Wagner, das Opernhaus Unter den Linden und der »Tristan«

Richard Wagner und die Berliner Hof- und Staatsoper – das ist eine Geschichte, die glänzende Erfolge ebenso kennt wie verpasste Chancen. Viele unvergessliche Abende standen im Zeichen Wagners, von den 1840er Jahren bis heute. Das Haus Unter den Linden wurde über viele Jahrzehnte hinweg zum Ort einer intensiven Auseinandersetzung mit dem singulären Œuvre Wagners, das bekanntlich gleichermaßen rückhaltlose Bewunderer wie scharfe Kritiker gefunden hat.

Im Herzen Berlins zu agieren, in jener Stadt, die als Metropole Preußens, des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Dritten Reichs, der DDR und der Bundesrepublik über verschiedenste Zeiten und Umbruchphasen hinweg im Fokus des nationalen wie des internationalen Interesses stand und steht, war und ist eine Herausforderung für eine Institution, die nach Begriff und Sache einen wahrhaft »staatstragenden« Charakter besitzt.

Dass die Opern und Musikdramen Wagners in einem solchen Kontext eine außergewöhnliche Beachtung erfahren haben, kann kaum verwundern: Sowohl im Blick auf die künstlerischen und technischen Ansprüche als auch auf ihre inhaltliche Substanz und Gewichtigkeit tragen sie das Signum des Besonderen. Wagner zu spielen ist Alltag und Fest zugleich; einerseits gehören seine Werke zum Standardrepertoire, dem man eine ebenso regelmäßige wie intensive Pflege angedeihen lässt, andererseits müssen alle Kräfte angespannt werden, um Aufführungen in der intendierten hohen Qualität auf den Weg zu bringen und zu realisieren. Die Maßstäbe hierzu hatte Wagner selbst gesetzt, durch seine elaborierten Partituren, aber auch durch seinen unbedingten Einsatz für sängerische und orchestrale Präzision, die richtige Temponahme und den richtigen musikalischen Ausdruck.

Mehrmals ist Wagner in Berlin gewesen, um für sich und seine Werke einzustehen. Zu Beginn der 1840er Jahre bahnt sich eine erste Verbindung zur Hofoper Unter den Linden an, als Wagner dem damaligen Generalintendanten Friedrich Wilhelm Graf von Redern den unter schwierigsten Umständen in Paris komponierten »Fliegenden Holländer« zur Uraufführung anbietet. Im Frühjahr 1842 – Wagner war erst vor wenigen Wochen wieder aus Frankreich zurückgekehrt und hatte in Dresden Quartier genommen ‒ werden Verhandlungen mit Berlin initiiert, letztlich jedoch ohne Erfolg. Graf von Redern zeigte keine sonderliche Bereitschaft, sich mit dem »Holländer« und seinem fordernden, keineswegs bequemen Komponisten zu beschäftigen, da er sich ohnehin aus Berlin zurückziehen wollte. Eine weitere Verhandlungsrunde mit dem neuen Intendanten Theodor von Küstner, auch er ein Beamter des preußischen Hofes, bringt ebensowenig Zählbares ein. Auch er zögert, das neue, ästhetisch durchaus kühne Werk auf die Bühne zu bringen, zumal Wagner noch weitgehend unbekannt ist: Erst durch die überaus erfolgreiche Uraufführung des »Rienzi« im November 1842 in Dresden wird ihm erstmals überregionale Aufmerksamkeit zuteil.

