»… weil er über Hals und Kopf die opera, le Nozze di Figaro, fertig machen muß«

Markus Lüpertz VG Bild-Kunst Bonn, Courtesy Galerie Michael Werner Märkisch Wilmersdorf, Köln & New York

Mozart an der Arbeit am »Figaro« – Ein Text von Detlef Giese

Eines wird man Wolfgang Amadé Mozart gewiss nicht unterstellen können: dass er langsam komponiere. Ganz im Gegenteil war das Tempo, in dem seine Werke Gestalt annahmen, ungemein rasant, häufig geradezu atemberaubend. Seine Einfälle dürften es umso mehr gewesen sein, gehört es doch zum allgemeinen, der Wahrheit wohl nahekommenden Mozart-Bild, ihm eine außergewöhnliche Leichtigkeit beim Komponieren zuzugestehen, die sich wesentlich darin ausdrückt, dass er sich imstande zeigte, seine im Kopf entworfenen Ideen und Entwürfe ebenso bruch- wie mühelos zu Papier zu bringen. Nicht selten war diese Gabe aber auch dringend vonnöten, um beizeiten fixierte Termine einhalten zu können, etwa anberaumte Konzerte oder Opernpremieren.

Gänzlich ohne Stress wird das oft genug nicht abgegangen sein. Mozarts Arbeit an »Le nozze di Figaro«, seiner ersten in Wien geschriebenen italienischen Oper, ist dafür ein gutes Beispiel, welches hinreichend deutlich macht, dass auch ein zweifellos hochbegabter Musiker wie Mozart mit seinen Ressourcen hauszuhalten hatte, dass auch ihm zuweilen Anstrengungen und Belastungen anzumerken waren. Der sonst so fleißige Briefeschreiber, dem regelmäßige Mitteilungen an seinen im heimischen Salzburg ansässigen Vater Leopold eminent wichtig waren, pausiert in den Wochen des intensiven Komponierens weitgehend; er beschränkt sich auf wenige, inhaltlich zudem recht spärliche Nachrichten. Kenntnis darüber besitzen wir vor allem durch die Briefe Leopolds an seine Tochter Maria Anna (»Nannerl«), die mit ihrer Familie nach St. Gilgen nordöstlich von Salzburg gezogen war, und durch ihren Vater mit mehr oder minder reichlich fließenden Informationen über ihren immer berühmter und erfolgreicher werdenden jüngeren Bruder versorgt wird.

»Er sagte auch etwas von einer neuen opera. Basta! Wir werdens wohl hören!«

Anfang November 1785 erhält sie erstmals Kunde von den Opernplänen Wolfgangs. Auf die Klage Leopolds, dass sein Sohn ihm seit Wochen schon nicht mehr schreibe, folgt ein lapidarer Hinweis auf das Kommende: »Er sagte auch etwas von einer neuen opera. Basta! Wir werdens wohl hören!« Nur kurz darauf weiß er jedoch bereits Genaueres zu berichten: »Endlich habe ich vom 2ten Novemb: einen Brief von deinem Bruder erhalten und zwar in 12 Zeihlen. Er bittet um Verzeihung, weil er über Hals und Kopf die opera, le Nozze di Figaro, fertig machen muß. Er […] bittet mich […] euch zu melden, daß er deinen Brief gleich zu beantworten nicht Zeit hat: daß er, um den Vormittag zum Schreiben frey zu haben, alle seine Scolarn auf Nachmittag verlegt hat etcetc.«, um dann auf bezeichnende Weise fortzufahren: »ich kenne die piece, es ist ein sehr mühesammes Stück, und die Übersetzung aus dem franz: hat sicher zu einer opera frey müssen, wenns für eine opera wirkung thun soll. Gott gebe, daß es in der Aktion gut ausfällt; an der Musik zweifle ich nicht. das wird ihm eben vieles Lauffen und disputiern kosten, bis er das Buch so eingerichtet bekommt, wie ers zu seiner Absicht zu haben wünschet: – und er wird immer daran geschoben, und sich hipsch Zeit gelassen haben, nach seiner schönen Gewohnheit.«

Ein bemerkenswertes Schreiben, erweist sich Leopold doch – trotz des leicht vorwurfsvollen Tones – als ein durchaus verständnisvoller und vorausschauender Vater, Kollege und Freund seines Sohns und Schützlings. Stolz und Vorfreude auf das ambitionierte Projekt, das Wolfgang offenbar so zielstrebig verfolgte, überwiegen, wenngleich die erwartbaren Schwierigkeiten nicht verschwiegen werden. Das »Unternehmen Figaro« war zu dieser Zeit bereits recht weit fortgeschritten – zumindest die Grundpfeiler waren im Boden verankert, auf denen das kunstvolle Gebäude dann zu errichten war. Dass zuvor noch diverse Hindernisse überwunden werden mussten, hatte Leopold nur zu deutlich gesehen. Und dass das einstmalige Wunderkind Wolfgang vielleicht etwas zu sehr auf sein Talent vertraute, binnen kurzer Fristen große Mengen an musikalischem Material schließlich zu einer Partitur zu formen, stand ihm ebenso vor Augen.

