Mann des Wortes trifft auf Mann der Noten

Die Reihe LINDEN 21 geht in die nächste Runde: Im Apollosaal gelangt Samuel Becketts »Words and Music« mit Musik von Morton Feldman als Live-Hörspiel zur Aufführung. Dramaturg Benjamin Wäntig beleuchtet die verwinkelte Entstehungsgeschichte und die spezielle Rolle der Musik in diesem Stück.

In Samuel Becketts dramatischem Œuvre findet sich eine Reihe von Stücken, die nicht für die Theaterbühne, sondern – zu Hochzeiten des Hörspielbooms – für das Medium Radio entstanden: »All That Fall« (1957), »Embers« (1959), »Cascando« (1963) und »Rough for Radio I und II« (jeweils 1961 auf Französisch geschrieben und 1976 auf Englisch übersetzt). In all diesen ganz aufs Auditive konzentrierten Stücken spielt Musik eine wichtige Rolle; für »All That Fall« etwa hat Beckett Ausschnitte aus Schuberts Streichquartett »Der Tod und das Mädchen« ausgewählt. In »Words and Music« dagegen wird die Musik selbst Teil des stückimmanenten Diskurses, anstatt sich – wie sonst für das Genre Hörspiel üblich – mit der Funktion einer mehr oder weniger stimmungsvollen Begleitung zu begnügen.

Gesendet wurde das Stück zum ersten Mal 1962 auf dem Third Programme der BBC, gefolgt von einer französischen Produktion (unter dem Titel »Paroles et musique«), für die der irische, aber lange in Paris ansässige Literat seinen Text selbst übersetzt hatte. Die Musik für diese Fassungen stammte von einem Familienmitglied, nämlich Becketts Cousin John S. Beckett, seines Zeichens Komponist und Dirigent, der bereits 1956 eine Schauspielmusik für Samuels erste Pantomime »Acte sans paroles I« konzipiert hatte. Mit der Musik zu »Words and Music« zeigten sich beide Becketts jedoch derart unzufrieden, dass John sie zurückzog und damit ein erneutes Senden des Stücks untersagte.

Mitte der 1980er Jahre wurde Beckett erneut an sein unspielbares Hörstück erinnert, als sich zwei amerikanische Produktionsfirmen anschickten, zur Feier seines 80. Geburtstages sämtliche seiner Hörspiele neu herauszubringen. Dabei wurde deutlich, welch wichtigen Stellenwert das Stück für Beckett innehatte, denn er konnte es 25 Jahre nach seiner Entstehung noch auswendig rezitieren. Zwar hielt Beckett die kompositorischen Probleme einer neuen Vertonung für vielleicht unüberwindbar, erklärte sich aber bereit, einen neuen Anlauf zu wagen: mit Morton Feldman. Beide hatten sich bereits 1976 in Berlin kennengelernt und im Anschluss daran das Opernprojekt »Neither« realisiert. Obwohl Beckett mit »Neither« äußerst zufrieden war, hatte er 1985 das Verfassen eines zweiten Operntextes für Feldman abgelehnt. Ein Jahr später jedoch kam Feldman im Zusammenhang mit »Words and Music« erneut ins Spiel – ein Auftrag, den der Komponist als »Tribut an Beckett« dankend annahm. Im März 1987 wurde das Stück als Koproduktion von Voices International und dem Kölner WDR in New York aufgenommen. Tragischerweise wurde »Words and Music« Feldmans drittletzte Komposition: Auch für »Cascando« wollte Feldman eine neue Musik schreiben, wäre ihm nicht der Tod zuvorgekommen.

