»Wie die Rosse der Aurora stürmt es dahin«

Mozarts Eintrag der Violinsonate B-Dur KV 454 in seinem eigenhändig geführten Werkverzeichnis, 21. April 1784

Pinchas Zukerman und Yefim Bronfman, die seit Jahrzehnten zu den international bedeutendsten Solisten gehören, verbindet eine besondere Leidenschaft für Kammermusik. Im Duo-Recital im Rahmen des Barenboim-Zyklus widmen sie sich nun gemeinsam den Violinsonaten von Franz Schubert, Wolfgang Amadeus Mozart und Johannes Brahms. Melissa Williams hat sich mit den Kammermusikalischen Werken dieser Komponisten auseinandergesetzt.

Pinchas Zukerman - Foto: Cheryl Mazak
Pinchas Zukerman

17 Jahre alt war Franz Schubert, als er seine Ausbildung im Wiener k.k. Stadtkonvikt erfolgreich abschloss, wo er u. a. auch hervorragend auf dem Klavier und der Violine spielen lernte. 1816 konnte der damals erst 19-jährige Schubert bereits eine erstaunliche Zahl an Kompositionen aufweisen: Sein Werkverzeichnis beinhaltete bereits sechs Bühnenwerke, drei Messen, ein »Stabat Mater« sowie ca. 200 Klavierlieder und drei Sinfonien, dazu drei Fantasien für Klavier zu vier Hände, einzelne Sonatensätze sowie eine komplette Klaviersonate.

Im selben Jahr noch schrieb er drei Violinsonaten, welche jedoch erst nach seinem Tod unter der verwirrend hohen Opuszahl 137 veröffentlich wurden. Zur Zeit ihrer Entstehung nannte der Komponist sie selbstsicher »Sonate pour le Pianoforte et Violon« und nummerierte sie durch. Dies deutet auf einen gehobenen Anspruch hin und unterstreicht auch seine Orientierung an Mozarts und Beethovens Sonatenzyklen. Vom Verlag wurden sie posthum als »Sonatinas« herausgegeben, da sich zwischen Entstehungszeit und Veröffentlichung die Maßstäbe im Bereich der Violinsonate verschoben hatten: Als »Grandes Sonates« im Sinne der Post-Beethoven-Ära konnten die drei Sonaten von Schubert keinesfalls mehr gelten, leichtgewichtig sind sie aber trotzdem nicht.

Nach klassischem Muster sind die beiden Instrumente vollkommen gleichberechtigt behandelt. Schubert orientierte sich vor allem an Mozart, der ihn bei der Gestaltung seiner Violinsonaten spürbar inspiriert hat. In der Sonate a-Moll D 385 ist die Stimmverteilung recht ausgewogen, im Andante findet sich sogar ein Zitat aus dem Menuett aus Mozarts Violinsonate F-Dur KV 377. Dennoch ist, mehr noch als ihre beiden Schwestersonaten, die a-Moll-Sonate von einem romantischen Charakter geprägt.

Im Gesamten besteht die Sonate aus vier Sätzen. Der erste Satz, ein Allegro moderato, beginnt mit einem melancholischen Hauptthema. Nachdem das Klavier begonnen hat, spielt die Violine einen langen, spannungsreichen Melodiebogen, der von nachschlagenden Klavierakkorden begleitet wird. Es folgt ein Seitenthema, welches man auch in einem der späten Werke Schuberts finden könnte. Wo das Hauptthema im Vergleich doch recht ungeschliffen wirkt, glänzt das Seitenthema mit seinem liedhaften Gestus. Beide Themen werden zuerst vom Klavier vorgestellt, um dann später von der Geige übernommen zu werden.
Der zweite Satz steht in F-Dur und besitzt eine fünfteilige Form. Das idyllische Thema des Andante ist von einem ruhig schreitenden, wiederum sehr gesanglichem Charakter – die Nähe zum Schubert-Lied ist offensichtlich. Dieses Thema, ganz nach Mozarts Art, lässt sich auch in Schuberts Requiem-Fragment D 453 finden. Es wechselt sich zwei Mal mit einem modulierenden Zwischensatz ab. Dieses sticht besonders durch seine »Molleinbrüche« hervor. Fein ausgeformte Modulationen am Ende eines jeden Themas sind genau angepasst und bringen die typische Harmonik Schuberts zum Vorschein.