Der Winter 1785/86, über dessen Verlauf wir wahrscheinlich deshalb so wenig wissen, da er mit einer besonders intensiv betriebenen Arbeit am »Figaro« angefüllt war, ist einer jener Abschnitte in Mozarts Biographie, die merkwürdig unscharf bleiben. Man wird sich den Dreißigjährigen wohl in der Tat über weite Strecken in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch vorstellen müssen, konzentriert in die Komposition des neuen Werkes vertieft. Von der Außenwelt abgeschottet dürfte er trotzdem nicht gewesen sein, da andere Aktivitäten keineswegs zum Erliegen gekommen waren. Da er das auf größere Dimensionen berechnete Opernwerk ohne einen offiziellen Auftrag in Angriff nahm, d. h. ohne Garantie auf eine Entlohnung – für ein abendfüllendes Stück wurden von der Wiener Hofoper immerhin ca. 450 Gulden gezahlt, eine nicht unbeträchtliche Summe, teilweise mehr als ein Drittel seiner Jahreseinkünfte –, war auch ein Scheitern prinzipiell mit einzukalkulieren. Es lag aber offenkundig in Mozarts Naturell, derartige Risiken bewusst in Kauf zu nehmen, auf sein Können wie auf sein Glück vertrauend.

Dem Fortgang und der Fertigstellung von »Le nozze di Figaro« musste zwar Manches untergeordnet werden, gänzlich auf dieses Werk ausgerichtet hat er seine Arbeit jedoch nicht. Die eine oder andere Klavierstunde war umzulegen und ist womöglich auch ausgefallen – dass diese für Mozart wesentliche Einnahmequelle während der besagten Monate aber gänzlich versiegt sei, wird man kaum annehmen können. Auch seine lukrative Konzerttätigkeit wird allenfalls ein wenig reduziert: Für den März 1786 ist die Vollendung zweier neuer Klavierkonzerte (in A-Dur KV 488 sowie in c-Moll KV 491) bezeugt, desgleichen sorgt er sich um die Organisation von öffentlichkeitswirksamen musikalischen Akademien, bei denen er seine Werke dem interessierten Wiener Publikum präsentiert. Anfang Februar 1786 wird im Schloss Schönbrunn sogar ein neues Bühnenwerk, das einaktige Singspiel »Der Schauspieldirektor«, gezeigt, mit dem sich Mozart nach Jahren der Abstinenz – das Vorgängerwerk, »Die Entführung aus dem Serail«, eines seiner Erfolgsstücke, hatte bereits im Juli 1782 seine Uraufführung erlebt – als Theaterkomponist wieder zu Wort meldet. Damit war zugleich auch der Boden bereitet für ein in jeglicher Hinsicht ‚großes‘ Werk, wie es »Le nozze di Figaro« zweifellos ist.

Wie es dazu kam, in welchen Schritten sich die Entstehung dieser meisterhaft gearbeiteten musikalischen Komödie vollzog, sei kurz skizziert. Mit dem Stoff ist Mozart wohl erstmals Anfang 1785 in Berührung gekommen, als er davon erfuhr, dass der umtriebige Emanuel Schikaneder – der als Impresario, Sängerdarsteller und Librettist bekanntlich für Mozarts »Zauberflöte« noch eine herausragende Rolle spielen sollte – plante, das aus der Feder von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (1732-1799) stammende Schauspiel »La folle journée ou le mariage de Figaro« in einer deutschen Fassung auf die Bühne des Wiener Kärntnertortheaters zu bringen. Hierzu ist es freilich nicht gekommen, da die Aufführung kurz vor dem Premierentermin von Kaiser Joseph II. untersagt wurde: Das Stück des berühmt-berüchtigten französischen Autors, das im Ruf stand, jede Menge an gesellschaftspolitischem Zündstoff zu enthalten, wollte der Monarch nicht öffentlich dargeboten wissen. Die kaiserliche Zensur erlaubte jedoch den Druck des Textbuches; in der Übersetzung von Johann Rautenstrauch hat Mozart Beaumarchais’ Komödientext dann auch gelesen und sich für das Sujet begeistert.

