»Liebes-Antrag der Printzessin«

Oper am Gänsemarkt

Im Vorwort zu Georg Philipp Telemanns »Emma und Eginhard« verfasste Librettist Christoph Gottlieb Wend einen Brief der »gekränkten Geliebten« Oper an ihren Liebhaber, das Publikum.

Zuschrifft.

Mein Liebhaber,

Ist jemahls eine Geliebte berechtiget gewesen, sich über die unverdiente Kaltsinnigkeit ihres Liebhabers zu beschweren, so werde ich es gewiß für allen andern seyn. Die Ursachen der Abtrünnigkeit unter liebenden Persohnen ist gemeiniglich ein begangner Fehler in der Aufführung oder die abnehmende Gestallt bey einem oder dem andern Theile; Wenn ich aber nach Betrachtung und Untersuchung meiner selbst nichts anders befinde, als daß ich mich jederzeit gegen dich auff das möglichste gefällig auffgeführet habe und daß ich anitzo weit schöner sey als ich vorhin gewesen, ja daß meine Schönheit mit zunehmenden Jahren wieder das ordentliche Schicksahl andrer Weiber mehr zu- als abgenommen und ich mich in meinem numehr erreichten funffzigsten Jahre gleichsam zu verjüngen angefangen, welches ich sonder Eigenruhm wohl sagen kan und zu Rettung meiner Ehre sagen muß, so weiß ich mit allem meinen Nachsinnen die eigentlichen Bewegungs-Gründe deiner Unbeständigkeit nicht ausfündig zu machen. Bin ich nicht die Tage, da ich dich sehe, unermüdet beflissen, mich auff das prächtigste zu schmücken, um dir in die Augen zu fallen, suche ich nicht mit der Anmuth meiner Stimme deine Ohren einzunehmen, bemühet sich nicht die Zier- und Beweglichkeit meiner Rede dein Hertz zu gewinnen, mache ich nicht alle ersinnliche Abwechselungen, dich zu vergnügen und nehme ich nicht alle meine Werckzeuge zur Hand, deine Ergötzlichkeit zu befördern? Das ist: Lasse ich es wohl an Pracht und Mahlerey des Schauplatzes, oder an pompeusen Auffzügen fehlen, ist wohl ein Theatrum in der Welt, wo man die Compositiones derer grössesten sowohl Teutschen als Italiänischen Meister Wechselsweise, wie auff dem meinigen, wiederschallen höret, habe ich dir nicht die Arbeit von viel guten Poeten dieser Zeit vorgeleget, sind dir nicht, um dich durch die Veränderung desto standthaffter zu machen, nicht nur tragique, sondern auch comique Materien gnung praesentiret worden und habe ich mich nicht in Ansehung derer letztern bloß dir zu Liebe so gar meiner sonst nur ernsthafften Eigenschafft begeben? Indem ich nun dieses alles bey mir selbst überlege, so wirst du, mein Liebhaber, mir verzeihen, wenn ich die Ursache deines Wanckelmuths nicht mir, sondern deinem Eigensinne und verderbten Geschmacke zuschreiben kan; Denn gesetzt auch, daß in diesem oder jenem Stücke einige Mängel mit untergelauffen wären, weil du nirgends etwas gantz vollkommnes antreffen wirst, so hat mich doch die Erfahrung gelehret, daß das unstreitig Gute eben so verächtlich von dir gehalten worden als das noch zweiffelhafft Schlechte und es ist leider! beyden mit meinem Schaden ein gleiches Glücke begegnet. Der Geitz oder auch der Geld-Mangel hat etliche mahl bey mir für dich reden wollen, allein, da ich dir ja meine Gunsten wohlfeil genung verkauffe und ich sicher weiß, daß du zu lange nicht so edlen Divertissements, als du bey mir antriffst, keine Unkosten spahrest, so ist auch diese Entschuldigung deiner so spahrsamen Gegenwart wegen gäntzlich bey mir weggefallen. Dieses deines méprisanten Bezeigens aber ungeachtet kan ich doch nicht unterlassen, dich zu lieben und ich werde solches zu thun nicht auffhören, so lange mir zu leben nur möglich seyn wird.