Auch in Sachen des »Fliegenden Holländer« hat Dresden das bessere Ende für sich. Am 2. Januar 1843 erlebt das Werk seine Premiere in Elbflorenz, Wagner selbst wird einen Monat darauf zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister ernannt. Berlin zieht freilich nach, wenngleich die Chance auf eine prestigeträchtige Uraufführung inzwischen verstrichen ist. Zu Beginn des Jahres 1844 reist Wagner an die Spree, um den »Holländer« mit den Kräften der Berliner Hofoper einzustudieren. Da das Haus Unter den Linden im August 1843 einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen war und erst mühsam wieder aufgebaut werden musste, fand die mit Spannung erwartete Premiere im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt statt, an der Uraufführungsstätte des »Freischütz«. Der »Holländer« fand indes weit weniger Gefallen als Webers romantische Oper: Nach der vielversprechenden ersten Aufführung am 7. Januar 1844 unter Wagners eigenem Dirigat und unter Anwesenheit des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV., zu der ihm zahlreiche Besucher – unter ihnen auch kein Geringerer als Felix Mendelssohn Bartholdy ‒ gratulierten, flaute das Interesse spürbar ab. Nach lediglich drei weiteren Vorstellungen wurde das vielfach als düster und nur wenig gefällig empfundene Werk wieder vom Spielplan genommen, auch weil ein Großteil des Publikums und der Kritik nur wenig Verständnis für Wagners Musik und dramaturgische Konzeption aufbrachte.

Im Herbst 1847 begibt sich Wagner ein weiteres Mal nach Berlin; diesmal gilt es seinem Rienzi. Obwohl die Berliner weit mehr mit der Tonsprache und der Ästhetik dieser nach dem Muster der französischen »Grand Opéra« gestalteten Werkes vertraut sind – in der Hofoper wurden regelmäßig und sehr erfolgreich Stücke von Giacomo Meyerbeer, der seit 1842 als Generalmusikdirektor an der Spitze des Orchesters stand, zur Aufführung gebracht ‒ endet auch dieses Intermezzo für Wagner enttäuschend, da er im Gegensatz zur Dresdner Premiere fünf Jahre zuvor keine größere Resonanz erfährt, als Komponist wie als Dirigent. Insgesamt scheint ihm Berlin nicht das beste Pflaster zu sein – Missgunst und Intrigen verleiden ihm den Aufenthalt, und trotz der Anerkennung, die ihm von Seiten so manches Künstlerkollegen zukommt, gewinnt er der Preußenmetropole zunächst nur wenig Gutes ab. Dabei besitzt er etwa in Meyerbeer einen engagierten, uneigennützigen Unterstützer: Wiederholt hat der europaweit berühmte Meister der »Grand Opéra« Wagner den höheren Stellen empfohlen und nach Kräften gefördert, was dieser ihm später jedoch nicht gedankt hat. Im Gegenteil: Meyerbeer wurde in seinen Augen zu einer ausgesprochenen Negativfigur abgewertet, der Wagners Karriere nachhaltig behindert habe und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war.

Dass man ‒ auch und gerade an der Berliner Hofoper ‒ im mittleren und späteren 19. Jahrhundert die Werke Meyerbeers weit öfter spielte als diejenigen Wagners, hat eher mit der allgemeinen ästhetischen Ausrichtung als mit einer übermäßigen Meyerbeer-Euphorie bzw. Wagner-Ablehnung zu tun. Opern wie »Die Hugenotten«, »Robert der Teufel«, »Der Prophet« oder auch »Die Afrikanerin«, allesamt im Haus Unter den Linden mit großem Erfolg präsentiert, waren Zugstücke auch im internationalen Maßstab. Und auch wenn es gewiss zutrifft, dass die Berliner Intendanten Theodor von Küstner (1842 bis 1851 im Amt) und Botho von Hülsen, der im Anschluss daran über einen langen Zeitraum bis 1885 die Hofoper administrativ führte, die Werke Meyerbeers permanent im Spielplan hielten und dieses Repertoire verständnisvoll pflegten, so haben sie doch den Opern und Musikdramen Wagners keineswegs die Tür verschlossen. Nach dem »Fliegenden Holländer« und »Rienzi« kam es 1856 bzw. 1859 zu den Erstaufführungen von »Tannhäuser« und »Lohengrin«. Diesmal stand Wagner nicht selbst am Pult der Hofkapelle, da er sich noch im Schweizer Exil befand und in deutschen Landen als »Persona non grata« galt ‒ mit Heinrich Dorn und Gottfried Wilhelm Taubert waren aber zwei durchaus kompetente Dirigenten am Werk.

