Atemraubende LSD-Traum-Welten. Räume wie nie zuvor
Ab Mai zeigen wir Hector Berlioz’ La damnation de Faust in der Inszenierung von Filmemacher und Monty-Python-Legende Terry Gilliam. Im Juni folgt mit Georges Bizets Les pêcheurs de perles das lang erwartete Opernregiedebüt von Wim Wenders. »In fast jedem Film lebt verborgen eine Oper. In jedem Filmemacher steckt, mehr oder weniger bewusst, ein Operninszenator«, schreibt Fritz Göttler, Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung. Er hat im Filmschaffen der beiden Regisseure Tendenzen erkannt, die auf ihre Opernregie vorauszuweisen scheinen.
»Dystopie ist seit ein paar Jahren der Begriff, der nie fehlt, wenn man das Gilliamsche Universum beschreibt. Eine verzerrte Wirklichkeit, … die nur noch übertroffen wird von den gruseligen, nicht minder atemraubenden LSD-Traumwelten in Fear and Loathing in Las Vegas«
Voriges Jahr schien die Macht doch wieder mal mit Terry Gilliam zu sein. Da erzählte er auf dem Festival in Cannes, dass es neue Hoffnung gäbe für seinen Don Quixote. Für den Film, den er seit Jahrzehnten unbedingt machen will, The Man Who Killed Don Quixote. Über einen Filmemacher, der den Roman von Cervantes verfilmt in einem spanischen Dorf, und die Effekte, die er damit auslöst. Nicht unbedingt im Guten. Adam Driver wollte diesen Mann spielen, der junge Mann aus der TV-Serie Girls, der als Kylo Ren weltberühmt wurde, der neue schwerbehelmte schwarze Schuft der Star-Wars-Serie. Drivers Einsatz für das Projekt ermunterte potenzielle Geldgeber.
Der Don Quixote des Terry Gilliam steht unter einem der größten Unglückssterne der Kinogeschichte. Als er erstmals mit dem Dreh anfing, um 2000, waren Johnny Depp und der französische Schauspieler Jean Rochefort dabei. Von Anfang an ging so ziemlich alles schief. Ein Nato-Stützpunkt in der Nähe schickte unaufhörlich Flieger in den Himmel über dem Drehort. Rochefort bekam Schwierigkeiten mit der Prostata und den Bandscheiben und konnte fortan nicht mehr aufs Pferd steigen. Eine Regenflut in der spanischen Wüste riss die Dekors in einer einzigen Nacht weg. Die Versicherung kassierte das Projekt. Als nun, im September 2016, ein weiterer Drehversuch gestartet werden sollte, bröckelte die neue Finanzierung. »Ich möchte diesen Film wegkriegen aus meinem Leben«, erklärte Terry Gilliam genervt, »das ist einer jener Alpträume, die dich nicht verlassen, bis du das Ding zu Ende gebracht hast.«
Mit Alpträumen kennt Terry Gilliam sich aus, er hat unzählige mit boshafter Präzision auf die Leinwand gebracht. Die Schikanen, die ihm das Schicksal in Sachen Quixote präsentierte, sind reflektiert in den bürokratischen Bosheiten, die seine Helden in Filmen wie Brazil [Jonathan Pryce], 12 Monkeys [Bruce Willis und Brad Pitt], Brothers Grimm [Matt Damon und Heath Ledger], zuletzt The Zero Theorem [Christoph Waltz] erleiden. Dystopie ist seit ein paar Jahren der Begriff, der nie fehlt, wenn man das Gilliamsche Universum beschreibt. Eine verzerrte Wirklichkeit, die in ihrer Engstirnigkeit auf dem Stand der Nachkriegszeit stecken geblieben scheint, totalitär und beklemmend, erstickend und immer größeres Chaos produzierend — die nur noch übertroffen wird von den gruseligen, nicht minder atemraubenden LSD-Traumwelten in Fear and Loathing in Las Vegas, nach dem Buch von Hunter S. Thompson, mit Johnny Depp und Benicio Del Toro. Chris Marker, nach dessen La Jetée die 12 Monkeys entstanden, schrieb über dieses Amerika der Sechziger: »Hier hat der Karneval nichts von seiner ursprünglichen Gewalt verloren: die Travestie ist ein Bekenntnis, die Maske ist eine vertrauliche Mitteilung.«
Seinen Durchbruch hat Terry Gilliam in seiner Zeit bei der legendären Komikertruppe Monty Python in London erzielt, für deren Shows hat er kleine zersetzende Animationsclips geschaffen, die die Absurdität des britischen Nonsens ins Surreale trieben. Man übersieht dabei gern, dass Terry Gilliam gar kein Kind der britischen Kultur ist. Er wurde geboren in Montana, verlebte eine ganz normale amerikanische Kleinstadtjugend — sehr »tomsawyerhaft«, sagt er — studierte in Los Angeles, kam nach New York, um bei der Zeitschrift Help! zu arbeiten, dort traf er dann John Cleese von den Pythons und zog 1967 endlich nach London. Die Naivität der Jugend in Amerika steckt, als Sehnsuchtsschablone, immer mit drin im Chaos seiner Filme. Don Quixote, das ist ein kaum kaschierter Tom Sawyer.
