Daniel Barenboim gratuliert Sir Simon Rattle zum Geburtstag

Simon Rattle und Daniel Barenboim Foto: Thomas Bartilla

Stardirigent Sir Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, wird 60 Jahre alt. Sein Freund Daniel Barenboim gratuliert ihm.

Er ist ein Freund. Manchmal sehen wir uns monatelang nicht. Dann treffen wir uns und haben das Gefühl, dass unsere letzte Begegnung gerade erst gestern stattgefunden hat. Es ist eine Freundschaft, in der man sich nicht oft sehen muss, um zu wissen, dass man einen Freund vor sich hat. Am Montag feiert Simon Rattle sein Jubiläum. Als er seinen letzten runden Geburtstag feierte, habe ich ihn angerufen und gratuliert. Ich bin zwölf Jahre älter als er und so scherzte ich damals: Simon, genieße die 50, ich kann dir eines sagen, 50 ist besser als 60. Diesmal werde ich ihm sagen: Genieße die 60, aber 70 ist noch besser.

Simon Rattle habe ich das erste Mal erlebt, da war er 19 Jahre alt und spielte Pauke im englischen Jugendorchester. Es war eine Aufführung von Strawinskys »Le sacre du printemps« unter der Leitung von Pierre Boulez. Gesprochen haben wir damals nicht miteinander. Kennen gelernt habe ich Simon dann 1978 in Orange. Beim Festival im Römischen Theater habe ich mit Placido Domingo, der den Samson sang, Saint-Saens‘ Oper »Samson et Dalida« gemacht. Simon kam damals privat zu Besuch. Das war der Anfang. Wenn wir uns jetzt treffen, dann reden wird über vieles. Wir sprechen über Berlin, über England, über Nahost. Simon hat sich immer sehr für das West-Eastern Divan Orchestra interessiert. Wir sprechen natürlich über Musik, manchmal auch nur übers Essen.

Es ist uns als Staatsoper sehr wichtig, dass Simon einmal im Jahr zu uns kommt. Die Staatskapelle liebt ihn, und der Rest der Staatsoper auch. Dabei hat er sein Ja-Wort lange hinausgezögert. Anfang der 90er-Jahre hat Simon einmal unseren »Parsifal« besucht, anschließend sind wir zusammen essen gegangen. Damals war er noch Chefdirigent in Birmingham, und er fand irgendwie immer Gründe, nicht kommen zu können. Als er dann 2002 Chef in Berlin wurde, habe ich ihm gesagt: Jetzt musst Du aber endlich zu uns kommen und Oper dirigieren.

Simon ist immer exakt vorbereitet

Inzwischen hat er fünf Produktionen an der Staatsoper gemacht: Debussys »Pelleas et Melisande«, Emmanuel Chabriers »L’Etoile«, Strauss‘ »Rosenkavalier« sowie »Aus einem Totenhaus« und »Katja Kabanowa«, beides von Janacek. Von seinen Produktionen habe ich zwei gesehen: »Pelleas und Melisande« und »Aus einem Totenhaus«, damals, als der bereits schwer erkrankte Patrice Chéreau noch hier war. Bei Simons anderen Premieren hatte ich selbst leider außerhalb zu tun. Was ich von ihm gehört habe, war jedes Mal wunderbar. Einmal habe ich mit ihm mit der Kapelle gespielt, das war ein Benefizkonzert für die Staatsoper. Darüber hinaus spielte ich einige Mal mit ihm bei den Philharmonikern. Ich schätze an ihm seine Ernsthaftigkeit. Er kommt immer super vorbereitet, egal, was er dirigiert. Von Rameau über Berlioz, Strawinsky, Widmann bis hin zu dem Stück, das morgen uraufgeführt wird. Es ist nicht einfach, wenn man eine so aufreibende Chefposition inne hat, immer auf den Punkt zu sein. Ich kenne das selber seit vielen Jahren. Simon ist immer exakt vorbereitet. Das ist bei einigen unserer Kollegen ganz anders.

