Von Norwegens Natur und Mozart-Glück

Ein Treffen mit der Sopranistin Victoria Randem, die in dieser Saison unter anderem als Pamina in der »Zauberflöte« und als Alida in Peter Eötvös’ Uraufführung des Jahres 2022 »Sleepless« zu erleben ist.

Ein Freitagnachmittag im Staatsoperncasino, es ist Vorfrühling, die Sonne zeigt sich wie selten bisher in diesem Jahr. Sie nimmt einen Tee, ich einen Milchkaffee, und wir sprechen ein wenig über die Vorhaben der nächsten Zeit. Ob sie aufgeregt sei, da in Kürze ihr erster Liederabend an der Staatsoper anstehe? Ja, sehr, aber zugleich freut sie sich ungemein auf diesen Abend, den sie gemeinsam mit zwei »excellent musicians« entworfen hat, mit denen sie am 31. März im Apollosaal auftritt. Die »beiden Mathiasse« nennt sie sie, den Pianisten Matthias Samuil und Matthias Glander, den Solo-Klarinettisten der Staatskapelle, mit denen sie mehrfach schon musiziert hat, immer mit viel Engagement und großer Resonanz.

Victoria Randem gehört wohl zu denjenigen Menschen, die geradezu verschwenderisch Lebensfreude verströmen. Leidenschaftlich gern singt sie und steht auf der Bühne, in Oper wie Konzert. In Oslo ist sie geboren und aufgewachsen, ihre Mutter ist Norwegerin, ihr Vater stammt aus Nicaragua. Zuhause fühlt sie sich auch in zwei Kulturen – auch Spanisch spricht sie regelmäßig, und singt auch in dieser Sprache, wie man in ihrem Liederabend erleben kann. Musik von Enrique Granados hat sie ausgewählt, neben Manuel de Falla und Isaac Albéniz der dritte große spanische Komponist zwischen Spätromantik und Moderne. Und auf Spanisch singt sie außerdem »Bésame mucho«, ein Lied der mexikanischen Komponistin Consuela Velázquez, mit entspannter Coolness und doch voller Temperament.

Zwei Seiten ihrer Persönlichkeit repräsentiert das Programm, so sagt sie. Populäres (u. a. auch das berühmte »Summertime« von George Gershwin) steht neben Ernstem, Musik aus dem Süden neben der des Nordens. Seit ihrer Kindheit kennt sie, nicht ungewöhnlich für eine Norwegerin, Kompositionen von Edvard Grieg. Sie war elf, als sie in einem Jugendorchester in Oslo ein Stück aus der »Peer Gynt«-Suite spielte, »In der Halle des Bergkönigs«, das in die Welt der Trolle entführt. Als junge Cellistin war sie damals dabei, einige Jahre später kam sie mit den Liedern von Grieg in Berührung. Bei ihrer Lehrerin Solveig Kringlebotn (die außerhalb Norwegens unter dem Namen Kringelborn bekannt ist) sang sie Grieg, oft und gern. Die gefeierte Opernsängerin, die an den großen Häusern Europas aufgetreten ist, öffnete Victoria die Augen und Ohren zu dieser einerseits zugänglichen, andererseits auch rätselhaften Musik, auch durch ihre Aufnahme von »Haugtussa«, dem gedankentiefen und kunstreichen, hierzulande aber weitgehend unbekannten Liedzyklus Griegs. Es wäre ein Traum, diese acht Lieder, sehr unterschiedlich in ihrem Charakter und Ausdruck, selbst einmal aufzunehmen – aber warum eigentlich nicht?