In »Words and Music« treffen drei Charaktere aufeinander: Krak (im Original Croak), Worte (von Krak Joe genannt) und Musik (von Krak als Bob angesprochen), wobei die tatsächliche physikalische Erscheinungsform der beiden letzteren offenbleibt. Zu den Besonderheiten des Stücks zählt, dass der Charakter Musik in seinem zugehörigen Medium wie eine »sprechende« Figur agiert, sich also nur in eher kurzen

Repliken äußert, also keineswegs in Form einer der Sprache untergeordneten Hintergrundmusik. In typisch Beckett’scher Manier scheinen die drei sich in einem ewig wiederholenden Kreislauf zu befinden. Die einzig erwähnte Ortsangabe im Text lautet »Turm«, vorstellbar wäre also ein fiktives Schlossambiente, das als Gedankenkonstrukt auch kerkerhafte Züge trägt. Die Haupt- und vielleicht auch alleinige Aufgabe von Worte und Musik besteht offenbar darin, vom kommandierenden Krak, den Worte stets devot als »My Lord« anspricht, genannte Stichworte in ihrem jeweiligen Medium zu illustrieren, worüber sie sich in die Haare zu kriegen pflegen und stets aufgefordert werden müssen, sich zu vertragen (»Be friends!«). So wird hier nebenbei eine der Grundfragen des Musiktheaters verhandelt, nämlich ob es »Prima la musica, dopo le parole« oder umgekehrt heißen müsse – freilich von einer ziemlich abstrakten Metaebene aus betrachtet.

Am Anfang hört man Worte und Musik allein, während sie auf Krak warten. Musik vertreibt sich die Zeit mit dem Stimmen der Instrumente, unterdessen wärmt sich Worte mit einem Monolog über das Thema Trägheit auf. Schließlich erscheint Krak, entschuldigt sich andeutungsweise für seine Verspätung und gibt nacheinander die Themen Liebe, Alter und Gesicht vor, wobei sich letzte als Variationen des ersteren herausstellen. Über das Stichwort Liebe hält Worte dieselbe schon eingangs erklungene Rede – bis auf das Wort Trägheit, das schlicht durch Liebe ersetzt wird, womit die pompöse Rede als leere Rhetorik entlarvt wird. Krak fordert Musik zu einer Gegenäußerung auf, die auf das Missfallen von Worte stößt. Den Zwist kann Krak nur dadurch beenden, indem er das zweite Stichwort – Alter – vorgibt und die beiden Parteien zur Zusammenarbeit zwingt. Musik gibt Melodiefragmente vor (in Becketts Regieanweisungen als »Anregungen« bezeichnet), die Worte nachsingt und die sich nach und nach zu einem kompletten Lied zusammenfügen – ein Lied, das sich nicht nur ums Altern, sondern auch den Verlust von Liebe dreht. Becketts Zeilen »Alter ist, wenn zu einem Mann / … sie kommt, in der Asche« weisen überdies intertextuelle Bezüge auf das 1926 entstandene Gedicht »The Tower« des irischen Dichters William Butler Yeats auf, das wiederum das Turm-Setting von »Words and Music« beeinflusst haben könnte.

Krak benennt schließlich das nächste Thema: Gesicht. Wieder entzweien sich Worte und Musik, denn während Musik sich in einem sanften Tutti mit der Vortragsanweisung »gefühlvoll« ergehen soll, spricht Worte »kalt« eine Schilderung, die sich als Beschreibung einer Frau beim Geschlechtsverkehr aus den Augen ihres Liebhabers entpuppt. Ein zweites gemeinsam gestaltetes Lied schließt sich an, das den Blick des Manns den Körper der Frau entlang bis hinunter zu »jenem Quellpunkt« beschreibt. Für Krak ist das zu viel: Nachdem ihm während alldem der Frauenname Lily entwichen ist, werden bei ihm offenbar Erinnerungen an lange zurückliegende sexuelle Abenteuer wach. Schließlich entgleitet ihm sein Stock und er verlässt wortlos die Versammlung. Worte und Musik scheinen dagegen versöhnt: Worte bittet Musik »flehend«, weiterzuspielen, und beendet das Hörspiel mit einem tiefen Seufzer – »Music always wins«, soll Beckett zu diesem Schluss gesagt haben.

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