Seit Jahrzehnten schon hat man versucht, Terry Gilliam für die Oper zu gewinnen, er hat sich immer gesträubt, schließlich eingewilligt, für die English National Opera den Faust von Berlioz zu machen, mit dem er eine tiefe Geistesverwandtschaft vermutet. »I think he was a whacko«, sagt er, »ich denke, er laboriert an den gleichen Problemen, an denen auch ich laboriere«. Die Zauberflöte, die ihm oft angeboten wurde, zeigt, wenn man’s genau besieht, verstörende Ähnlichkeiten mit Gilliams Filmen, ihre nicht enden wollende Kette von Liebes- und Mutproben ist zutiefst schikanös, wenn nicht bürokratisch. Am liebsten würde Gilliam aber den Ring machen. Die Story findet er außerordentlich, die Musik phänomenal. Es wäre großes Kino …
»Musik war immer dabei, wenn Wim Wenders seine Filme machte, am Anfang natürlich amerikanische Musik, Bob Dylan oder die Kinks, Steppenwolf oder Creedence Clearwater Revival… His life was saved by Rock’n’Roll.«
Musik war immer dabei, wenn Wim Wenders seine Filme machte, am Anfang natürlich amerikanische Musik, Bob Dylan oder die Kinks, Steppenwolf oder Creedence Clearwater Revival. Musik nicht als Dreingabe, als Untermalung, um die Bilder zu stärken und zu konturieren, die er machte, sondern aus dem Innern der Filme heraus. His life was saved by Rock’n’Roll.
Die frühen Filme schon waren selbst musikalisch, immer wieder gab es Jukeboxes in den Einstellungen, um die einsame junge Männer ihre Kreise zogen, und die Musik wurde immer wichtiger. »In Easy Rider sind die Filmbilder schon überflüssig, weil sie seine Musik nur noch illustrieren, nicht mehr umgekehrt, nur noch Relikte einer Anschaulichkeit sind, die sich in der Musik viel stärker ausgebreitet hat als in den Bildern, die ausgezehrt und kalt nur noch erinnern an Filme, die ihre Schönheit oder ihre Nostalgie oder ihr Pathos durch sich selbst ausgefüllt und getragen haben.«
Die Musik wurde Kino, die Töne visuell. »Emotion Pictures« heißt der Text, aus dem das Zitat stammt, er ist 1970 in der Zeitschrift Filmkritik erschienen, und Emotion Pictures hieß auch die erste Sammlung von Wenders-Texten und -Kritiken, die 1986 herausgebracht wurde.
In seinen Filmen und in seinen Texten hat Wim Wenders immer genau und liebevoll den jeweiligen Stand des Kinos reflektiert, der auch der Stand der Dinge allgemein war. 1970 war die Revolution auch in Deutschland im Gange, weniger die politische, sondern die ästhetische, die von der französischen ’68er-Bewegung ausgelöst wurde und von der Entdeckung des amerikanischen Kinos, das von der bürgerlichen Presse sehr gering geschätzt worden war.