Erzählt wird in ihnen die Geschichte eines Mädchens aus Norwegen, Veslemøy mit Namen, die in engem Kontakt mit der Natur lebt, sich in einen Jungen verliebt, allerdings ohne erfüllenden, glücklichen Ausgang. Ob es denn Parallelen zwischen ihr, Victoria, und jener Veslemøy gibt? Ja, durchaus, auch sie fühlt sich der Natur ihrer Heimat sehr verbunden, es ist einfach ein wunderbarer Ort zum Leben, mit einer einzigartigen Landschaft, die zum Betrachten, Verweilen und Wandern einlädt. All das reflektiert Griegs Musik, zugleich tritt in den Worten und Klängen aber auch das »Übernatürliche« hervor, etwas, das über die wahrnehmbaren Naturerscheinungen hinaus zu existieren scheint. »Haugtussa«, üblicherweise mit »Das Mädchen aus den Bergen« übersetzt, ist aus Victorias Sicht sowohl eine Lovestory mit der oft erzählten Geschichte von »girl meets boy«, als auch ein Werk über die Schönheit und die eindringliche Kraft der Natur. Humor und Ernsthaftigkeit spiegelt sich in dieser Musik, ganz so, wie es Victoria mag. Und natürlich mag sie es auch, in ihrer Muttersprache zu singen – auch wenn das »Nynorsk«, das Neu-Norwegische, das der Autor Arne Garborg für seine von Grieg vertonten Gedichte verwendet hat, auch für »native speaker« nicht immer klar verständlich. Aber etwas Dunkles, Mehrdeutiges und Rätselhaftes kann ja auch reizvoll sein.

Vor und nach dem Liederabend mit Grieg, Gershwin, Granados & Co. singt Victoria Mozart. Eine neue Serie der »Zauberflöte« steht an, mit ihr als Pamina. Mit dem Regisseur Yuval Sharon hat sie vor zwei Jahren direkt gearbeitet – ein willkommener Austausch, da die Inszenierung schon etwas speziell ist. Zu Beginn des Stückes ist Pamina eine hölzerne Puppe, gewinnt aber immer im weiteren Verlauf immer mehr an Leben, bis sie zu einer selbst handelnden und selbstbestimmten Person wird. Als Victoria die Produktion kennenlernte, war sie, wie sie gesteht, schon ein wenig geschockt: In unförmige, zum normalen Gehen kaum geeignete Schuhe hatte sie zu steigen, außerdem musste sie schwindelfrei sein. Einige der Figuren, unter ihnen auch Pamina, fliegen buchstäblich über die Bühne, in teils großer Höhe und ziemlicher Geschwindigkeit. Das erfordert körperlichen Einsatz und mehr als eine Portion Mut, zumal es ja mit dem Fliegen nicht getan ist, es muss ja auch noch gut und richtig gesungen werden. Und richtig gut macht das Victoria auch – diese Pamina ist eine Herausforderung für sie, aber auch ein besonderes Erlebnis, gerade weil sie diese Rolle losgelöst von den Traditionen gestalten kann.

Mozart ist gerade das Richtige für ihre Stimme, so empfindet sie es, ein wahres Glück. In dieser Saison hat sie schon die »andere Pamina« in der älteren Inszenierung von August Everding gesungen und gespielt, in der kommenden Spielzeit freut sie sich auf ihre erste Susanna im »Figaro« an der Staatsoper. Und in Kürze tritt sie als Zerlina in »Don Giovanni« in Glyndebourne auf, inmitten eines jungen Ensembles. Barockmusik wird sie darüber hinaus weiter singen, auch Zeitgenössisches, immerhin steht »Sleepless« von Peter Eötvös demnächst wieder auf dem Spielplan, 2021 als »Uraufführung des Jahres« ausgezeichnet. Victoria wurde in dieser Oper mit ihrer ersten Hauptrolle als Ensemblemitglied im Haus Unter den Linden betraut – und wer erleben konnte, mit welcher Energie und mit welcher musikalischen wie szenischen Präsenz sie die von ihr verkörperte Figur der Alida erfüllt hat, wird davon beeindruckt sein.

Bis zum Juni, wenn »Sleepless« wieder läuft, ist es noch ein wenig Zeit, jetzt stehen erst einmal das Liedprogramm und die »Zauberflöten« an. Was sie sich wohl wünscht von diesen Abenden? Dass so viel wie möglich Publikum kommen möge, die sich für Mozart, Grieg und alles Weitere interessieren. Das Ernste und das Leichte liegen ganz nah beieinander, Beides gehört auch zu ihr selbst, man glaubt es ihr aufs Wort. Und die Sonne draußen scheint noch ein wenig heller zu strahlen.

 

Detlef Giese

Ein Kommentar

  • Daniel Wom
    schrieb am 18.04.2023 um 8:19 Uhr.

    Sehr interessant. Dürfen wir den Artikel zitieren auf Mein Berlin? Das wäre sehr nett.

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