»… eine Form von Sinnlichkeit«

Auf einen Kaffee mit der Dramaturgie - Strauss

Strauß über Strauss: Anlässlich des 150. Geburtstages des früheren Kapellmeisters der Hofoper Unter den Linden sprachen die Dramaturgen Dr. Detlef Giese und Roman Reeger mit dem Konzertmeister der Staatskapelle Berlin Lothar Strauß.

Detlef Giese: Lothar Strauß, können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie das erste Mal als Staatskapellenmusiker mit Richard Strauss in Berührung gekommen sind?

Lothar Strauß: Das war während meiner dreijährigen Probezeit. In meinem Vertrag stand, dass ich einen relativ großen Teil meiner Dienste als Stellvertreter spielen sollte, um an der Seite von den erfahrenen Konzertmeister-Kollegen zu lernen. Meistens spielte ich mit Prof. Egon Morbitzer, der mich sehr inspiriert hat. Als er beim Rosenkavalier das Orchester anführte und ich das erste Mal mitspielen durfte, drehte er sich zu mir um und sagte: »Ich spiele, Sie blättern!« Und es gab tatsächlich Seiten, bei denen ich froh war, nur blättern zu dürfen, weil das so rasant und schnell vorbeiging, dass ich ohne sachkundige Führung verloren gewesen wäre.

Detlef Giese: Unter welchen Dirigenten war das damals?

Lothar Strauß: Das war oftmals unter Otmar Suitner, aber auch unter Siegfried Kurz, Wolfgang Rennert oder Heinz Fricke. Und natürlich immer ohne Probe.

Roman Reeger: Haben Sie ein bestimmtes Verhältnis zu Richard Strauss, welches sich wohlmöglich auch über die Jahre verändert hat?

»Es ist eine Form von Sinnlichkeit, die ich in dieser Zeit, in welcher Richard Strauss seine Opern komponierte, nirgendwo anders vorfinde.«

Lothar Strauß: Was sich geändert hat, ist, dass zu Richard Strauss über die Jahre immer mehr Johann Strauß hinzugekommen ist. Und einer könnte ohne den anderen nicht sein. Weder in Wien noch in der Musikwelt. Es ist eine Form von Sinnlichkeit, die ich in dieser Zeit, in welcher Richard Strauss seine Opern komponierte, nirgendwo anders vorfinde.

Roman Reeger: Gibt es bestimmte Werke, die Sie besonders schätzen?

Lothar Strauß: Ich glaube, da befinde ich mich mit vielen auf einer Wellenlänge, wenn ich sage: Salome, Elektra und Rosenkavalier. Capriccio hat mich nicht ganz so erreicht. Bei den Tondichtungen bevorzuge ich Don Juan, Der Bürger als Edelmann mit ihren schönen Geigensoli, Ein Heldenleben und, nicht zu vergessen, Also sprach Zarathustra. Ich werde nicht müde, diese Werke zu spielen, das ist jedes Mal eine besondere Begegnung. Was mir immer wieder auffällt ist, dass es bei Strauss wesentlich mehr als bei Wagner, an dem er sich ja orientiert hat, intime und innige Momente gibt, selbst in den hochdramatischen Werken wie Salome oder Elektra. Auch das symbiotische Wort-Tonverhältnis fasziniert mich immer wieder, das findet man bei kaum einem anderen Komponisten.

Detlef Giese: Die Staatskapelle Berlin gilt als eines der zentralen »Strauss-Orchester«. Richard Strauss war hier über längere Zeit Generalmusikdirektor und stand mehr als 1.000 Mal am Pult. Reflektiert man das als Musiker?

Lothar Strauß: Es ist sehr schön, wenn sich ein Orchester auf seine Tradition besinnt, vor allem wenn große Teile davon über lange Zeit verschüttet waren. Dass wir ein Strauss-Orchester sind, rückt interessanterweise erst mit diesem 150. Geburtstag wieder in den Vordergrund. Ich nehme Richard Strauss auch sehr übel, dass er neun Uraufführungen in Dresden hat spielen lassen (lacht). Von einer Reflexion im Alltag kann man jedoch wohl nicht sprechen. Man fühlt sich eher der Musik verbunden, wenn sie einem gefällt. Ich glaube auch ehrlich gesagt kaum, dass sich der heutige Klang der Staatskapelle noch auf Strauss’ Tätigkeit als Hofkapellmeister zurückführen lässt.

Detlef Giese: Bei den Tondichtungen sind Sie auch als Solo-Geiger häufiger mal gefordert. Das sind ja wirklich schwierige, halsbrecherische Partien, die zu bewältigen sind. Sehen sie einer solchen Aufführung eher mit Freude oder Schrecken bzw. Spannung entgegen?

Lothar Strauß: Mit Schrecken ganz sicher nicht. Eine Spannung ist natürlich schon da. Ich denke, dass das auch normal ist. Aber diese Spannung gehört auch ohne ein Solo zu einer Aufführung dazu, z. B. wenn ich einen Rosenkavalier vor mir habe, wo es ja weniger halsbrecherische als lyrische Soli gibt.