Mit sicherem Theaterinstinkt erkannte er die Qualitäten des Stückes. Um es zu einer Oper zu transformieren, baute er auf die Mitarbeit von Lorenzo da Ponte (1749-1838), der in den mittleren 1780er Jahren zum bevorzugten Librettisten in Wien aufgestiegen war. Der literarisch hochgebildete Abbé, seit 1783 mit Mozart bekannt und auch mit konkurrierenden Komponisten wie Antonio Salieri und Vicente Martín y Soler auf dem Gebiet der im selben Jahr in Wien wieder eingeführten italienischen Oper kooperierend, erwies sich als ein ganz auf Augenhöhe agierender künstlerischer Partner. Dass er als Librettoschreiber noch nicht sonderlich erfahren war, fiel dabei nicht ins Gewicht, entscheidend war sein Vermögen, aus dem textreichen fünfaktigen Sprechdrama ein »Büchl« zu machen, das sich zur Vertonung eignete. Mit großem Geschick reduzierte Da Ponte die Anzahl der Figuren, setzte den Rotstift an, zog verschiedene Szenen zusammen, ohne indes die Handlung in all ihren Strängen wesentlich zu verkürzen. Dass Mozart bei der Bearbeitung des Stoffes und der Formung des Librettos unmittelbar Anteil nahm und im wechselseitigen Austausch seine eigenen Vorstellungen einbrachte, wird man annehmen dürfen. In der Tradition der italienischen Opera buffa schufen er und Da Ponte jedenfalls ein Werk von neuartiger Gestalt, von einer beispiellosen Charakterisierungskunst, einem ausgesprochenen Facettenreichtum und einer Fülle an Szenen, die Situationskomik zuhauf bieten, aber auch Momente von tiefem Ernst nicht ausgeblendet werden.

Da Ponte hat in seinen Memoiren keinen Zweifel daran gelassen, dass es Mozart war, von dem die Initiative zum »Figaro« ausging. Ihm jedoch komme das Verdienst zu, beim Kaiser persönlich vorgesprochen und auf diese Weise die Erlaubnis erlangt zu haben, das Werk in die Öffentlichkeit zu bringen. Laut seinem Bericht hat er Joseph II., der sich selbst als einen Anhänger und Förderer der Aufklärung begriff, von der politischen ‚Harmlosigkeit‘ des Librettos überzeugt, da er alles ‚Anstößige‘ aus dem Text eliminiert habe. Und Mozart selbst, bei Hofe einbestellt, habe durch seine Präsentation einiger bereits verfertigter musikalischer Nummern das Seinige dazu beigetragen, die Annahme der Oper bei den offiziellen Stellen in die Wege zu leiten. Mozarts und Da Pontes »Le Nozze di Figaro« wird daraufhin, auf kaiserlichen Befehl, zur Aufführung freigegeben, während Beaumarchais’ Schauspiel weiterhin verboten bleibt.

Das »sehr mühesamme Stück«, von dem Leopold Mozart in seinem Brief vom November 1785 spricht, hat auch viel Mühe gekostet. Nicht allein das zeit- und nervenraubende »Drumherum« war dabei ein Faktor, sondern auch die kompositorische Arbeit selbst. Ein Werk von diesen Ausmaßen zu schreiben – insgesamt enthält die Partitur 29 Musiknummern, darunter zwei ausgedehnte Ensemble-Finali –, bedeutete auch für den bekanntermaßen immens rasch komponierenden Mozart eine Herausforderung. Bis unmittelbar vor der Premiere hat er denn auch an seinem Opus gearbeitet: Erst am 29. April 1786 trug Mozart die Vollendung seiner »opera buffa« (im Erstdruck sollte dann »comedia per musica« als Gattungsbezeichnung stehen) in das seit gut zwei Jahren sorgfältig geführte »Verzeichnüß aller meiner Werke« ein, für den 1. Mai ist bereits die Uraufführung an der Wiener Hofoper (dem alten Burgtheater) angesetzt.

Dabei war der »Figaro« nicht die einzige Komposition, die ihn beschäftigte. Geradezu rastlos muss er in den Wochen und Monaten zuvor tätig gewesen sein, unter beständigem Zeitdruck. Für Mozart war dies zwar ohnehin eher die Regel als die Ausnahme, das aktuelle Arbeitspensum übertraf jedoch das übliche Niveau um Einiges. Neben der umfänglichen Opernpartitur und den erwähnten Klavierkonzerten, die ja keineswegs kleindimensionierte und leichtgewichtige Werke sind, entstanden während dieser Phase mehrere kammermusikalische Kompositionen, außerdem die Arien und Ensembles des »Schauspieldirektors«, die »Maurerische Trauermusik« sowie einige kleinere Stücke. Zudem wird von starke Kopf- und Magenschmerzen berichtet, die Mozart quälten und die seine Arbeit gewiss nicht befördert haben.

