»Es ist am besten, mehrschichtig zu arbeiten«

Zur Zeit wird in der Neuen Werkstatt fleißig für die Premiere von »Der unglaubliche Spotz« am 24. November geprobt. In der letzten Woche hat Mike Svoboda, der Komponist der Kinderoper, bei zwei Proben zugeschaut. Wir trafen ihn bei dieser Gelegenheit zu einem Gespräch über die Entstehung des Werks, über die Grenze zwischen Geräusch und Musik und darüber, was Stabhochsprung mit Oper zu tun hat.

Wie entstand die Idee zu »Der unglaubliche Spotz«?

Komponist Mike Svoboda

»Der unglaubliche Spotz« wurde 2007 uraufgeführt. Es war ein Auftragswerk für das Freiburger Theater und es war klar, dass Manfred Weiß und ich das zusammen machen würden. Die Idee kam von Manfred. Wie er genau auf diese Idee kam, weiß ich nicht. Aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie wir zusammengearbeitet haben und wie wir auf dieses Wort, diesen Klang »Spotz« kamen. Wir waren damals in Kärnten in einem Bauernhaus, wir hatten uns zurückgezogen, um zu arbeiten. Da kam ein Waldarbeiter vorbei, der anscheinend angetrunken war und der zwischen seinen Sätzen ständig »Spotz« sagte, »Spotz, Spotz«. So kamen wir auf dieses Geräusch, diesen Namen. Aber was der unglaubliche Spotz ist, bleibt in dem Stück ein großes Fragezeichen. Die Geschichte hat eine relativ klare Handlung, nur was der Spotz ist, ist überhaupt nicht klar. Da kommt es dann auf die Regie an, wie sie es deutet.

Wie lief die Zusammenarbeit mit dem Librettisten Manfred Weiß ab?

Manfred hat zuerst das Libretto geschrieben, es ist auch zum Teil gereimt. Ich habe mich beim Komponieren sehr eng an den Text gehalten. Ich habe ihn kaum gebeten, etwas zu ändern, denn er schreibt sehr gute Texte. Er wusste beim Schreiben genau, was er tat. Der Text handelt von Musik und vom Hören. Das macht es leichter, ein Einklang zwischen den beiden Elementen Musik und Libretto zu schaffen.

»Wenn ich Musik für junge Leute schreibe, dann denke ich
schon auch an die Eltern. Die müssen auch etwas von der
Aufführung haben – nicht nur etwas, sondern viel.«

Was sind die Besonderheiten beim Komponieren einer Kinderoper? Inwiefern macht es einen Unterschied, ob man für Kinder oder für Erwachsene komponiert?

Es gibt den Unterschied, dass die jungen Zuhörer meistens eine Geschichte haben wollen. Lange Ausflüge in atmosphärische Welten kann man sich nicht gut erlauben. Die sollten eher kurz gehalten sein. Zugleich muss man aber natürlich auch die älteren Zuhörer bedienen. Deshalb ist es am besten, mehrschichtig zu arbeiten, finde ich. So gibt es einen starken Vordergrund, der die jungen Leute bei der Stange hält, und dann dazu noch einen raffinierteren Hintergrund oder Überbau – eine Mehrschichtigkeit eben. Das ist etwas anders, wenn ich Musik für erwachsene Hörer schreibe, wobei ich diese Unterscheidung nicht unbedingt strikt verfolge. Gerade habe ich ein Kammermusikstück geschrieben und dabei denke ich natürlich an die Spieler und auch an die Konzertsituation mit vermutlich eher wenig jungen Leuten. Dieses Stück dauert 18 Minuten, das ist reine Kammermusik. Ich habe einen sechsjährigen Sohn, an ihn habe ich beim Komponieren nicht gedacht. Aber wenn ich Musik für junge Leute schreibe, dann denke ich schon auch an die Eltern. Die müssen auch etwas von der Aufführung haben – nicht nur etwas, sondern viel.

In »Der unglaubliche Spotz« gibt es eine facettenreiche Geräuschebene. Welche Instrumente oder vielmehr welche Klänge kommen zum Einsatz?

Ich wollte die Instrumentierung klein halten, es sind ja nur drei Musiker. Aber die spielen wiederum viele kleine Instrumente: Mundharmonika, Melodica, diverse Glocken, und, und, und. Etwas Besonderes ist die kleine Flüstertüte. Das ist ein Metalltrichter, der normalerweise die Stimme verstärkt. Früher hat man sowas benutzt, um laut zu sprechen, also quasi wie ein Megaphon ohne Elektronik. Aber man kann verschiedene Sachen daran anschließen und so eine vielseitige Geräuschebene erzeugen. Wenn man den Trichter bewegt, kann man die Geräusche in den Raum verschicken. Die Neue Werkstatt ist dafür ganz toll, finde ich. Sébastien, der die Klänge steuert, ist sehr engagiert und hat ein tolles Sounddesign speziell für diesen Raum gemacht.

