Auf einen Kaffee in Palermo mit unserer Konzertmeisterin Jiyoon Lee

Jiyoon Lee

Seit Mai ist die südkoreanische Violinistin Jiyoon Lee (25) die erste weibliche Konzertmeisterin in der Geschichte der Staatskapelle Berlin. Das Gastspiel nach Buenos Aires ist ihre erste große Tournee mit dem Orchester und Daniel Barenboim. Am freien Tag haben wir uns das Viertel Palermo angeschaut und haben über ihren Werdegang, die Staatskapelle Berlin und Buenos Aires gesprochen.

 

Liebe Jiyoon, wie bist du zur Musik, zur Geige gekommen?
Meine Mutter ist Pianistin und hat zu Hause unterrichtet, daher war ich eigentlich schon immer von Musik umgeben. Noch heute erkenne ich viele Klavierstücke aus meiner Kindheit – ich erinnere mich zwar nicht an alle Titel, aber wenn ich die Melodien höre, weiß ich genau wie es weitergeht. Für mich war es also ganz selbstverständlich, dass ich auch Musik mache. Mit drei Jahren habe ich dann zuerst mit Klavierspielen angefangen. Etwa ein Jahr später hat meine Mutter mich und meine zwei Brüder zum Geigenunterricht gebracht. Erstmal habe ich beide Instrumente gelernt, aber es war schnell klar, dass ich für die Geige mehr Talent habe und dann habe ich mich darauf konzentriert. Der Geigenklang hat für mich etwas ganz spezielles – er ist so brillant. Das liebe ich persönlich sehr. Als Kind habe ich sehr oft gemeinsam Konzerte mit meiner Mutter spielen können – das war toll und ein sehr guter Anfang!

Als Geigerin kannte ich nur Violinkonzerte, Violinsonaten und ein bisschen Kammermusik – aber im Orchester hat man viel mehr Abwechslung, das Repertoire ist so vielfältig. Das ist der Grund, warum ich Orchestermusikerin werden wollte.

Wann hast du gewusst, dass du die Musik zu deinem Beruf machen möchtest? Gab es einen Schlüsselmoment?
Als Teenager gab es durchaus eine Phase, in der ich Schwierigkeiten mit der Geige hatte, weil es die Entscheidung meiner Mutter war mit dem Instrument anzufangen und nicht direkt von mir selbst kam. Damals habe ich gezweifelt und darüber nachgedacht aufzuhören und habe mir für später einen ganz anderen Beruf vorgestellt: Ich wollte Zahnärztin werden, da ich sehr gerne mit den Händen, ganz delikat und fein, arbeite. Als Kind war ich außerdem ungeduldig, wenn es um Proben und Üben ging – das war eher ein Zwang für mich. Aber dann habe ich zum Glück eine ganz wunderbare Lehrerin getroffen und durch sie hat sich alles verändert, seitdem liebe ich es Musik zu spielen. Nicht nur als Solistin, sondern auch gemeinsam mit anderen Musikerinnen und Musikern im Orchester. Als Geigerin kannte ich nur Violinkonzerte, Violinsonaten und ein bisschen Kammermusik – aber im Orchester hat man so viel mehr Abwechslung, das Repertoire ist so vielfältig. Man kann auch die Musik von Wagner, Mahler oder Bruckner entdecken – das finde ich toll und das ist auch der Grund, warum ich Orchestermusikerin werden wollte.

Wie bist du nach Berlin gekommen?
Nach meinem Bachelorstudium an der Korean National University of Art in Seoul, wollte ich zum weiteren Studium unbedingt nach Berlin. Ich hatte die Idee einmal in Europa zu leben – um die Kultur und die Ursprünge der Klassischen Musik kennenzulernen. Berlin kam mir zuerst in den Sinn, da ich hier schon einige Freunde hatte und ausschlaggebend für die Entscheidung war die Entdeckung meines jetzigen Lehrers Prof. Kolja Blacher, dem ehemaligen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Ich habe zufällig auf Youtube ein Video von ihm gesehen, bei dem er als Solist ein Stück von Beethovens Romanze mit Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern spielte. Ich war so begeistert und habe mich sofort in sein Spiel verliebt. Daraufhin habe ich seinen Namen gesucht und habe festgestellt, dass er in Berlin an der Hanns Eisler unterrichtet. Ich habe sofort einen Flug gebucht und mich zum Vorspiel angemeldet. Persönlich kennengelernt habe ich ihn dann in der Aufnahmeprüfung – und glücklicherweise hat es geklappt! Das war 2013 und seitdem bin ich in der Stadt.