Dennoch scheinen sich diese Belastungen nicht auf die kreative Energie Mozarts ausgewirkt zu haben. Das Wohnumfeld in seinem Quartier im sogenannten »Camesina-Haus« in der Großen Schulerstraße im Schatten des Stephansdoms entsprach seinen Bedürfnissen auf eine erstaunlich gute Weise. Der sonst so unstete Mozart – rund ein Dutzend Mal ist er während seinen Wiener Jahrzehnts von 1781 bis 1791 umgezogen – fühlte sich hier offenbar ganz zu Hause: Mehr als zweieinhalb Jahre, so lange wie nirgendwo sonst, blieb er mit seiner Familie in dieser für die damaligen Verhältnisse sehr geräumigen (und durchaus auch teuren) Wohnung, die immerhin mit einer Komponierstube und einem Billardzimmer ausgestattet war. Himmlische Ruhe wird indes auch in den Figaro-Monaten nicht geherrscht haben, da beständig Schüler und diverse andere Besucher sich bei den Mozarts aufhielten – an eine von der profanen Alltagswelt abgesonderte »Versenkung in das Werk« ist kaum zu denken.

Ein gewisses Maß an äußerer Ablenkung scheint für Mozart notwendig gewesen zu sein, um am schieren Quantum der zu erfüllenden Aufgaben nicht zu ersticken. Dass er, wie es ihm Vater Leopold unterstellt, aus »Gewohnheit« das Komponieren aufschiebe und dann gezwungen sei, in hektischer Eile alles Versprochene bzw. vertraglich Vereinbarte fertigzustellen, trifft im Falle des »Figaro« sicher nicht zu. Mozart ist derart mit seinem großen Werk beschäftigt, dass er sogar vergisst, dem Vater zum Namenstag zu gratulieren, was dieser, ein wenig verschnupft, auch sogleich Nannerl mitteilt.

Hinreichend entschädigt wurde er aber durch den Erfolg, der Mozarts Oper zuteil wurde. Nach einer relativ kurzen, aber intensiven Probenzeit ging das Werk wie geplant in Szene und fand auch das erhoffte Gefallen der Wiener Öffentlichkeit. Mozart konnte auf die besten Kräfte der Hofoper zurückgreifen, die ersten beiden Aufführungen dirigierte er vom Cembalo aus. Aus Briefzeugnissen Leopolds wissen wir, dass der Beifall von Mal zu Mal zunahm und immer mehr Einzelnummern, die besonders beliebten Arien und Duette, wiederholt werden mussten: Text und Musik hatten offenkundig den Nerv der Wiener getroffen.

Bis zum Dezember 1786 bleibt »Le nozze di Figaro« auf dem Spielplan des Hoftheaters präsent, wobei das Interesse gegen Ende des Jahres spürbar nachlässt. Die Gunst des Publikums geht auf »Una cosa rara« über, die Opera buffa des Spaniers Vicente Martín y Soler, die als neue Attraktion in Wien gilt. Mozart feiert aber dafür in Prag mit seinem »Figaro« einen wahren Triumph, der ihm weitere Türen öffnet. Für die böhmischen Kapitale wird er 1787 den »Don Giovanni« komponieren, erneut in Zusammenarbeit mit dem künstlerisch gleichgesinnten Lorenzo da Ponte. Die bei den Pragern entfachte Begeisterung strahlt wiederum nach Wien aus. 1788 kommt hier »Don Giovanni« auf die Bühne, im Jahr darauf »Le nozze di Figaro« in neuer Einstudierung und einer leicht veränderten Version. Die bis in Mozarts Todesjahr 1791 fortgesetzten Aufführungen stoßen auf eine womöglich noch größere Resonanz wie die erste Serie von 1786 – für Mozart und den Figaro, die »Commedia per musica« par excellence, eine schöne Bestätigung, dass die Qualitäten des Werkes durchaus wertgeschätzt wurden. Für den Moment noch wichtiger war jedoch der kaiserliche Kompositionsauftrag für »Così fan tutte«, der Mozart in zunehmend bedrängender Zeit neben dem rein künstlerischen Ertrag auch einen nicht unerheblichen finanziellen Gewinn versprach. Dass er sich erneut mit Lorenzo da Ponte zusammentat, um dieses Projekt zu verwirklichen, war nur folgerichtig. Auch dieses Libretto sollte ihn, wie schon zuvor beim »Figaro« und beim »Don Giovanni«, zu einer außergewöhnlichen kompositorischen Leistung inspirieren.

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