Wo liegt für Sie die Grenze oder der Übergang zwischen Geräusch und Musik? Kann man überhaupt eine Grenze definieren?

Ich würde sagen, das liegt in den Ohren des Betrachters. Ich denke dabei an eine Anekdote von John Cage, dem amerikanischen Komponisten, der das Werk 4′33″ geschrieben hat, wo der Ausführende gar keine Klänge macht, sondern nur die drei Sätze des Stücks artikuliert, indem er den Deckel vom Klavier aufmacht und wieder zu. Aber was man dabei eigentlich hört, sind die Umweltgeräusche, die in dem Konzertsaal erklingen. Cage lebte selbst in New York in Manhattan in einer sehr lauten Straße und um Musik zu hören, machte er einfach die Fenster auf. Dabei habe ich für mich etwas gelernt: Wenn ich einschlafen will und es gibt irgendwo Geräusche, dann stören sie mich manchmal, aber wenn ich sie als Musik betrachte, dann schlafe ich ziemlich schnell ein. Ich höre den Rhythmus der Autos, die vorbeifahren oder das elektronische Summen im Raum oder das Knacken der Klimaanlage und das betrachte ich dann einfach musikalisch. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es Musik ist, aber es hat eine musikalische Ebene, einen Rhythmus, eine Tonhöhe, eine Klangfarbe, eine Dichte.

Welche Herausforderungen gibt es bei »Der unglaubliche Spotz« für die Musiker?

Für den musikalischen Leiter, der die Tastenperkussion spielt, ist das Stück eine große Herausforderung. Er muss mit den Füßen spielen, mit den Händen die Gitarre, die Toy-Pianos mit den Fingern und dabei auch noch die Einsätze geben, das ist sehr schwierig. Und natürlich ist es auch nicht leicht, mit neuen Instrumenten umzugehen, die man vorher noch nie in der Hand hatte. Das müssen die Musiker erst mal üben, aber die Lernkurve ist sehr steil. Nur im ersten Moment denkt man vielleicht »Das werde ich nicht schaffen«. Die meisten Leute, die ein Instrument zum ersten Mal in die Hand nehmen, spielen 5 Sekunden und entscheiden dann »Kann ich das oder kann ich das nicht?«. Wenn sie noch 10 Sekunden weiterspielen würden, würden sie meistens entscheiden, »Ja, das kann ich eigentlich schon oder ich werde es können«. Aber irgendwie kommt diese erste Enttäuschung immer so schnell. Das sehe ich auch, wenn ich Kammermusik oder Posaune unterrichte. Wenn jemand zum Beispiel neue Spieltechnik lernen muss, probiert er es zwei Sekunden aus, um dann zu sagen »Oh, ich kann es nicht«. Das ist verrückt! Wenn man dabei bleibt, lernt man es meistens doch sehr schnell.

»Atonale Musik gibt es für mich eigentlich gar nicht.
Musik ist immer tonal, es geht nur darum, wie schnell die Bewegungen
oder die Beziehungen zwischen den Tönen sind.«

Welche Rolle spielt elektronische und atonale Musik in »Der unglaubliche Spotz« und in Ihren Kompositionen allgemein?

Im »Spotz« gibt es ungefähr 15 Minuten elektronische Musik. Für eine Gesamtdauer von 60 Minuten ist das schon relativ viel. Rein synthetische Klänge würden in der Handlung nicht gut passen, das interessiert mich auch nicht so. Die Zuhörer sollen sehen, wie der Klang entsteht und bei elektronischer Musik, sei es vom Laptop oder auch vom Keyboard, sieht man nichts, man hört nur. Lautsprecher spielen in dem Stück eigentlich gar keine Rolle. Die Flüstertüte wird wie ein Lautsprecher verwendet und da sieht man eindeutig, wie es funktioniert. Darüber hinaus gibt es nur ein paar Einspielungen von ganz konkreten Geräuschen, zum Beispiel eine Eisenbahn oder eine Kuh. Atonale Musik gibt es für mich eigentlich gar nicht. Musik ist immer tonal, es geht nur darum, wie schnell die Bewegungen oder die Beziehungen zwischen den Tönen sind. Bei Schönberg sind die harmonischen Bewegungen zum Beispiel extrem schnell. Ich schreibe auch viel Musik mit schnellen Bewegungen und sehr komplexen Beziehungen, aber zu »Der unglaubliche Spotz« hätte das nicht gepasst und es war auch nicht nötig. Ich finde, man sollte nur das machen, was nötig ist und sich nicht anpassen, weil man denkt, man muss atonale Musik schreiben. Das ist sowas von passé. Heute schreibt man eben das, was man braucht für das, was man tut.

Wie gehen Sie kompositorisch vor bei der Charakterisierung von Figuren und beim Erzeugen von Stimmungen?