Schubert ergänzte seine Sonate um ein Menuett, um sie zu einem viersätzigen Werk auszubauen. Sein Thema schlägt kraftvolle Töne an. Ein »klassisches Menuett« ist dieser Satz nicht gerade, eher eine Vorahnung auf kommende Zeiten. Der letzte Satz, ein Allegro, ist in Rondoform komponiert. Das fließende Hauptthema wechselt sich mit einem Zwischensatz ab. Seine Grundgestalt besteht aus insgesamt vier Takten, welches im weiteren Verlauf auf anderen Tonstufen wiederholt wird oder aber in fragmentarischer Form auftritt. Der Zwischensatz sticht dadurch hervor, dass er immer vom Klavier eingeleitet wird. Wenn die Violine dazukommt, spielt das Klavier in der rechten Hand dieselbe Melodielinie. Diese Doppelung erzeugt eine eigentümlich schwebende Stimmung, welche jedoch schnell von spürbar raueren, zupackenden Klängen abgelöst wird. Den Charakter des Rondothemas findet man auch in späteren Werken Schuberts wieder – beispielsweise in den Rondos der beiden ebenfalls in a-Moll stehenden Klaviersonaten D 784 und D 845.

 

*
Im Frühjahr des Jahres 1784 bat die 20-jährige italienische Geigerin Regina Strinasacchi den seit drei Jahren in Wien ansässigen Wolfgang Amadeus Mozart, bei einer ihrer musikalischen Akademien zu spielen. Sein Terminkalender sah jedoch bereits vielerlei Verpflichtungen vor. Im März und April standen jeden Montag und Freitag ein Konzert beim Grafen Eszterházy an, Donnerstag Abends spielte er beim Fürsten Golizyn sowie bei den Grafen Zichy und Pálffy. Insgesamt kam er auf 22 Konzertauftritte in fünf Wochen. Außerdem gab er jeden Vormittag Unterricht, die Nächte nutzte er zum Komponieren. Trotz allem schlug er die Bitte der jungen Musikerin nicht ab und verfertigte sogar eigens eine Violinsonate für sie, diejenige in B-Dur KV 454.

Regina Strinasacchi war eine junge Geigenvirtuosin, die aus Mantua stammte und ihre Ausbildung in Venedig und Paris erhielt. Bereits mit 16 Jahren unternahm sie eine Konzerttournee durch Europa. In einem Brief vom 24. April 1784 an seinen Vater schrieb Mozart Folgendes: »Hier haben wir nun die berühmte Mantuanerin Strinasacchi, eine sehr gute Violinspielerin; sie hat sehr viel Geschmack und Empfindung in ihrem Spiele. – Ich schreibe an einer Sonate, welche wir Donnerstag im Theater bey ihrer Akademie zusammen spielen werden.«

Erst am Tag vor dem Konzert erhielt Regina Strinasacchi die Geigenstimme von Mozart, damit sie diese bis zum nächsten Tag üben konnte. Bei der Aufführung selbst – die ohne vorherige Probe stattfand – spielte Mozart den Klavierpart aus der Skizze, da er den Notentext aus Zeitmangel nicht mehr hatte komplett fixieren können. Er schrieb diesen erst später nieder; während der Darbietung mögen wohl noch einige Feinheiten und Verzierung mit hinzugekommen sein.
Als Regina Strinasacchi im Jahre 1785 am Salzburger Hof spielte, geriet auch Leopold Mozart ins Schwärmen und schrieb begeistert an seine Tochter Maria Anna (Nannerl), die ältere Schwester Wolfgangs: »Mir thut es Leid, dass du dieses nicht große, artige, etwa 23 Jahre alte, nicht schändliche, sehr geschickte Frauenzimmer nicht gehört hast. Sie spielt keine Note ohne Empfindung und rührender spielen als sie; ihr ganzes Herz und Seele ist bey der Melodie, die sie vorträgt; und eben so schön ist ihr Ton und auch Kraft des Tons. […] NB Sie ist die nämliche Strinasacchi, bey deren Accademie dein Bruder in Wienn nicht nur ein Concert spielte, sondern ihr ein Duetto zu eben diese Accademie componierte mit Cembalo e Violino.«

Erstmals hatte sich Mozart dafür entschieden, eine Violinsonate mit einem langsamen Largo einzuleiten. Markant ist die Fanfare, mit der es beginnt. Langsam und andächtig breiten Klavier und Geige gleichberechtigt ein raumgreifendes Thema aus, bis sie in den schnellen Allegro-Teil münden. Dieses stellt mit seinem schwungvollen Charakter einen starken Kontrast zum Largo dar. Beide Instrumente stellen zunächst das Hauptthema im Einklang vor, wohingegen das zweite und dritte Thema allein von der Violine übernommen wird. Auffällig sind die kleinen »Wettstreite«, die sich Violine und Klavier liefern, in dem sie sich mehrfach Sechzehntel-Läufe und Staccato-Achtel hin und her reichen.