Die 1860er Jahre sehen immerhin die Wiederaufnahmen aller bislang gespielten Wagner-Opern. Dabei gelang es auch, einige der führenden Wagner-Sängerinnen und Sänger ihrer Zeit an die Berliner Hofoper zu verpflichten, u. a. den Heldentenor Albert Niemann als Rienzi und Tannhäuser und den Heldenbariton Franz Betz als Holländer. Eine Wagner-Tradition im eigentlichen Sinne sollte sich aber erst nach und nach herausbilden.

Bei zwei weiteren Wagner-Werken, die zum Anspruchsvollsten überhaupt gehören, was ein Opernhaus leisten kann, zeigte man Unter den Linden großen Einsatz: Im April 1870, nur zwei Jahre nach der Münchner Uraufführung, kamen die »Meistersinger von Nürnberg« auf die Bühne, im März 1876 wurde »Tristan und Isolde« erstmals gegeben. Beide Male dirigierte Carl Eckert, ein erklärter Wagner-Anhänger, der das Vertrauen des gerade auch in aufführungspraktischen Dingen zuweilen sehr sensiblen Dichterkomponisten in vollem Umfang besaß. Wagner selbst war zur Vorbereitung der Premieren direkt vor Ort, um bei der Einstudierung der Solisten und des Orchesters behilflich zu sein. Die »Meistersinger«, anlässlich der Münchner Uraufführung 1868 ein voller Erfolg, gleichsam ein Triumph für Wagner, stießen an der Spree auf weit weniger Gefallen – die Kritik sprach von einem »Monstrum« an Oper« –, während »Tristan und Isolde« mit den vortrefflichen Protagonisten Albert Niemann und Vilma von Voggenhuber spürbar mehr Anerkennung und Wertschätzung fand. Wenngleich die außergewöhnliche Tonsprache dieses nun in der Tat singulären Werkes vielfach Verwunderung hervorrief, da man keine Maßstäbe für ein solches Opus mit einer solchen Musik hatte, so war mit doch mit dieser Erstaufführung ein entscheidender Schritt zur Durchsetzung des Wagnerschen Œuvres in der Reichshauptstadt getan.

Die akribisch Tagebuch führende Cosima Wagner berichtet über das Ereignis im Königlichen Opernhaus Unter den Linden, das sowohl ein künstlerisches wie ein gesellschaftliches war: »Montag 20ten [1876] förmlicher Billettunfug, bis 150 Mark werden für einen Parkettplatz geboten; um 6 Uhr Beginn der Aufführung, Kaiser und der gesamte Hof nebst vielen Höflein, zum Geburtstag des Kaisers angekommen; unerhörter Andrang in den Korridors, und Leben; R. [Richard] im ersten Zwischenakt bei dem Kaiser und der Kaiserin; sonst mit mir in der Loge von Hülsens [des Hofopern-Intendanten], Hervorrufe, Blumen, Kränze und das übrige, dazu Versuche der Opposition, nach der Hirtenweise lautes Lachen von drei, vier Menschen.«

Die Leistungen der Sängerinnen und Sänger werden unterschiedlich bewertet, insgesamt aber gelobt ‒ immerhin sollten einige von ihnen bei den ersten Bayreuther Festspielen mitwirken, die nur wenige Monate später nach langwierigen Vorbereitungen und wiederholten Rückschlägen tatsächlich stattfanden. Wagner selbst wurde große Ehre zuteil: Intendant von Hülsen lud ihn zu einem Gala-Diner, und sogar Kaiser Wilhelm I. nebst Gemahlin und Hofstaat empfingen den streitbaren Künstler, der inzwischen den Status einer europäischen Berühmtheit erlangt hatte. Auch pekuniär war das Unternehmen der Berliner »Tristan«-Premiere durchaus ein Erfolg: Auf Befehl des Kaisers wurde Wagner der Gewinn von rund 5.000 Talern zugedacht, um damit den Bayreuther Festspielfonds aufzustocken, auf den er dringend angewiesen war, wollte er seine ambitionierte Festspielidee nicht vorzeitig begraben.

