Ein musikalischer Alleskönner – Leo Blech zum 150. Geburtstag

Leo Blechs 150. Geburtstag ist Anlass, sich das Leben und die künstlerischen Leistungen dieses außergewöhnlichen Dirigenten, der die Hof- bzw. Staatskapelle Berlin mehr als 2.600 Mal dirigierte, wieder ins Bewusstsein zu rufen.

In der Geschichte der Berliner Hof- und Staatsoper Unter den Linden dürfte es keinen Dirigenten gegeben haben, der so häufig vor dem Orchester gestanden hat, in Opern- wie Konzertaufführungen. Mehr als 2.600 Mal hat Leo Blech die Hof- bzw. Staatskapelle dirigiert, über einen Zeitraum von rund drei Jahrzehnten. Vor genau 150 Jahren, am 21. April 1871, wurde er in Aachen geboren. Das Deutsche Kaiserreich war erst vor wenigen Monaten gegründet worden, in dessen Metropole Berlin vollzog sich die erstaunliche Musikerkarriere des Leo Blech. Nach ersten Stationen als Kapellmeister seiner Heimatstadt sowie am Landestheater Prag kam er 1906 auf Empfehlung von Richard Strauss an das Opernhaus Unter den Linden, wo er schon in den ersten Jahren seines Engagements ein breites Repertoire betreute. Leo Blech als einen wahren »Allrounder«, gar als »Alleskönner« zu bezeichnen, trifft gewiss den Kern der Sache, stand er doch bei den großen Opern Mozarts, Wagners und Strauss’ ebenso am Pult wie bei Werken der italienischen und französischen Oper sowie bei Stücken aus dem slawischen Sprachraum. Seine erste Opernproduktion galt einem Werk, das er so häufig wie kein anderes musikalisch geleitet hat, Georges Bizets »Carmen«. Im September 1906 war dies, kurz nach seinem Amtsantritt in Berlin. Rund 700 Mal sollte er dieses Gipfelwerk der Opernliteratur dirigieren, zumeist im Haus Unter den Linden, immer wieder aus neuen Ideen und Impulsen heraus. Auch eigene Stücke kamen wiederholt zur Aufführung, war Leo Blech doch auch ein respektabler Opernkomponist, wie es etwa sein 1908 erstmals in Berlin gespielter Einakter »Versiegelt« unter Beweis stellt.

Noch während der Kaiserzeit, 1913, wurde Leo Blech der Titel eines Generalmusikdirektors verliehen, 1916 kam es zu ersten Tonaufnahmen mit der Königlichen Hofkapelle, die nur wenige Jahre später zur Preußischen Staatskapelle bzw. Staatskapelle Berlin umgewandelt wurde. Schon diese frühen Einspielungen, noch mittels der akustischen Aufnahmetechnik realisiert, bezeugen Blechs eminenten Sinn für Tempo und Timing, desgleichen auch die hohe Spielkultur des Orchesters. In den 1920er Jahren dann, in den kulturell so innovativen Jahren der Weimarer Republik, folgten dann zahlreiche weitere Aufnahmen, u. a. auch diejenigen zu Wagners »Ring des Nibelungen«, die bis heute Referenzstatus besitzen, zumal sie eine Begegnung mit den großen Sängerinnen und Sängern der Zeit ermöglichen, die von Blech souverän geführt werden. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich Blech auch weiter zu einem der zentralen Dirigenten der Staatsoper, trotz charismatischer Persönlichkeiten wie Erich Kleiber, Otto Klemperer oder Wilhelm Furtwängler, die parallel zu ihm an dieser ersten Adresse des Berliner Kulturlebens arbeiteten. Sinfoniekonzerte dirigierte er nur sporadisch, seine eigentliche Domäne blieb die Oper, die er mit großem Stilgefühl weiterhin pflegte, in allen ihren Erscheinungsformen. Zwischenzeitlich hatte er das Haus verlassen, um zwischen 1923 und 1926 am Deutschen Opernhaus in Charlottenburg (nachmals Städtische Oper) sowie an der nur kurzzeitig bestehenden Großen Volksoper Berlin tätig zu sein. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem sich ein Engagement an der Staatsoper in der sowjetischen Besatzungszone nicht verwirklichen ließ, dirigierte er wieder an der Städtischen Oper, damals im Theater des Westens residierend.

Dazwischen lagen bewegte Jahre. Nach großen künstlerischen Erfolgen, die Leo Blech während der späten 1920er und frühen 1930er Jahren beschieden waren, kam er gleich vielen anderen jüdischen Künstlern mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Bedrängnis. Emigrieren musste er zunächst noch nicht, da Intendant Heinz Tietjen, der Leo Blech außerordentlich schätzte, seine schützende Hand über ihn hielt und auch Hermann Göring, dem die Staatsoper formell unterstand, ihn halten wollte. 1937 musste er »zwangspensioniert« die Staatsoper und Berlin jedoch verlassen, nachdem er zuvor schon zum Ziel antisemitischer Angriffe geworden war. Ab 1938 war er am Opernhaus in Riga beschäftigt, nach der Annexion Lettlands durch Stalin 1941 gelang ihm die Flucht nach Schweden. An der Stockholmer Oper hatte er schon seit den 1920er Jahren wiederholt als Gast dirigiert – sie wurde ihm in den 1940er Jahren zu einer neuen künstlerischen Heimat.

Verbunden aber war er vor allem mit Berlin, insbesondere mit der Staatsoper, zu deren prägenden Dirigenten er gehört. Eine Rückkehr an sein Stammhaus blieb ihm verwehrt, die Berlinerinnen und Berliner konnten seine musikalische Kompetenz aber bis 1953 noch an der Städtischen Oper erleben, da war er bereits über 80 Jahre alt. Am 25. August 1958 ist Leo Blech im Alter von 87 Jahren in Berlin verstorben, beigesetzt wurde er auf dem Friedhof Heerstraße in Nähe des Olympiastadions.

Leo Blechs 150. Geburtstag ist Anlass, sich das Leben und die künstlerischen Leistungen dieses außergewöhnlichen Dirigenten wieder ins Bewusstsein zu rufen. Würdig reiht er sich ein in die einzigartige Phalanx bedeutender Persönlichkeiten, die an der Berliner Hof- und Staatsoper wirkten. An die Brüche seiner Biographie, die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelnd, soll ebenso erinnert sein wie an sein inspiriertes Musizieren, das auch heute noch nachzuvollziehen ist – man höre nur einmal die rasante Ouvertüre zu Mozarts »Figaro« oder den klangfarbenreichen »Feuerzauber« aus Wagners »Walküre«. Leicht ist dann zu verstehen, warum Leo Blech einer der großen Dirigenten seiner Zeit war.

2 Kommentare

  • Dr. Wolf-Rüdiger Baumann
    schrieb am 21.04.2021 um 11:57 Uhr.

    Zu Leo Blechs 60. Geburtstag am 21. April 1931 brachten ihm die Blechbläser der Staatsoper Unter den Linden, dirigiert von Erich Kleiber, ein Ständchen im Gartenhof seines Wohnhauses Mommsenstrasse 6 in Berlin-Charlottenburg.

    Die Umstände haben es leider nicht zugelassen, dass heute, 90 Jahre später, wo sich sein Geburtstag zum 150. Mal jährt, wiederum ein Ständchen gebracht werden kann.

    Dr. Wolf-Rüdiger Baumann

  • Hans-Dieter Roser
    schrieb am 21.04.2021 um 12:27 Uhr.

    Für mich auch eine Referenzaufnahme die Ouverture zu den „Meistersingern“.

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