Ich saß in der Vorstellung und war von der Ouvertüre direkt überwältigt – der Klang der Staatskapelle Berlin war großartig!

Was war dein erster Eindruck von der Staatskapelle Berlin?
Meine erste Erfahrung mit der Staatskapelle Berlin habe ich gemacht, als ich ganz neu in der Stadt war: ich wollte das Orchester unbedingt erleben und mit Freunden in die Oper gehen. Das Genre war damals noch ganz unbekannt für mich und ich war sehr neugierig darauf. In Südkorea gibt es leider kein großes Opernhaus und das Interesse daran ist dort leider nicht so groß. Die erste Vorstellung die ich besucht habe – damals noch im Schiller Theater – war dann Alban Bergs „Wozzeck“ unter der Leitung von Daniel Barenboim. So etwas hatte ich vorher noch nie gehört und ich war geschockt und fasziniert zugleich. Ich hatte zugegebenermaßen etwas ganz Anderes erwartet – wenn man in Südkorea an Oper denkt, dann eher an Puccini oder Verdi und dann das (lacht)! Ich saß in der Vorstellung und war von der Ouvertüre direkt überwältigt – der Klang der Staatskapelle Berlin war großartig! Ich konnte es kaum glauben, dass ein Orchester in einem Opernhaus so klingt. Und dann das Zusammenspiel mit den Sängerinnen und Sängern – das Ganze hat mich beeindruckt. Von da an bin ich sehr oft in die Konzerte der Staatskapelle gegangen und war immer sehr glücklich danach.

Wie bist du dann selbst zur Staatskapelle Berlin gekommen?
Zu Anfang meines Studiums wusste ich noch nicht, dass ich selbst Orchestermusikerin werden würde, aber ich hatte schon damals den Wunsch, einmal im Leben Herrn Barenboim zu treffen und wenn ich Glück habe auch mit ihm zu arbeiten und Inspiration zu bekommen. Ich habe dann auch ein paar Kolleginnen und Kollegen der Staatskapelle kennengelernt und dann gab es plötzlich eine freie Stelle als Stellvertretender Konzertmeister im Orchester. Ich habe mich dann einfach für das Probespiel beworben. Ich hatte damals keine Erfahrung, ich war noch Studentin an der Hochschule und ich habe gedacht, dass ich ohnehin keine Chance habe es zu gewinnen, aber ich wollte die Erfahrung sammeln und es einfach mal machen – das war vor ca. einem Jahr im Mai 2017. Überraschenderweise kam ich ins Finale und dann wurde mir gesagt, dass sich die Stelle verändert hat und zwar zum 1. Konzertmeister. Da musste ich erstmal schlucken und habe ein wenig Zweifel bekommen, ob ich mir das schon zutrauen möchte. 1. Konzertmeister zu sein, ist wirklich etwas ganz Anspruchsvolles – man ist das Gesicht des Orchesters und man muss das ganze Orchester anführen. Ich hatte vielleicht zuerst etwas Angst vor dieser Verantwortung. Aber dann habe ich viel darüber nachgedacht, mit meinem Lehrer und meinen Eltern darüber diskutiert und am Ende habe ich gedacht: was verliere ich? Ich probiere es, und wenn es nicht geht, dann versuche ich es nächstes Mal wieder. Im Endprobespiel habe ich dann vor Herrn Barenboim und den Kolleginnen und Kollegen gespielt und es hat zum Glück gut geklappt. Im September 2017 habe ich angefangen im Orchester zu arbeiten.

Daniel Barenboim und Jiyoon Lee bei den Proben im CCK in Buenos Aires

Für mich ist die 1. Konzertmeisterstelle eine Brücke zwischen dem Orchester und dem Dirigenten.

