»Das Ende kann nur offen sein« – Beat Furrer, Händl Klaus, Yvonne Gebauer und Roman Reeger im Gespräch
Vor der Uraufführung von VIOLETTER SCHNEE am 13. Januar 2019 sprachen Komponist Beat Furrer, Autor Händl Klaus, Dramaturgin Yvonne Gebauer und Dramaturg Roman Reeger über den Entstehungsprozess der Oper.
Yvonne Gebauer Ihr arbeitet nicht zum ersten Mal zusammen …
Händl Klaus Ja, wir kommen aus der Hitze, aus der Wüste! Wir haben vor gut zehn Jahren an »Wüstenbuch« gearbeitet.
Beat Furrer Aber wir kennen uns schon viel länger.
Händl Klaus Beats Musik begleitet mich seit drei Jahrzehnten.
Roman Reeger Lasst uns über den besonderen Entstehungsprozess des »Violetten Schnees« reden.
Beat Furrer Wir sind ausgegangen von einer einzigen Einstellung in Andrej Tarkowskis Film »Solaris«: einem Blick auf den unbekannten Planeten, langsam bewegte Nebel, ein Dunkel, das den Zuschauer förmlich hineinzieht. In »Violetter Schnee« wird das Vertraute plötzlich fremd. Nach einem langen Schneefall geht die Sonne wieder auf. Sie ist jedoch nicht mehr dieselbe, es handelt sich um einen fremden Stern, der den Schnee in seinem violetten Licht bestrahlt. Von da an sind die Protagonisten nicht mehr fähig zu kommunizieren. Aus Vladimir Sorokins Erzählung hat Händl Klaus ein wunderbares Libretto geschaffen. Und im Prolog erscheint im Chor ein einziger Satz von Lukrez: »Nicht, dass wie Flammen die Mauern des Weltalls auseinanderbrechen, uns der Boden unter den Füssen entzogen wird und nichts bleibt als unendliche Leere.«
Yvonne Gebauer In »Violetter Schnee« gibt es fünf solistische Gesangs- und eine Sprechrolle. Was hat es mit der Figur der Tanja auf sich?
Beat Furrer Es war für mich eine kompositorische Herausforderung, die Figur des Jacques kontinuierlich auf die Ebene der sprechenden Figur der Tanja zu bringen. Die bis zu mikrotonalen Figuren komprimierten Intervalle verbinden sich in einem Dialog mit der gesprochenen Sprache. Dafür muss im Orchester ein Raum geschaffen werden. Die langsamen spektralen Verschiebungen im Prolog haben einen vokalen Charakter, man glaubt immer wieder, Stimmen singen oder sprechen zu hören. Während die Sprache des Chores im Prolog extrem verlangsamt die kontinuierlichen Veränderungen von Vokalen zur Darstellung bringt oder in der dritten Episode das Orchester zu sprechen scheint und somit die beiden Figuren Jacques und Tanja vereint.
Roman Reeger Wie würdest du aus deiner Perspektive den Entstehungsprozess von »Violetter Schnee« beschreiben?
Händl Klaus Ich empfand den Text von Sorokin als Herausforderung, als einen ersten Entwurf von etwas, das in den Gesprächen mit Beat und Yvonne ganz fühlbar wurde. Wesentlich war das Spannungsfeld der »anderen Sonne«, das Beat schilderte, die Konfrontation mit dem unnennbar Anderen, und damit verbunden der Verlust der Kommunikationsfähigkeit der Menschen, von denen wir erzählen. Unser Einfallstor war dann Bruegels Gemälde »Die Jäger im Schnee« als eine brüchige Bildbeschreibung. Wir gelangen mit Tanja da hinein, die uns stockend durch diese Winterlandschaft leitet, die sie auch selbst bewohnt, vermutlich als Vogel im Baum. Ich freute mich, als Martina Gedeck das auch so empfand, ohne dass wir darüber gesprochen hätten.
Beat Furrer Ja, die Idee, die Szene im Bild Bruegels zu erzählen, war eine entscheidende. Die Form der Erzählung wird zu einem Abtasten des Bildes von Bruegel. Die menschlichen Aktivitäten auf diesem apokalyptischen Tableau scheinen eingefroren. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die dynamisch – prozesshaft gerichtete Form der Musik zu dramatischen Zuspitzungen und beschreibt einen labyrinthischen Gang in die bodenlose Dunkelheit.