Überhaupt standen die frühen und mittleren 1870er Jahre ganz wesentlich im Zeichen der ersten Wagner-Festspiele. Wagner vollendete sukzessive die »Ring«-Tetralogie, jenes ehrgeizige, hoch ambitionierte Projekt, das er mehr als zwei Jahrzehnte zuvor in Angriff genommen hatte. Zur ersten zyklischen Gesamtaufführung aller vier Werke im August 1876 im neu errichteten Bayreuther Festspielhaus, nur wenige Monate nach der Berliner »Tristan«-Premiere, erschien der Deutsche Kaiser höchstpersönlich auf dem Grünen Hügel, voller Bewunderung für die Leistungen aller Beteiligten und speziell für das nimmermüde Engagement Wagners: »Ich habe nicht geglaubt, dass Sie es zustande bringen würden.« Die Bekanntschaft mit dem Kaiser währte damals schon einige Jahre, hatte Wagner doch bei einem Berlin-Besuch Anfang 1873, der als Teil Werbekampagne für Bayreuth und den »Ring« gedacht war und ihn in mehrere nord- und mitteldeutsche Städte führte, in Anwesenheit der Majestät dirigiert. Und bereits zwei Jahre zuvor, Anfang Mai 1871, im Jahr der Reichsgründung, hatte er im Königlichen Opernhaus Unter den Linden vor dem Kaiser, der Kaiserin und dem Hofstaat seinen erst wenige Woche zuvor fertig gestellten »Kaisermarsch« zur Aufführung gebracht, gekoppelt mit Beethovens 5. Sinfonie sowie Ausschnitten aus seinen eigenen Opern und Musikdramen – ein triumphaler Erfolg für den Dirigenten wie den Komponisten Wagner.

Nach den ersten Festspielen im Sommer 1876, die mit einem künstlerischen Erfolg, aber einem finanziellen Desaster geschlossen hatten, wäre es eigentlich auch für Berlin an der Zeit gewesen, sich an eine Inszenierung der »Ring«-Tetralogie zu wagen. Wagners Werke hatten sich inzwischen auch im Haus Unter den Linden etabliert, der nächste Schritt konnte im Prinzip kommen. Die Verantwortlichen der Berliner Hofoper zögerten jedoch, da man sich für die in der Tat außergewöhnlichen technischen und aufführungspraktischen Anforderungen nicht gewappnet fühlte. So war es nicht der Intendant Botho von Hülsen, von dem die Initiative ausging, sondern der aus Prag stammende Sänger und Theaterdirektor Angelo Neumann, der das Projekt einer »Ring«-Aufführung in der Reichshauptstadt energisch vorantrieb. Die ursprüngliche Idee, für sein eigens zusammengestelltes Ensemble – das ein vollständiges, von Anton Seidl geleitetes Orchester ebenso einschloss wie einen Chor, diverse Solisten sowie Techniker und eine reichhaltige Bühnenausrüstung – die Hofoper nutzen zu können, zerschlug sich. Stattdessen mietete Neumann das 1859 eröffnete Victoria-Theater in der Münzstraße nahe dem Alexanderplatz, das mit einer Kapazität von ca. 1.400 Besuchern dem Haus Unter den Linden mit seinen damals gut 1.700 Plätzen kaum wesentlich nachstand.