Wie würdest du die Stelle des 1. Konzertmeisters, der 1. Konzertmeisterin beschreiben?
Für mich ist die 1. Konzertmeisterstelle eine Brücke zwischen dem Orchester und dem Dirigenten. Wir arbeiten ja nicht nur mit unserem Chefdirigenten Daniel Barenboim, sondern auch mit vielen Gästen. Ich bin sozusagen die Botschafterin des Orchesters: als Konzertmeisterin kenne ich die Kollegen und Kolleginnen natürlich viel besser als die Gastdirigenten und auch sie sind nur Menschen und brauchen Unterstützung. Manchmal gibt es auch Meinungsverschiedenheiten oder Spannungen und als Konzertmeisterin muss man das gut moderieren – auch die Atmosphäre in der Probe. Man hat eine große Verantwortung: Es geht nicht „nur“ darum gut zu spielen, sondern auch um viel Zwischenmenschliches – man hat eine Schlüsselfunktion, muss immer neutral bleiben, viele Entscheidungen mittreffen und Kompromisse finden. Auch mit dem Orchestervorstand spreche ich viel und tausche mich aus. Vor dem Probespiel habe ich gedacht, dass es am schwierigsten ist, es überhaupt zu gewinnen – aber das stimmt gar nicht. Man sagt ja auch, „Vater zu werden ist nicht schwer, Vater zu sein dagegen sehr“ und das ist das Gleiche (lacht): Konzertmeisterin zu werden war zwar nicht einfach, aber im Vergleich war das der einfachste Schritt. Die Stelle zu behalten und eine gute Konzertmeisterin zu sein, dass ist die kontinuierliche Herausforderung. Ich konnte es zunächst auch nicht glauben, dass ein Orchester mit so einer langen Geschichte – fast 450 Jahren – einer so jungen, unerfahrenen Musikerin, die Chance gibt Konzertmeisterin zu werden. Aber die Kolleginnen und Kollegen sind sehr offen und ich glaube sie wollten frischen Wind. Ich glaube, dass meine Probezeit verkürzt wurde und ich seit Mai fest 1. Konzertmeisterin bin, ist ein schönes Zeichen, dass die Kollegen das Vertrauen in mich haben. Es stimmt einfach die Chemie und wir verstehen uns sehr gut. Auf der Bühne und bei der Arbeit in den Proben muss man als Konzertmeisterin selbstverständlich eine Ausstrahlung haben – da ist sehr wichtig, dass ich immer professionell bin und ein seriöses Auftreten habe. Aber hinter der Bühne, im Stimmzimmer und auch auf Konzertreisen – da bin ich auch nur ein Mensch, ganz locker und entspannt (lacht).

Jiyoon Lee erkundet mit Staatskapellen-Kollege Thomas Jordans (Hornist) Palermo

Was war bisher ein ganz besonderer Moment für dich?
Ich war vollkommen begeistert, als ich im Februar das erste Mal „Tristan und Isolde“ mit der Staatkapelle gespielt habe – es war mein erster Wagner mit dem Orchester und es war mir wirklich eine Ehre da mitzumachen. Davor hatte ich z.B. Debussy oder auch Janáček von der Staatskapelle erlebt – aber dieser kräftige, alte, deutsche Klang bei Wagner war ganz besonders. Das kann man nicht so leicht finden im Orchester, sogar in Deutschland nicht – weil die Orchester heutzutage einen sehr internationalen Klang haben. Das liebe ich daran, mit der Staatskapelle Berlin zu spielen: An einem Abend spielt man eine italienische Oper, am nächsten Abend deutsches Repertoire, dann französisches oder tschechisches und so weiter – und der Klang ist jedes Mal so unterschiedlich. Die Staatskapelle ist wahnsinnig flexibel und schnell, wir spielen in einer Woche oft fünf verschiedene Stücke. Ich denke reine Sinfonieorchester sind nicht so wandelbar. Diese Spontanität und die Vielfalt des Repertoires gefällt mir sehr.