Das Andante bildet das lyrische Zentrum des Stückes, in der Geige und rechte Hand des Klaviers einen Dialog miteinander eingehen. Das ruhige erste Thema der Violine wird vom Klavier mit einigen Verzierungen beantwortet, während das gesangliche zweite Thema durch Doppelschläge in der Geige geschickt verziert ist. Ein drittes Thema wird vom Klavier mit Arpeggio-Figuren und Trillern ausgeschmückt, woran sich weitgreifende Läufe der Violine anschließen. Viele der Ornamente werden wohl spontan bei der Uraufführung entstanden sein, als Mozart am noch unfertigen kompositorischen Gerüst entlang improvisierte.

Das abschließende Allegretto steht in Rondoform und lebt ganz wesentlich von Tanzrhythmen. Die Violine leitet dieses Finale ein, wird jedoch bald vom Klavier abgelöst, welches das Thema übernimmt, um es in virtuose Triolenpassagen zu überführen. Dem Rondothema beigegeben sind drei episodische Seitenthemen, mal in melancholischer, mal in heiterer Stimmung. In der abschließenden Coda wird noch einmal der virtuose Gestus deutlich, den Mozart gewiss auch beabsichtigte.

 

*

Yefim Bronfman - Foto: Frank Stewart
Yefim Bronfman

Die Violinsonate d-Moll op. 108 von Johannes Brahms ist sein drittes Werk dieses Genres. Sie ging im April 1889 in Druck, erklang jedoch bereits aus dem Manuskript am 21. Dezember 1888 in Budapest mit dem ungarischen Geiger Jenö Hubay und dem Komponisten selbst am Klavier. Bei vielen seiner Instrumentalwerke dachte Brahms an konkrete Musiker: Im Fall der Violinsonate waren es ebendieser Jenö Hubay, aber auch Joseph Joachim, mit dem ihn eine langjährige enge, wenn auch nicht ungetrübte Freundschaft verband. Mit Joachim führte Brahms die Sonate erstmals im Februar 1889 auf.

Erstaunlicherweise widmet Brahms das Werk jedoch dem Dirigenten und Klaviervirtuosen Hans von Bülow. Dieser hatte sich in den Jahren zuvor intensiv für seine Musik eingesetzt, weswegen die Widmung eines Werkes schon längst überfällig war. Hans von Bülow freute sich herzlich über die »Standeserhöhung«. Dass Brahms seine dritte Violinsonate ausgerechnet einem Pianisten zueignet, könnte auch Rückschlüsse auf die Gestaltung des Klavierparts geben.

Die Sonate in d-Moll kann gewissermaßen als Brücke zwischen Mittel- und Spätwerk des Komponisten angesehen werden. Sie besticht durch ihren von der ungarischen Volksmusik beeinflussten Ton und ihren virtuosen Klavierpart, der dem Pianisten einiges abverlangt. Vieles lässt darauf schließen, dass Brahms zeitgleich zur d-Moll-Sonate an seiner zweiten Violinsonate op. 100 arbeitete. Auch lassen sich Parallelen in den Nachbarwerken (der Sinfonie Nr. 4 op. 98 und der Violoncellosonate Nr. 2 op. 99) finden. Grund dafür könnte sein, dass er 1886 während seines »Kammermusiksommers« am Thuner See in der Schweiz an allen diesen Kompositionen arbeitete und dort wohl auch mit seiner dritten Violinsonate begann.

Im Vergleich zu den ersten beiden Violinsonaten enthält dieses Werk einen vierten Satz, was seinen Gesamtumfang und seine Spieldauer jedoch nicht vergrößert. Die beiden Ecksätze sind von einer düsteren Grundstimmung geprägt. Der zweite Satz, ein Adagio, bildet einen spürbaren Ruhepol, an welchen sich der dritte Satz mit dem Charakter eines lyrischen Intermezzos anschließt. In seinen früheren Violinsonaten griff Brahms stets auf Themen aus seinen Liedern zurück, in der d-Moll-Sonate scheint dagegen der liedhafte Ausdruck ohne direkte Zitate auf. In der Tat muten sowohl das Hauptthema des langsamen Satzes als auch das Seitenthema des Finales wie religiöse Lieder an.