 

2. Teil der Zuschrifft

Um dir eine abermahlige Probe zu geben, so überreiche ich dir gegenwärtig eine Piéce, davon ich den kürtzlichen Inhalt beyläuffig anzuführen mich verbunden erachte:

Carl, der Grosse, Erster Römischer Keyser Teutscher Nation, ein Ueberwinder von mehr als dreyssig Völckern, und sonderlich denen Kriegerischen Sachsen, welche ihm am meisten zu schaffen gemacht, ein andächtiger, frommer, großmüthiger und gütiger Printz, ein Fortpflantzer des Christenthums, der Erbauer der Stadt Hamburg und unzehlig andrer Oerther mehr, mit einem Worte, der löblichste Monarche, so jehmals den Scepter geführet, erlebte gleichwohl nicht an seinen vielen Kindern und insonderheit an seinen Töchtern die gewünschte Freude, ungeachtet er es bey ihnen an guter Aufferziehung nicht fehlen lassen und sie zu Nähen, Spinnen und andrer Frauenzimmer-Arbeit sorgfältig angehalten hatte. Eine Neben-Ursache ihrer Ausschweiffungen mochte wohl seyn, weil seine Abwesenheit und öfftere Feldzüge ihn abhielten, ein wachsames Auge auff sie zu haben; Einige Scribenten aber wollen ihm in so weit die Schuld beylegen, daß er ihnen nicht bey Zeiten Männer gegeben und sie aus allzu grosser Liebe biß an seinen Tod nicht von sich lassen wollen. Derer übrigen zu geschweigen, so lieset man von der einen, Rothrudis nahmens, daß sie mit einem Geistlichen in einer verbothenen Vertraulichkeit gelebet und deswegen in ein Closter verstossen worden. Emma, von welcher hier die Rede ist, eine sonst nicht minder an Leibes- als Gemüths-Gaben schöne Printzessin, machte es nicht viel besser, denn sie verliebte sich in den Eginhard, ihres Herrn Vaters Geheimschreiber, welcher wegen seiner besondern Geschicklichkeit in mehr als mittelmässiger Gnade bey demselben stand und auch überhaupt wegen seiner Qualitaeten ein liebens-würdiger Mann war. Gleichwohl beging er hierinnen einen grossen Fehler, daß er die ob zwar ziemlich starcke Versuchung nicht überwand und den Liebes-Antrag der Printzessin nicht ausschlug, da er hierinnen verständiger hätte seyn sollen und die daraus zu besorgende Gefahr leichtlich vorher sehen konnte. Jedoch er ward hierinnen mit Willen übersichtig und wollte so eine gute Gelegenheit nicht aus den Händen gehen lassen. Ob sie eben das Schreiben lernen zum Anlaß und Fürwand ihrer Bekandtschafft gebrauchet, davon saget zwar die Historie nichts, vermuthlich aber hat ihnen die sinnreiche Liebe, wo nicht dieses, doch gewiß etwas dergleichen zu diesem Ende eingegeben. Indessen ist dieses gewiß, daß endlich ihr geheimes Verständniß biß zu Nächtlichen Visiten ausgeschlagen, welches ihnen aber bey nahe sehr übel bekommen wäre. Denn als sie einmahl die Stunden so wohl angewendet, daß sie unvermerckt fast der Morgen übereilen wollen, war inzwischen ein starcker Schnee gefallen und da war guter Rath theuer, wie Eginhard mit guter Manier über den Platz kommen sollte, damit man bey angehendem Tage die männlichen Fußstapffen, so wegen der damahls üblichen sehr spitzigen Schuhe sehr kennbahr waren, nicht sehen möchte. Also ward eine kurtze Resolution erfordert und die Printzessin bezeigte sich so treuhertzig, daß sie ihren Liebhaber auff den Rücken nahm und biß an den nächsten Scheide-Weg transportirte. Zum Unglück aber muste der Keyser eine schlafflose Nacht haben und seine Tochter von ungefähr unter ihrer süssen Bürde erblicken. Wie ihm dabey zu Muthe geworden, was er darauff für einen strengen Schluß gefasset, wie er solchen wieder geändert und wie endlich die gantze Sache abgelauffen, solches wird aus dem Inhalte folgender Blätter des mehrern zu ersehen seyn. Im übrigen sind Adelbert, Wolrad, Alvo keine erdichtete Nahmen, sondern sie waren würckliche Ministri des Keysers, Fastrath ingleichen war die dritte Gemahlin desselben und der Emma Stieffmutter, und hat in der Geschichte nicht das beste Lob, daher hat man ihnen dergleichen Worte in den Mund geleget, als etwan dem Vermuthen nach ein jedes davon bey einem solchen Zufalle mit Affecten eingenommen gewesen seyn mag und als es gemeiniglich bey Hofe, wo Neid, Verfolgung und Freude bey Disgraciirung einer vorhin angesehenen Persohn nichts seltsames ist, herzugehen pfleget.

