsten Saison werden wir beispielsweise wie schon seit mehreren Jahren in Eichwalde in der Alten Feuerwache auftreten. Wir werden auch wieder im Bode-Museum eine Konzertmatinee gestalten. Und natürlich werden alle Konzerte ausschließlich von den Akademisten bestritten.
Max, gibt es bestimmte Erlebnisse in der Akademie, die Du Dir so gewünscht hast und die etwas Besonderes für Dich waren? Gibt es Ereignisse, die bleibend im Gedächtnis sind?
Max Simon Auf jeden Fall. Ich weiß es noch ganz genau: Als mein erstes Stück unter der Leitung von Daniel Barenboim anstand, war ich bei der Einstudierung sehr gründlich. Ich hatte sehr hohen Respekt und war auch etwas aufgeregt. Immerhin war das damals Tristan und Isolde. Im Laufe der Probe wurde es lockerer. Da ich gut vorbereitet war, konnte ich dementsprechend auch gut zuhören. Ich war nicht nur auf meine Noten fixiert und konnte mich in die Gruppe gut einfinden. Mir persönlich hat auch das Konzertprogramm mit den Drei Orchesterstücken op. 6 von Berg sehr viel gebracht, die ich vorher nicht kannte. Ich war sehr angetan von der Musik.
Die Streicher werden bei den großen, komplexen Werken vorher zusätzlich studiert. Inwiefern seid Ihr dabei involviert?
David Robert Coleman Ich habe einige dieser Proben gemacht. Das ist doch hilfreich, oder?
Max Simon Absolut! Bei Tristan hatten wir das auch so gemacht. Das nützt jedem, keine Frage.
Alexandra Uhlig Es kommt auch immer auf das Werk an. Die gesonderten Streicherproben sind ein recht neuer Wunsch von Herrn Barenboim, und es musste sich erst einmal zeigen, wie man diese Proben überhaupt gestalten kann. Der Sinn der Sache ist, dass die bei den entsprechenden Stücken eingeteilten Akademisten mit einem Mentorenquintett daran arbeiten, so dass sich schon einmal ein konkreter Eindruck vom Streicherklang ergibt. Bei den Bläsern wäre das zu schwierig. Wenn man da eine dritte Flöte, keine Oboe, ein zweites Fagott und eine Tuba sitzen hat, dann ist eine Bläserprobe eher nutzlos.
Alexandra, Du bist seit 2008 bei der Akademie. Wenn Du jetzt nach sieben Jahren Bilanz ziehst, was bleibt dann im Gedächtnis?
Alexandra Uhlig Ich wollte immer mit Musik und im Management arbeiten. Wenn ich jetzt Bilanz ziehe, dann hat sich bei mir Einiges geändert: Während ich anfangs nur für die Orchesterakademie tätig war, betreue ich heute auch die Gastspiele der Staatskapelle und arbeite im Orchesterbüro mit. Das ist alles ein großer Komplex. Ich kann mich an jeden einzelnen Akademisten mit Bild und Namen erinnern – an manche mehr, an manche weniger. Meiner Ansicht nach bekommt die Akademie von Jahrgang zu Jahrgang ein immer neues Bild, und das finde ich spannend.
Gibt es denn Jahrgänge im eigentlichen Sinne? Kann man das zuordnen?
Max Simon Es liegt im naturell der Akademie, das permanent Leute kommen und gehen. Durch Probespiele wird man auch in der Saison immer wieder frisch zusammengewürfelt. Bei manchen weiß man schon, dass man mit ihnen angefangen hat. Und insgesamt gilt: Wir sind nicht nur Kollegen, es haben sich auch richtige Freundschaften entwickelt.
Alexandra Uhlig Es ist eben ein kleines Orchester im großen. Eines meiner schönsten Erlebnisse war eine Vollversammlung, bei der sich alle Akademisten zusammengefunden haben. Und zum Schluss bekam ich dann eine Fotocollage, für die sie sich vorab getroffen hatten. Da springen alle aus einer Explosionswolke heraus. Das war sehr schön.
David, Du dirigierst auch des Öfteren Opernvorstellungen in der Staatsoper, bei denen auch Akademisten mitspielen. Nimmst du darauf Rücksicht?
David Robert Coleman Mit den Akademisten gehe ich genauso um wie mit den etablierten Musikern von der Staatskapelle. Meine Aufgabe ist ja, die Vorstellung so gut wie möglich zu dirigieren. Ich habe zwischen den Akademiemitgliedern und Mitgliedern der Staatskapelle auch nie einen großen Unterschied bemerkt.
Max Simon Wir wollen ja auch nicht anders behandelt werden.
David Robert Coleman Viele Solopositionen in der Staatskapelle sind ja auch mit ehemaligen Akademisten besetzt. Das sind fließende Übergänge. Bei einem Stück wie Lulu muss der Musiker verstehen, wie es zusammengesetzt ist. Und auch jemand, der seit Jahren im Orchester spielt, muss sich erst einmal damit beschäftigen. Man gewinnt dabei an Erfahrung.
In der Akademie spielen Musiker aus vielen verschiedenen Ländern. Welche Rolle spielt dieser internationale Aspekt?
Max Simon Für jeden Menschen ist die Internationalität ein Vorteil. Durch die unterschiedlichen Kulturen und die Erziehung, die jeder mitbringt, wird die Akademie natürlich viel lebendiger. Mit Spaniern ist es immer laut und witzig, mit Deutschen ist es ein bisschen ernster.
Alexandra Uhlig Wir haben auch ziemlich alles dabei: Spanier, Chilenen, Engländer, Franzosen – und sie sprechen alle zusammen eine Sprache, und das ist die Musik.
In der nächsten Spielzeit seid Ihr drei auch weiterhin dabei – als Dirigent, als Musiker, als Organisatorin. Dafür wünsche ich Euch alles Gute und danke herzlich für das Gespräch.
Diesen Beitrag findet ihr auch in der Konzertvorschau 2015/2016