Brahms’ op. 108 beginnt mit einem Allegro, welches traditionell in Sonatenhauptsatzform steht. Das langgestreckte Hauptthema erweist sich als spannungsreich; sein Grundgerüst besteht aus vier Takten, die zwei Mal wiederholt werden. Hierbei übernimmt die Violine die Melodiestimme, die sich – wenn auch sotto voce – über die schwankende Klavierbegleitung erhebt. Wenig später tauschen beide Instrumente ihre Rollen: Fortan nimmt die Geige eine begleitende Funktion ein, während das Klavier mit der Melodie präsent ist. Das »romantische« Seitenthema wird zunächst vom Klavier vorgestellt. Wenig später beginnt die Violine damit, Stück für Stück das Thema zu übernehmen, zunächst in kleinen Fragmenten, als eine Art Echo, später dann komplett. In der Kadenz des Satzes werfen die beiden Instrumente sich die Motive einander zu.

Im Anschluss folgt das sehr viel ruhigere Adagio: Die Violine erhebt sich mit ihrem in sich ruhenden, lyrischen und hellen Thema über das Klavier, das das ganze Stück über eine begleitende Rolle einnimmt. Durch Doppelgriffe wird die Satzdichte verstärkt, durch Crescendi gehen zudem dynamische Steigerungen vonstatten. Am Ende des Satzes ist ein kurzes Echo des Eröffnungsthemas wahrnehmbar, welches dann in eine abschließende Kadenz einmündet.

Im Vergleich zum Adagio, das die Violine anführte, steht im dritten Satz nun das Klavier im Mittelpunkt. Das Thema besitzt einen leicht »ungemütlichen«, aber trotzdem heiteren Charakter und wird von Nachschlägen in der Violine begleitet. Im weiteren Verlauf eignet sich die Geige dieses Thema an und kombiniert es mit Fragmenten aus ihrer vorhergehenden Begleitung. Einige Takte später bricht sie aus ihrer Rolle aus und präsentiert ein rhapsodisches Intermezzo, um schließlich wieder zum Originalthema zurückzukehren. Gerade dieser Satz sticht durch seinen ungarischen Duktus hervor – womöglich eine Reminiszenz an die beiden aus Ungarn stammenden Geiger Hubay und Joachim.

Der letzte Satz, das Presto agitato ist »am schwersten rasch zu übersehen, aber man weiß doch gleich, daß man es lieben muß, und es das ganze würdig krönt […]«, wie die befreundete Elisabet von Herzogenberg in einem Brief vom 30. Oktober 1888 an Brahms schreibt. Es ist der virtuoseste Satz von allen und ähnlich wie der erste Satz mit zwei kontrastierenden Themen versehen.

Zuerst markiert das Klavier den Beginn des Themas und wird dabei von der Violine mit gebrochenen Akkorden begleitet. Kurze Zeit später stellt letztere dann das Thema in seiner Gesamtheit vor. Das zweite Thema, eine ruhige und elegante Melodie, wird vom Klavier präsentiert, jedoch ohne die Mitwirkung der Violine, die das Thema aufgreift und vom Klavier mit synkopischen Akkorden begleitet wird. Gemäß der Sonatenform folgen Durchführung und Reprise, mit intensiver motivisch-thematischer Arbeit.

Elisabet von Herzogenberg charakterisiert diesen kompositorisch und atmosphärisch sehr dichten Satz in ihrem Schreiben folgendermaßen: »Es hat das, was das Finale vor allem braucht: fortstürmenden Zug im höchsten Maße. Wie die Rosse der Aurora auf jenem herrlichen Bilde [gemeint ist die Darstellung der griechischen Göttin Aurora, der Morgensonne, von Guido Reni im Casino Ludovisi in Rom] stürmt es dahin, und man ruht erst aus bei dem so beschwichtigenden feierlich schönen zweiten Thema.«

 

Ein Kommentar

  • Raymondreani
    schrieb am 30.10.2018 um 4:05 Uhr.

    good! super!

Neuer Kommentar

Verfasse jetzt einen Kommentar. Neue Kommentare werden von uns moderiert.