Zwischen dem 5. und 9. Mai 1881 präsentierte Neumanns »Wandertruppe« den kompletten »Ring«-Zyklus unter großer öffentlicher Anteilnahme. Richard und Cosima Wagner waren aus Bayreuth nach Berlin gereist, die kaiserliche Familie war ebenso anwesend wie führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Nur selten zuvor, in Berlin zumal, hatte Wagner einen solchen Zuspruch erfahren: Das Publikum jubelte ihm zu, die begeisterten Zuschauer bildeten gar ein Spalier, um ihm, der sich oft genug als Außenseiter vorgekommen war, die Ehre zu erweisen – Wagner musste gleichsam das Gefühl bekommen, als Künstler vollends anerkannt und sogar verstanden worden zu sein. Angelo Neumann strengte in der Folgezeit weitere Tourneen an: Von 1878, als er sein reisendes »Ring«-Unternehmen erstmals in Leipzig vorgestellt hatte, bis in die 1880er Jahre hinein beeindruckte er ganz Europa mit Wagners Ausnahme-Opus. Für die Berliner Hofoper aber galt es, nach diesem Erfolg, der nicht ihr eigener war, entsprechend nachzuziehen.

Generalintendant von Hülsen, erklärtermaßen kein unbedingter Freund Wagners und seiner Werke, schien nicht sonderlich daran interessiert zu sein, die komplette Tetralogie, die ihre Theaterwirksamkeit längst erwiesen hatte, auf seine Bühne zu bringen. Lediglich »Die Walküre« fand sein Gefallen – als einziges der vier Musikdramen wollte er sie dem Publikum präsentieren. Und immerhin kam dieses an musikalischen Schönheiten und eindrucksvollen Szenen so reichhaltige Werk im April 1884 zur Aufführung, gut eineinhalb Jahre später gefolgt von »Siegfried«. Ein vollständiger »Ring« kam jedoch nicht zustande, nicht allein durch das fehlende Engagement Hülsens, sondern auch aufgrund eines spürbaren Mangels an geeigneten Sängern und Kapellmeistern. In den frühen 1880er Jahren befand sich die Berliner Hofoper in einer gewissen Krise, da sowohl markante Künstlerpersönlichkeiten als auch prägende Impulse der Leitung fehlten. Wagner-Aufführungen auf einem hohen Niveau zu initiieren, war kaum möglich, auch mangels eines konsequenten Bemühens darum.

Erst nach Hülsens Tod Ende September 1886 – mehr als dreieinhalb Jahrzehnte hatte er der Hofoper vorgestanden – konnten dringende Reformen angestoßen werden. Durch die Berufung des Grafen Bolko von Hochberg war ein erster Schritt getan, war er doch weitaus kunstsinniger und -verständiger als sein Vorgänger. Behutsam verjüngte er das künstlerische Personal und kümmerte sich um die Verpflichtung hervorragender Sänger und Dirigenten. Sein wohl größter Erfolg hierbei bestand in der Verpflichtung des Kapellmeisters Joseph Sucher, einem der profiliertesten Wagner-Dirigenten seiner Zeit. Der aus Ungarn stammende und über Wien, Leipzig und Hamburg nach Berlin gekommene Sucher war ein wahrer Wagner-Enthusiast, der seine Fähigkeiten ganz in den Dienst der Werke des Bayreuther Meisters stellte. Im Dezember 1887 wurde »Tristan und Isolde« nach einer Pause von mehr als einem Jahrzehnt wieder auf den Spielplan der Hofoper gesetzt (mit Heinrich Vogl und Rosa Sucher, der Ehefrau des Dirigenten, in den Titelpartien), im April und September 1888 folgten dann die sorgfältig vorbereiteten Premieren von »Das Rheingold« und »Götterdämmerung«. Damit war der erste »Ring« an der Berliner Hofoper komplettiert und eine wesentliche Repertoirelücke geschlossen worden.