Der Filmstudent Wim Wenders war von Anfang an dabei mit seinen Freunden, zu denen auch Peter Handke gehörte, mit dem er — gewissermaßen an entscheidenden Wendepunkten — zusammenarbeitete: 1971 die Verfilmung von Handkes Roman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, burgenländische Sprachlosigkeit, in amerikanischem Stil inszeniert, 1987 Der Himmel über Berlin, mit dem die Engel kurz vor der Wiedervereinigung in die Stadt kamen, 2016 die Verfilmung von Handkes Stück Die schönen Tage von Aranjuez, eine tolle Fusion von filmischem 3D mit theatralischer Imagination, Bilder, die in ihrer romantischen Perspektive auf das unsichtbare Paris ausgerichtet sind.
Das Hollywoodkino der Fünfziger hatte ihn das Raumgefühl gelehrt, mit CinemaScope und Technicolor, und wie man vom Raum aus sein Erzählen gestalten und Spannungen erzeugen muss. Seinen amerikanischen Vorbildern Nick Ray und Sam Fuller hat Wenders in seinem Film Der amerikanische Freund kleine Rollen gegeben. Wie dieser Film aus einem literarischen geradlinigen Thriller von Patricia Highsmith ein vibrierendes Kinostück macht, daran kann man schon Wenders’ spätere Hinwendung zum Theater erahnen. Wie man seinen Orten offen begegnet, in einem Vertrauensverhältnis, das hat er in seinem Film über Pina Bauschs Tanztheater magisch vorgeführt. »Die Schauspieler«, das hat er viel früher geschrieben, in einem Text über amerikanische Western, »verlassen die Schauplätze erst, wenn alles, was dort geschehen konnte, vorüber ist.«
Wim Wenders ist ein Ruheloser, er hat Filme in aller Welt gemacht, ist nach Tokio, Australien und Afrika gezogen. Der Amerikanische Traum ist sein Leitbild geblieben, um ihn zu bewahren, hat er sich auf alle Neuerungen und Revolutionen der filmischen und digitalen Technik, die in den vergangenen Jahrzehnten passierten, eingelassen.
»Ich weiß nicht«, sagte Frieda Grafe in ihrer Rede auf Wenders bei der Verleihung des Murnau-Preises in Bielefeld 1991, »ich weiß nicht, ob es stimmt, was Wenders im Lauf der Zeit sagen lässt: dass unser Unterbewusstsein amerikanisch kolonialisiert sei. Mit den amerikanischen Filmen ist jedenfalls auch in uns eine Weite eingezogen, haben wir Räume wie nie zuvor gesehen und vielleicht hin und wieder empfunden, dass man unterwegs zu Hause sein kann.«
Unterwegs zu Hause, unterwegs in den Filmen von Wim Wenders … Der Rhythmus dieser Filme hat auch seine Zuschauer nachhaltig geprägt. Den deutschen Stummfilmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau hat Wenders erst später entdeckt. Murnau ist jung gestorben, im März 1931. Seinen letzten Film hat er in der Südsee gedreht, Tabu, über junge Perlentaucher in einem gefährdeten Paradies.
2 Kommentare
schrieb am 28.05.2017 um 22:25 Uhr.
Ich erlaube mir, dem gesamten Team der Staatsoper Berlin, allen Solisten, den Musikern der Staatskapelle, dem Produktionsteam und allen beteiligten Mitarbeitern zu dieser gelungenen Aufführung und Produktion zu gratulieren.
M.E. ist es nicht einfach, eine Oper von Berlioz zu inszenieren, und das insbesondere für eine, die vor langer Zeit oder konzertant zur Aufführung kam. Umso mehr hat mich die vorgestellte Arbeit beeindruckt. Die schnelle Abfolge der Szenen erinnert eher an einen Film als an eine konventionelle Operninszenierung, was aber in vorzüglicher Weise mit der Musik zusammengeht. Auch werden moderne Mittel wie Video, Licht/Beleuchtung etc. niemals effektheischend eingesetzt, sondern trotz einer gewissen Opulenz dem Thema angemessen.