Händl Klaus Was hat man noch, was hat man in dieser Extremsituation? Nach und nach setzt ein Befremden ein, man ist befremdet von den vormals vertrauten Menschen, und wir wissen nicht, ob der Schnee, der da immer fällt, dieses Befremden auslöst oder einfach wie ein Brandbeschleuniger für die Fremdheit ist, die in uns angelegt ist, in uns Menschen ja eigentlich immer … Seit jeher werden wir nie ganz zueinander kommen. Das ist nicht vorgesehen. (lacht)
Roman Reeger Du kennst Beat Furrers Musik seit vielen Jahren. Wie stellst du dich auf die kompositorische Sprache ein, für die du jeweils schreibst, sei es die von Georg Friedrich Haas, Arnulf Herrmann, Heinz Holliger oder eben Beat Furrer? Hörst du die Musik schon innerlich mit?
Händl Klaus Das geschieht von allein, aus großer Nähe zur Musik, zur bereits existierenden, die mir vertraut ist. Jede dieser Musiksprachen ist so eigen wie der Mensch, der sie schreibt. Und wie es mir mit allen Menschen geht, so schlägt auch die persönliche Musiksprache dann eigene Saiten in mir an und führt auch zu unterschiedlichen Stoffen. Schreibend bin ich in einer inneren Musik, der ich folge – die Beats Musik ganz verwandt ist – so kommt es mir halt vor, weil ich ja nichts anderes habe. In Wahrheit ist das bloß ein Ahnen, ein Hilfsgerüst, das sofort zerstiebt, wenn ich dann Beats entstandene Musik erstmals höre. Dieser Augenblick des ersten wahren Hörens – wenn meine innere Musik wie Schlacken abfällt, – ist so erlösend, das ist unbeschreiblich.
Beat Furrer Was denkst du, was macht die Durchlässigkeit eines Textes aus? Kann man das formal beschreiben? Es gibt großartige Texte, wenn ich an Mayröcker oder Jandl denke, die diese Durchlässigkeit nicht besitzen. Das ist, wie wenn die Worte noch enger aneinanderkleben, so, dass jeder kleinste Einschnitt das Gefüge zerstören würde. Bei dir ist genau dieselbe Präzision der Sprache da, und trotzdem hat man das Gefühl, dass sie durchlässig ist für die Musik, die deren Bewegungsdynamik oder Bedeutungsräume erweitern kann.
Händl Klaus Es ist ein Läuterungsvorgang. Ich muss es dahin bringen, dass es für sich spricht und Musik auslöst. Ich denke dann mit deiner Musik. Ich denke ins Offene, wenn ich in deiner Musik bin.
Roman Reeger Vielleicht kommen wir noch mal auf das besondere Verhältnis von Sprache und Gesang, das in vielen deiner Musiktheaterwerke eine Rolle spielt, »Fama« und »Begehren« sind tolle Beispiele dafür. Hier in »Violetter Schnee« sind die Übergänge vom Gesungenen ins Gesprochene sehr interessant. Kannst du beschreiben, wie du dieses Verhältnis vor dem Hintergrund der Thematik von »Violetter Schnees« für dich definierst?
Beat Furrer Es gibt immer wieder Bewegungen vom instrumentalen zum sprechenden Singen, bis hin zum mehr oder weniger stilisierten Sprechen. Das erscheint mir wesentlich, da darin die Sprache der Schauspielerin auch als musikalisches Ereignis aufgehoben ist und nicht nur als semantisches.
Yvonne Gebauer Die Handlung von »Violetter Schnee« vollzieht sich vor dem Hintergrund eines apokalyptischen Szenarios. Gibt es hierfür konkrete Anknüpfungspunkte?
Beat Furrer Wir scheinen uns an die Bebilderung apokalyptischer Szenarien zu gewöhnen, diese bewohnbar zu machen, zu verharmlosen. Wir sind heute großen ökologischen, sozialen und politischen Veränderungen ausgesetzt, die wir kaum erfassen können. Was derzeit stattfindet, ist also viel radikaler als jene uns vertrauten apokalyptischen Szenarien, da wir es nicht benennen können. Das beschäftigt mich sehr. Insofern besitzt »Violetter Schnee« auch eine politische Dimension.
Händl Klaus Diese kleine Menschengruppe erlebt ihre Auflösung, den Verlust der Identität, und unscheinbare Ereignisse wiegen plötzlich schwer. Jacques will seine Frau festhalten, will sie malen – und sieht die eigene Hand nicht mehr. Oder die schlichten Traumerzählungen Nataschas und Silvias, die im Spannungsfeld der Katastrophe Widerstand bedeuten. Am Ende steht das bloße Fühlen.
Yvonne Gebauer Gibt es so etwas wie Hoffnung oder ist es das nackte Grauen?
Beat Furrer Es gibt Hoffnung im Sinne anderer Möglichkeiten. Das Ende kann nur offen sein.