Sucher machte sich auch in der Folgezeit um Wagner und dessen Œuvre verdient. Innerhalb eines Zeitraums von knapp drei Wochen, vom 3. bis zum 20. Juni 1889, fand ein groß angelegter Wagner-Zyklus Unter den Linden statt. Gleich zehn Werke wurden gegeben, vom »Rienzi« bis zur »Götterdämmerung«, lediglich auf den »Parsifal«, der noch der Schutzfrist unterlag und offiziell nur in Bayreuth aufgeführt werden durfte, musste vorerst noch verzichtet werden. Spätestens mit dieser Serie von Abenden, die große Resonanz fanden, war die Wagner-Tradition an der Hofoper begründet worden. Sucher besaß daran einen gewichtigen Anteil – in seine Fußstapfen traten bald andere Dirigenten, die sich nicht zuletzt auch immer wieder dem »Ring« zugewandt haben. Karl Muck, der langjährige Bayreuther »Parsifal«-Dirigent, befand sich ebenso darunter wie der Alleskönner Leo Blech, der über lange Zeit der Lindenoper als Generalmusikdirektor eng verbunden war und ein außerordentlich breites Repertoire kompetent betreute. Er leitete auch die Erstaufführung des »Parsifal« am 5. Januar 1914, kurz nachdem die 30-jährige Schutzfrist nach Wagners Tod erloschen war. Eine Berliner Premiere war dies freilich nicht, hatte doch das 1912 eröffnete Deutsche Opernhaus in der Charlottenburger Bismarckstraße doch wenige Tage zuvor das inzwischen geradezu legendäre »Bühnenweihfestspiel« einem staunenden Publikum präsentiert. Die Berliner hatten somit Gelegenheit, gleich an zwei Häusern den »Parsifal« zu sehen und zu hören, an beiden blieb dieses Werk auch fest verwurzelt.

An der Hofoper, ab 1919 dann Staatsoper Unter den Linden haben sich auch in der Folgezeit alle Generalmusikdirektoren – und diese bildeten seinerzeit ein wahres »Who is Who« der Dirigentenszene – in besonderer Weise Wagner gewidmet. Neben Richard Strauss, Karl Muck und Leo Blech, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Zepter in der Hand hielten, waren dann mit Erich Kleiber, Otto Klemperer, Wilhelm Furtwängler und dem jungen Herbert von Karajan in den 1920er und 1930er Jahren vier außerordentlich profilierte, individuell agierende Wagner-Dirigenten am Werk. Kleiber und Furtwängler leiteten etwa den »Ring« und die »Meistersinger«, Klemperer sorgte mit viel diskutierten, kontrovers aufgenommenen Neuproduktionen des »Fliegenden Holländer« und des »Tannhäuser« für Furore – und das »Wunder Karajan« ereignete sich im Oktober 1938 im Zuge einer Vorstellung von »Tristan und Isolde« im Haus Unter den Linden.

Gerade bei diesem Werk konnte sich die Leistungsfähigkeit der Berliner Hof- bzw. Staatskapelle und ihrer Generalmusikdirektoren immer wieder neu erweisen. Am 13. Februar 1903, Wagners 20. Todestag, dirigierte Karl Muck eine neue »Tristan«-Produktion, mit Ernst Kraus und Thilda Plaichinger in den Hauptrollen, ein gutes Jahrzehnt darauf, im Oktober 1913, war es Leo Blech, der musikalisch für eine weitere Einstudierung verantwortlich zeichnete. Im September 1920 ließ es sich der im Vorjahr von der Belegschaft des Hauses gewählte und vom Preußischen Kultusministerium bestätigte Intendant Max von Schillings, selbst Komponist und Dirigent, nicht nehmen, einen neuen »Tristan« zu dirigieren. Erst 17 Jahre später, Anfang Oktober 1937, folgte dann mit Karl Elmendorff am Pult eine Neuinszenierung ‒ obwohl 1933 anlässlich von Wagners 50. Todestag dessen Werke oft gespielt worden, häufig auch in neuen Produktionen ‒, wobei mit Frida Leider eine der großen Isolden ihrer Zeit (und darüber hinaus) auf der Bühne stand. Unter der Leitung des langjährigen Staatsopernkapellmeisters Robert Heger entstand im Mai 1943, mitten im vierten Kriegsjahr, eine Rundfunkaufnahme des Werkes, mit Max Lorenz und Paula Buchner als den stimmlich überaus markanten Protagonisten. Die Vertrautheit des in Sachen Wagner sehr erfahrenen Dirigenten, der Sängerinnen und Sänger sowie der Staatskapelle mit dem Werk ist hier dokumentiert und lässt sich hörend nachvollziehen. Vieles davon ist auch zu erspüren in einem Mitschnitt des zweiten und dritten Aktes von »Tristan und Isolde«, der im Oktober 1947 im Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße aufgezeichnet wurde – mit Wilhelm Furtwängler als Dirigent sowie Ludwig Suthaus und Erna Schlüter in den Titelpartien.

