Kammerkonzerte INFEKTION!

Die UdK-Bloggerinnen Judyta Smykowski und Maria Altnau haben die Kammerkonzerte III und IV im Rahmen des Festivals für Neues Musiktheater INFEKTION! in der Werkstatt des Schiller Theaters besucht und ihre Eindrücke für uns notiert.

 

Ein Klangteppich mit Bordüren

Morton Feldmans Musik besteht aus Tönen, nicht aus Melodien. So hatte der Zuhörer des Kammerkonzerts III ganze dreieinhalb Stunden Zeit, vergeblich ein wiederkehrendes, melodisches Thema zu entdecken. Es waren Töne, die Ursula Weiler an der Querflöte und Max Renne am Klavier und Celesta erklingen ließen. Renne saß an beiden Instrumenten, denn die Töne des Klaviers und der Celesta wechselten sich ab.

Proben könne man dieses Stück nicht wirklich, meint Weiler dazu. Das Zusammenspiel funktioniere nur durch ein Vertrauen zueinander, dass man durch das gemeinsame Musizieren gewinne. Durch diese Musik fühlt sich der Zuhörer radikal entschleunigt. Es ist ein Klangteppich, der die Geräusche des Lebens um einen herum wieder hören lässt. Das Seufzen des Publikums, ein rasendes Auto und Vuvuzelas, die während des Konzerts zu den zwei Toren Deutschlands bei der Fußballweltmeisterschaft in Synkopen zu Weilers Tönen erklangen.

Morton Feldmans Musik geht selten über ein Mezzoforte hinaus. Dies ist eine besondere Schwierigkeit für die Querflöte. Der gleiche Ton erklingt bis zu 33 Mal am Stück in Feldmans Werk. Er soll, als er dieses Stück im Jahre 1986, ein Jahr vor seinem Tod komponierte, an die Bordüren eines Nomadenteppichs gedacht haben.

Zu Anfang erinnert der Klang eher an ein Katz- und Mausspiel. Doch die Töne der Flöte, Celesta und des Klaviers holen sich nicht ein, erklingen auf den 50 Seiten des Stückes selten zusammen.

Dieses Werk, das selten aufgeführt wird, ist eine Zerreißprobe für Assoziationen. Man fühlt sich eingeschlossen in seine Gedanken. Die Musik hindert einen allerdings daran, an alltägliche Dinge wie die Einkäufe für das Mittagessen oder den Geburtstag der Oma nächstes Wochenende zu denken. Der Klang engt den Zuhörer und seine Gedankenwelt ein, man fühlt sich mit der Musik konfrontiert und hat dabei keinen gedanklichen Fluchtweg. Man lechzt nach Melodie, nach einem Thema, dem man folgen kann, doch da kommt nichts.

Judyta SmykowskiEin Zuschauer, der nach 90 Minuten den Raum verließ, sagte mir, dass seine Assoziationen beim Hören der Musik zwischen Psychiatrie und Friedhof kreisten. Er musste gehen.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Judyta Smykowski.

 

 

Zwei Männer am Klavier

Beim vierten Kammerkonzert INFEKTION! am 24. Juni in der Werkstatt des Schiller Theaters teilten sich Beethoven und Stockhausen ein Abendprogramm. Eine wohl eher seltene Kombination, die den beteiligten Musikern Adrian Heger, Frank Gutschmidt und Dominic Oelze alles abverlangte.

Ein schwarzer Steinway-Flügel steht im Scheinwerferlicht – der Traum eines jeden Klavierspielers. Zwei Pianisten treten in die Werkstatt und setzen sich mit zwei Klavierhockern an den Flügel. Beethovens »Große Fuge« zu vier Händen erklingt. Schon bei den ersten laut tönenden Takten fallen mir die Zeilen von Heinz Erhardts Gedicht »Der Tastenhengst« ein:

»O eminenter Tastenhengst,
der du der Töne Schlachten lenkst…«

Frank Gutschmidts und Adrian Hegers Hände fegen virtuos über die Tastatur. Sie arbeiten sich im perfekten Gleichklang an Beethovens Fuge ab. Nach einem stürmischen Anfang, gleitet das Stück in träumerisch-tänzerische Klänge. Zum Schluss springen ihre Hände wieder flotter über die Tasten, kreuzen sich geschickt und enden in kraftvollen Akkorden.

Wo eben noch Beethovens melodiöse Fugenpartitur stand, breitete Adrian Heger nun die Noten zu Karlheinz Stockhausens KLAVIERSTÜCKEN V und IX auf dem Pult aus. Eine Melodie kann man bei Stockhausen nicht finden. Der Zuhörer schwebt zwischen den Tönen ohne zu wissen, was als Nächstes kommt. Auch beim sphärisch klingenden REFRAIN, einem Stück für Klavier, Celesta und Schlagzeug, überrascht jeder Klangfetzen zwischen den vielen Pausenzeichen. Dominic Oelze hantierte wie ein Artist mit je zwei Schlägeln in einer Hand am Vibraphon. Adrian Heger am Celesta und Frank Gutschmidt am Klavier bekamen je ein Schlagwerk an ihren Instrumenten beigestellt, die sie gleichzeitig bedienten. Über den Klangteppich ertönten dann sogar noch Wortfetzen und Schnalzgeräusche der Musiker. Stockhausen  fordert höchste Konzentration und alle Sinne. Umso erstaunlicher, dass Frank Gutschmidt das letzte Stück NATÜRLICHE DAUERN 24 aus dem Jahr 2006 auswendig spielte. Zwischen den beiden Spätwerken von Beethoven und Stockhausen liegen 180 Jahre, aber gerade dieser Kontrast der anspruchsvollen Stücke unterstrich die hervorragende Leistung der Pianisten, die mit Bravo-Rufen und Applaus belohnt wurden.

Maria Altnau»O eminenter Tastenhengst,
der du der Töne Schlachten lenkst
und sie mit jeder Hand für sich
zum Siege führst, dich preise ich!«

Dieser Beitrag wurde verfasst von Maria Altnau. 

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