Meine Lieblingssinfonie von Brahms ist die Erste – da sollte das Publikum mal beim wunderbaren Horn-Solo genau hinhören

Wie erlebst du diese Reise?
Es ist für mich eine sehr spannende Reise, denn es ist meine erste große Tournee mit der Staatskapelle Berlin. Es sind ja auch die ersten Opernaufführungen für Herr Barenboim und das Orchester im Teatro Colón und der erste Auftritt überhaupt im 2015 eröffneten Kulturzentrum Centro Cultural Kirchner – das ist ein sehr historischer Moment und es ist für mich etwas ganz Besonderes, dass ich dabei sein kann. Ich bin hier auch etwas aufgeregter als sonst: Natürlich müssen wir immer gut spielen, aber auf Tournee müssen wir noch besser spielen (lacht). Wir sind hier zu Gast und möchten uns dem Publikum in Bestform präsentieren und zeigen, was für Musik wir machen. Es ist auch immer spannend neue Menschen und eine neue Kultur kennenzulernen. Buenos Aires ist eine tolle Stadt mit sehr viel Temperament, die Leute sind so herzlich und die Säle sind fantastisch! Auf der Reise spiele ich die Konzerte, daher kenne ich vom Spiel her nur den Saal des CCK – der hat eine tolle Akustik! Man kann beim Spielen wirklich alle Töne hören – meistens ist es schwierig und man hört nicht so genau, wenn man den Saal nicht gewohnt ist, aber hier ist es ganz leicht. Man sagt auch, im Colón klingt es extra schön, weil der Saal so toll gebaut ist.>/p>

Der Mahler-Zyklus und Wagners „Ring“-Zyklus – das wäre mein Traum!

Hast du einen Tipp, an welcher Stelle das Konzertpublikum mal ganz genau hinhören sollte?
Meine Lieblingssinfonie von Brahms ist die Erste – alle vier sind tolle Stücke, aber das ist mein persönlicher Favorit. Da sollte das Publikum mal beim wunderbaren Horn-Solo genau hinhören – ich werde nie müde diese Melodie zu hören. Ich fand Horn schon immer toll – das ist eigentlich, neben der Geige, mein absolutes Lieblingsinstrument.

Gibt es Stücke die Du unbedingt einmal spielen willst?
Ich möchte gerne einen kompletten „Ring“ spielen – unbedingt mit Herrn Barenboim. Ansonsten möchte ich auch gerne viel Oper von Strauss spielen. Meine erste Strauss-Oper war in dieser Spielzeit „Salome“ und ich war total begeistert. Im sinfonischen Bereich der Mahler-Zyklus und bei der Oper Wagners „Ring“-Zyklus – das wäre mein Traum.

Was machst du, wenn Du nicht gerade spielst in deiner Freizeit?
Seit ich hier angefangen habe, habe ich keine freie Zeit (lacht). Aber wenn ich doch mal frei habe, bin ich sehr gerne auf der Reise. Für mich ist Berlin ideal, weil man von hier so leicht überall in Europa hinkommt. Das ist in meiner Heimat Südkorea leider nicht möglich – einfach mal ein Flugzeug für eine Stunde zu nehmen und dann bist du in einem ganz anderen Land. Das gefällt mir sehr an Europa, dass man wenn man mal zwei Tage frei hat, einfach nach Kopenhagen, Madrid oder Amsterdam reisen kann und eine andere Stadt, andere Kultur entdecken und genießen kann.

Jiyoon Lee nach dem ersten Konzert im CCK

Wie hat sich das erste Konzert angefühlt?
Unsere neue Aufnahme der Brahms-Sinfonien bei der Deutschen Grammophon ist am 13. Juli digital veröffentlicht worden  – am Tag des ersten Konzertes. Für mich persönlich war es ein unvergesslicher Abend, besonders weil es ein großartiger Anfang für unser langfristiges Brahms-Zyklus-Projekt war. Wir haben im September 2017 bereits alle Sinfonien eingespielt, aber das Konzert war die erste Aufführung nach der Aufnahme. Nächste Spielzeit werden wir mit dem Brahms-Zyklus noch nach China und Australien reisen. „Ein guter Anfang, bringt ein gutes Ende“ sagt man, und ich würde sagen, dass das erste Konzert uns bewiesen hat, dass wir den richtigen Fuß in die richtige Richtung gesetzt haben, und ich freue mich riesig auf die kommenden Konzerte.

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