Ich denke, wenn man komponiert, dann versucht man für jeden Charakter eine eigene musikalische Atmosphäre zu schaffen. Asta, die Prinzessin in »Der unglaubliche Spotz«, singt sehr melodiös. Einstein, die Erfinderin, hingegen hat in ihrer Partie viele Glissandi und nur sehr wenige typische Belcanto-Passagen zu singen. Wenn sie Soli hat, ist das immer ein bisschen wie eine Sirene. Ich habe es so geschrieben, weil die Frau, die es uraufgeführt hat, ein sehr starkes Vibrato in ihrer Stimme hat. Für dieses Stück war ihre Stimme eigentlich viel zu ausladend. Also habe ich sie »eingepackt« in diese Glissandi. Später hat meine Frau die Partie gesungen und sie hat sich geärgert: »Warum hast du diese belanglosen Linien geschrieben? Das macht keinen Spaß zu singen.« Also habe ich nachträglich ein paar Ornamente und Triller eingebaut, damit es ein bisschen mehr Spaß macht.
In einer Kinderoper spielen die Kostüme aber meistens auch eine sehr große Rolle für die Charakterisierung und für die Identifikation. Klar, für die Kinder ist sowieso das Visuelle sehr stark. Die Musik ist eigentlich nur erzählerisches Beiwerk. Deswegen bin ich bei dieser Inszenierung sehr froh, dass der Regisseur Marcin Łakomicki so theatralisch denkt und dass er so eine tolle Geschichte daraus macht. Klar, das Stück ist durchkomponiert, aber die Geschichte steht im Vordergrund. Die Musik hat gar keinen Sinn, wenn sie nicht dem Theater dient.

Was ist Ihr Eindruck von den Proben hier in Berlin?

Bei den früheren Inszenierungen haben die Beteiligten immer auch wahnsinnig gut gearbeitet, jedes Haus strengt sich an und präsentiert das Beste, was es kann. Aber hier hat man schon bei den Sängern eine Doppelbesetzung mit Topstimmen, also wirklich fantastische Sänger. Da kriegt man ein gewisses Luxusgefühl. Auch die Menge an Gedanken und Energie, die der Regisseur, die Dramaturgin, die Kostümbildnerin und der musikalische Leiter in das Stück einbringen, ist beeindruckend. Die nehmen das alle wirklich sehr ernst. Man hat nicht den Hauch eines Gefühls, dass sie denken »Ach, das ist je nur ein Kinderstück, das hauen wir einfach mal raus«. Keineswegs! Das ist alles extrem genau durchgedacht. So gut und so genau, dass ich fast Angst bekomme. Ich habe es vielleicht selbst gar nicht so genau durchdacht.

»Dieser Gesang ist hochartifiziell, die Sänger sind Hochleistungssportler.«

Was würden Sie sich wünschen, dass die Kinder aus den Vorstellungen mitnehmen?

Diese Art zu singen in der Oper ist etwas Besonderes, es ist Kunstgesang. Es sind dafür ausgebildete Stimmen und die Sänger können das wahnsinnig gut. Aber es ist nicht alltäglich – niemand singt so in der Schule, die Eltern singen auch zu Hause nicht so und die Kinder singen selber auch nicht so. Ich würde mir wünschen, dass sie eine Begeisterung für Musik entdecken, wenn sie sie nicht schon entdeckt haben, oder globaler gesagt: eine Begeisterung für Klang überhaupt. Und ich würde mir auch wünschen, dass die Kinder lernen, diese Art von Singen zu schätzen und einen Zugang dazu finden. Das ist für mich der Knackpunkt. Die Kinder finden bei einer Oper die Inszenierung meistens interessant, auch die Bilder und die Kostüme – und dann machen die Sänger ihren Mund auf und die Kinder denken »Warum singen die denn so?« Bei Kinderopern steht ja häufig die Geschichte stark im Vordergrund, da stellt sich die Frage vielleicht nicht so häufig. Aber wenn junge Leute eine Inszenierung sehen, die nicht unbedingt für Kinder gedacht ist, schon.
Für viele ist so eine Kinderoper die erste Begegnung mit dieser Art von Gesang. Die meisten haben noch nie gehört, dass jemand so singt, außer vielleicht als Persiflage in einem Cartoon. Eine Heranführung an Oper ist wichtig. In dem Sinne ist der »Spotz« schon auch pädagogisch gedacht. Dieser Gesang ist hochartifiziell, die Sänger sind Hochleistungssportler. Vielleicht kann man es mit Stabhochsprung vergleichen, das ist auch eine hochartifizielle Sportart, wenn man es sich genau vor Augen führt. Und trotzdem denken die Leute »Oh, Stabhochsprung! Das ist interessant, das würde ich gerne mal ausprobieren. Da schaue ich gerne zu!« In der Oper sieht man Hochleistungssänger. Das Ziel ist natürlich nicht unbedingt, dass die Zuhörer selber singen wollen, aber schon, dass sie denken »Das ist interessant! Da höre ich gerne zu!«.

Das Interview führte Leonie Stumpfögger

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