Es bedarf in beispielloser Weise des schwarzen englischen Humors eines Terry Gilliam für die vorgeführte Aufführung des Themas. Dabei ist dieser Humor niemals Selbstzweck, sondern ermöglicht die Darstellung der Kritik an der Romantik in ihrer vollen Brutalität. Ein solches Urteil darf ich mir als leidenschaftlicher Liebhaber der romantischen Musik und Kunst leisten. Die Solisten sind für eine solche Inszenierung vorzüglich ausgewählt. Die Musiker der Staatskapelle musizieren in gewohnt brillanter Weise.
Der Dramaturg beschloss seine einleitenden Worte mit dem Wunsch nach einem spannenden Opernabend – und tatsächlich: Dieses war ein wahrhaft spannender Opernabend. Ich habe noch am Sonntag nach der Premiere (nicht nur innerlich) geweint.
schrieb am 01.06.2017 um 21:25 Uhr.
Kritik an der Romantik?
Musikhistoriker lehren uns, dass die Romantik seit dem 19. Jahrhundert vorbei ist. Warum also dann heute diese Inszenierung?
Gibt es etwa heute auch Menschen, die einsam auf einem Felsvorsprung in schwindelerregender Höhe den Mond bestaunen? Oder welche, die soviele Zahlen auf Papier und Wände schreiben, dass sie den eigentlichen Sinn ihres Tuns (zu) vergessen (scheinen). Nein, heute bleiben die Wände unbeschrieben und wir haben dank moderner Technik große Datenbanken für alle die Zahlen und Werte.
Spaß beiseite. – Sind da nicht etwa Ärzte, deren vorgebliches Forschungsinteresse so groß ist, daß sie vor lauter Datenbearbeitung ganz übersehen, daß ihre Patienten auf den Stationen unnötig Schmerzen u.a. erleiden? Gehören dazu nicht auch die Krankenschwester oder die Supermarktverkäuferin, die vor lauter Klagen über die viele Arbeit eben mit dieser agitierten Klagerei so beschäftigt sind, daß sie in der Tat das vorgesehene Arbeitspensum nicht schaffen können? Dazu gehört der Chef, der wirtschaftlichen Zwängen nachgibt und sein (ihm anvertrautes) Personal so unter Druck setzt, daß sich für dieses durchaus Situationen ergeben, in denen unverantwortliches Verhalten gar nicht mehr erkannt bzw. benannt werden kann. (Nicht wirklich ein qualifizierende Eigenschaft zum Chef!) Zu denken ist aber ebenso an die Grundschullehrerin, die – auch heute noch – auf fragwürdig maßregelnde Art den Schülern einfache Verhaltensregeln beibringt, weil sie sich einen freundlichen Umgang gar nicht vorstellen kann. Dann ist da noch der Verwaltungsdirektor, der über den Zahlen für sein Budget sitzt und Druck auf das Personal ausübt, sich zugleich aber mit zahllosen Ehrenämtern schmückt, nur um gut dazustehen. Der Psychoanalytiker, der an seinem Klienten seinen Sadismus auslebt und gerade deswegen in diesen Beruf gefunden hat. Der Vermieter, der sich selbst fürsorglich-väterlich inszeniert und in Wirklichkeit seine angeranzten Wohnungen nach und nach auf Kosten seiner Mieter modernisieren und reparieren läßt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Alle diese postmodernen Menschen nehmen eine Position an einer ausgezeichneten Stelle ein und bestaunen – nein, nicht mehr den Mond – dafür ein Konstrukt, das etwas mit ihrem gewünschten Selbstverständnis zu tun hat. Zeitgleich verfehlen sie wichtige Teilbereiche der Wirklichkeit. Es gehören menschliche Größe und Stärke der Persönlichkeit dazu, sich solchen unangenehmen Fragen zu stellen; – und das Geld für das Opernticket. Im Falle einer solchen Investition findet der Interessierte hier Anregungen, Gedanken und Impulse, die bei weitem nicht bei einer Kritik an der Romantik haltmachen.