Dieses Sujet nun, weil es eine wahrhaffte und denen meisten bekandte Geschichte ist, hoffet, mein Liebhaber, deinen Beyfall um desto mehr zu erhalten, und durch die Poetischer und Theatralischer Freyheit nach untergemischten und fingirten Neben-Umstände und Intriguen, ohne die eine solche Ausarbeitung nicht wohl geschehen kan, dich nicht zu degoûtiren. Der Verfasser hat zween berühmte Poeten des vorigen Seculi, als den Schlesischen Hoffmannswaldau in seinen Helden-Brieffen und den Holländischen Cats in seiner Manntragenden Magd zu Vorgängern und ob er sich zwar für einen viel zu unwürdigen Nachfolger so grosser Geister bekennet, so getrauet er sich doch zum wenigsten den Fürwurff damit abzulehnen, als ob er sich an eine unwürdige Materie gemacht hätte. Läufft auch diese Begebenheit schon nicht auff einen tugendhafften Endzweck hinaus, wie solches von einigen als ein unumgängliches Requisitum bey einer Opera zum voraus gesetzet wird, so kan man doch dargegen nicht unbillig repliciren, daß wofern anders Tugenden und Laster in keiner andern Absicht als zur resp. Nachahmung und Vermeidung in einem Schauspiele fürgestellet werden, es gleich viel gelte, ob sie in dem Ausgange, Mittel oder Anfange desselben ihre Rolle spielen. Ich muß dir noch mehr sagen, mein Liebhaber, ich habe mich nach deinem fast unmässigen Eckel accomodiren und dir etwas sehen und hören lassen wollen, worinnen ich gleichsam allen alles zu seyn meyne, indem du hierinnen, wo nicht alle, doch gewiß die meisten Characteres und Passionen, so die Sitten-Lehre löblich und schändlich abmahlet, ausgedrückt finden wirst, und hat die Mattigkeit der Poesie den Nachdruck verfehlet, so wird die Fürtrefflichkeit der Music den Mangel leichtlich ersetzen und die todten Worte zu beseelen ungezweifelt vermögend seyn. Ich wünsche also nur, daß diese Piéce endlich einmahl einen Huth abgeben möge, der auff deinen so viel köpffichten Sinn passe, hast du aber was daran zu tadeln, so bitte ich mir zugleich aus, solches ja nicht durch den Mund eines unzeitigen Raisonneurs fürzutragen, weil ich sonst nur, über deine gewohnte Unbilligkeit mich zu beklagen, neuen Anlaß erhalten und dadurch abgeschröcket werden würde, ein paar im Vorrath habende nicht weniger schöne Sujets, womit ich des nächsten dir auffzuwarten für habe, zu Vorschein zu kommen. Hiermit empfehle ich mich dir zu einer zärtlichern Gewogenheit, als ich bißhero verspühren können, und will solcher um so viel mehr gewärtig seyn, je gewisser ich sonst bey deiner continuirenden Kaltsinnigkeit, Entfernung und Verächtlichkeit Muth, Kräffte und Leben verliehren würde, so ich doch lediglich dir zu Liebe und Gefallen zu erhalten suche, als

Deine Getreue / Die Hamburgische Opera.

Gegeben auff dem Gosemarckte den 22. Novembr. 1728.

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