Darüber hinaus schätze ich an ihm die Breite seines Interesses. Es gibt kaum eine Musik, für die er sich nicht interessiert. Jetzt fängt er an, sich für die italienische Oper zu interessieren, wobei er mit Puccini beginnt. Er sagt, er war total hingerissen von »Manon Lescaut«. Jedenfalls kennt er sich in der Klassik ebenso aus wie im Modernsten. Er interessiert sich für die Zeitgenössische Musik als solche. Mich hingegen interessieren bestimmte Komponisten. Und wenn ich dann Werke von ihnen aufführe, dann mache ich das so gründlich wie ich kann. Aber es gibt wichtige Komponisten, die ich vernachlässige, was er nicht tut.

Repertoire des Orchesters enorm vergrößert

Sein Bekenntnis zur zeitgenössischen Musik hat eine sehr wichtige positive Rolle in Berlin gespielt, weil er dadurch das Repertoire seines Orchesters enorm vergrößert hat. Ich glaube, in Berlin hat das Feuilleton eine andere Vorstellung von Repertoire als das Publikum. Das ist immer noch viel konservativer. Ich erinnere mich an ein Konzert Anfang der 70er-Jahre, als ich bei den Philharmonikern die Erstaufführung der 2. Sinfonie von Lutoslawski dirigierte. Damals war Wolfgang Stresemann Intendant. Und er sagte mir, ich solle die Sinfonie bloß nicht in der zweiten Hälfte spielen, der Saal würde leer sein nach der Pause. Ich hörte auf mein Bauchgefühl und tat es dennoch. Leider hatte er Recht. Der Saal war voll, aber nach der Pause saßen 20 Prozent weniger drin. Und während wir Lutoslawski spielten, verließen noch einmal 20 Prozent der Menschen den Saal. Deswegen kann ich heute sagen, Simon hat erfolgreich gekämpft und das Spektrum erweitert. Er hat das gezielt und systematisch gemacht. Das Publikum ist heute nicht mehr erschrocken, wenn es zeitgenössische Werke hört. Das ist eine seiner großen Leistungen.

Von Wilhelm Furtwängler habe ich gelernt, wie wichtig es am Pult ist, den ersten Augenblick, den Schock des Entdeckens einer Partitur zu bewahren. Dieser Funke bringt das Leben in die Aufführungen, und keinesfalls die Routine, alles zu wissen und zu kennen. Deswegen fallen Aufführungen so unterschiedlich aus. Es gibt eine wunderbare Geschichte von Jewgeni Mrawinski, der zwei Wochen lang die Siebte von Bruckner in Leningrad probte. Dann kam die Generalprobe. Es war fantastisch, er war überglücklich. Alles war, wie er es sich vorgestellt hatte. Deswegen hat er das Konzert abends abgesagt. Das ist vielleicht im heutigen Konzertbetrieb nicht mehr machbar.

An der Staatsoper willkommen

Und man muss viel Neugier darauf haben, was französisch, was italienisch, was russisch ist in der Musik. Und eben auch, was deutsch ist in der Musik. Weder Simon noch ich sind in Deutschland erzogen worden, wir haben es beide gelernt. Jeder auf seine Art und dort, wo er war. Ein deutscher Pass ist noch keine Garantie für gutes Musizieren bei Beethoven, Wagner oder Brahms. Für mich war Claudio Arrau der größte deutsche Pianist. Er wurde in Chillán geboren, 400 Kilometer südlich von Santiago del Chile.

Simon sagt, er will in Berlin leben. Auch, wenn er 2018 als Chefdirigent aufhört. Ich hoffe, dass er an der Staatsoper mehr dirigieren wird, wenn er keine Verpflichtungen mehr bei den Philharmonikern hat. An der Staatsoper ist er immer ein willkommener Gast.

 

Dieser Beitrag erschien am 18. Januar 2015 in der Berliner Morgenpost. Wir danken der Berliner Morgenpost für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

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