In den Jahren und Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren es dann Dirigenten wie Franz Konwitschny und Otmar Suitner, die sich als Fortführer der gewachsenen Wagner-Tradition an der Staatsoper verstanden. Die wieder aufgebaute Lindenoper wurde im September 1955 mit den »Meistersingern« unter der Leitung Konwitschnys eröffnet, noch in der gleichen Saison, im Januar 1956, folgte eine von Erich Witte inszenierte Produktion von »Tristan und Isolde«, die mit Günther Treptow, Gertrude Grob-Prandl, Margarethe Klose und Gottlob Frick stimmkräftig besetzt war. Ein von Konwitschny einstudierter »Ring« hielt sich für viele Jahre im Repertoire, seine Studioeinspielungen von »Der fliegende Holländer« und »Tannhäuser« mit der Staatskapelle, dem Staatsopernchor und erstklassigen Solisten aus beiden Teilen Deutschlands gehören nach wie vor zu den Klassikern des Katalogs. Otmar Suitner wiederum, mehrfach zu den Bayreuther Festspielen eingeladen, betreute von den mittleren 1960er bis in die späten 1980er Jahre hinein zuverlässig und qualitativ hochwertig zahlreiche Wagner-Aufführungen, bis hin zu den Großwerken »Tristan und Isolde« und »Parsifal«. Die letzte »Tristan«-Produktion vor der politischen Wende, vom Staatsopern-Chefregisseur Erhard Fischer in Szene gesetzt, dirigierte freilich Heinz Fricke, der im Wagnerrepertoire ebenso zu Hause war wie Suitner.

Mit der Berufung von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor wurde dann ein neues Kapitel in Sachen Wagner aufgeschlagen. Sukzessive, beginnend mit einer Neuinszenierung des »Parsifal« im Herbst 1992 kamen alle zehn Hauptwerke Wagners in der Regie von Harry Kupfer auf die Bühne der Staatsoper. Zu den FESTTAGEN 2002 wurde das Publikum dann zum Zeugen einer doppelten zyklischen Darbietung aller dieser Produktionen – ein beispielloser Kraftakt für das gesamte künstlerische und technische Personal und zugleich ein epochales Ereignis in der Geschichte des Hauses Unter den Linden. »Tristan und Isolde« wurde dabei erst relativ spät, im April 2000, als vorletztes Werk dieser eindrucksvollen Wagner-Serie inszeniert, mit Siegfried Jerusalem und Deborah Polaski als den Titelhelden.

Inzwischen sind die berühmten »Zehn« mit unterschiedlichen Regisseuren neu inszeniert worden (darunter auch der »Tristan« 2006 mit Stefan Bachmann im Bühnenbild von Herzog & de Meuron), fast ausnahmslos mit Daniel Barenboim am Pult der Staatskapelle, zweifelsohne einem der zentralen, maßstabsetzenden Wagner-Dirigenten der Gegenwart, der den »Tristan« zuvor schon zwei Mal bei den Bayreuther Festspielen sowie an der Deutschen Oper Berlin und an der Mailänder Scala in Neuproduktionen dirigiert hat, szenisch verwirklicht von so bedeutenden Regisseuren wie Jean-Pierre Ponnelle, Heiner Müller, Götz Friedrich und Patrice Chéreau. Das alles hat Geschichte geschrieben – nun wird sie mit einem neuen Kapitel fortgeführt, mit gewiss neuen An- und Einsichten, mit neuen szenischen Lösungen und musikalischen Entdeckungen.

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