Roman Reeger: Ich möchte noch einmal auf Strauss und Berlin zurückkommen. Obwohl den gebürtigen Münchener diese Stadt seit seiner Jugend immer wieder inspirierte, äußerte er sich auch häufig verächtlich über die Berliner. Hierzu passt, dass er während seiner von 1898 bis 1918 währenden Dienstzeit in Charlottenburg lebte, welches erst 1920 eingemeindet wurde. Sein Haus in der Knesebeckstraße 30 ist sogar nur wenige Meter von Schiller Theater entfernt, wo wir dieses Gespräch führen. Können Sie diese gemischten Gefühle in Bezug auf Berlin, von dieser Stadt angezogen und zugleich abgestoßen zu sein, nachvollziehen?

Lothar Strauß: Eine solche Ambivalenz lässt sich immer wieder in seiner Biographie feststellen, weshalb wir immer eine sehr kontroverse Diskussion erleben, wenn um seine Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus geht. In Bezug auf die Wahl des Wohnortes zeigt sich doch: Dasein – ja, aber gleichzeitig sich eher dem südlichen Sprach- und Musikraum verpflichtet fühlen. Er hat die Salzburger Festspiele mitgegründet, nur kurz nachdem seine feste Stellung in Berlin endete. Alleine schon durch seine Herkunft bedingt, hat er es wohl kaum ausgehalten, nördlich des »Wein-Meridians« zu leben und wer sich in diesen Gegenden südlich davon ein wenig auskennt, wird das gut verstehen.

Detlef Giese: Lassen Sie und einen Sprung in die Gegenwart machen: Die Staatskapelle Berlin spielt ja in dieser Saison relativ viel Strauss: Don QuixoteHeldenleben, Salome unter Zubin Mehta … Wie könnte man den »Strauss-Klang« der Staatskapelle derzeit bezeichnen?

Lothar Strauß: Mit einem Wort: Süffig.

Detlef Giese: … und damit wäre schon alles gesagt… (lacht)

»Man kann diesen Klang fast nicht erklären.«

Lothar Strauß: Sinnlich, vielfältig und ganz bestimmt nicht flach. Rund, vielschichtig. Ein Nachhall, süß, scharf und frech. Mir fallen gerade nur Superlative ein. Man kann diesen Klang fast nicht erklären. Auf jeden Fall ganz anders als bei Wagner. Schon alleine durch die unterschiedliche Harmonie- und Melodiestruktur. Was ich übrigens ganz interessant finde, ist, dass Richard Strauss, als Hornist, die Geige anfangs nicht wirklich liebte, seine frühe Violinsonate könnte man eher als »Jugendsünde« bezeichnen (lacht). Schaut man sich allerdings die späteren Werke an, was er da für Soli komponiert hat, z. B. in den Vier letzten Liedern … Sensationell! Man erkennt wieder eine Ambivalenz.

Roman Reeger: Augenzwinkernd schreibt Strauss in seinen »Zehn goldenen Regeln« für junge Kapellmeister: »Lasse niemals Hörner und Holzbläser aus dem Auge: wen du sie überhaupt hörst, sind sie schon zu stark.« und formulierte an anderer Stelle, dass das »zukünftige Orchester« kleiner besetzt sein müsse, um sängerfreundlich und flexibel agieren zu können …

Detlef Giese: … und in seinen letzten Instrumentalwerken wie den Metamorphosen, dem 2. Hornkonzert oder auch Capriccio sieht man auch: Das ist alles so leicht und transparent.

Roman Reeger: Genau!

Lothar Strauß: Filigran, wie feinste metallische Ziselierarbeiten. Dennoch: Der große Apparat bleibt, trotz der Transparenz.

Detlef Giese: Wünschen Sie sich, mit der Staatskapelle mehr Strauss zu spielen?

Lothar Strauß: Es gibt jetzt diese Konzentration wegen des Jubiläums im konzertanten Bereich. Aber es geht mir viel mehr um die Kontinuität, die es braucht um diesem umfangreichen Schaffen gerecht zu werden. Ich finde, dass man die Opern von Richard Strauss nicht weniger spielen sollte als die Richard Wagners. Was allein die Fülle des Schaffens und die exorbitante Klangentfaltung anbelangt, gehört Strauss zu den letzten fulminanten Opernkomponisten.

Detlef Giese: Immerhin dürfen wir uns in der nächsten Saison auf Ariadne auf Naxos in der Regie von Hans Neuenfels und unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher freuen!

Roman Reeger: Ich hätte zum Schluss noch eine persönliche Frage: Es gibt, neben dem ähnlichen Namensklang, eine weitere biographische Überschneidung zwischen Ihnen beiden: Strauss wurde mit 21 Jahren von Hans von Bülow zum Kapellmeister in Meinigen berufen. Sie selbst sind im fast gleichen Alter, mit 22 Jahren, 1. Konzertmeister der Staatskapelle Berlin geworden. Wie geht man mit so einem verantwortungsvollen Posten in diesem Alter um?

Lothar Strauß: Ehrlich gesagt war ich mir damals nicht bewusst, was es bedeutet, Konzertmeister bei einem Orchester mit einer nun bald 450-jährigen Tradition zu sein. Einerseits bin ich froh, dass ich mir darüber nicht bewusst war, sonst hätte ich Entscheidungen, die sehr unbefangen waren, musikalisch oder fachlich nicht treffen können. Da fällt mir ein Spruch ein: „Alle sagten: Das geht nicht. Da kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.“ So ähnlich habe ich mich damals gefühlt. Auch wenn Erfahrungen inzwischen nahe legen, dies oder das nicht zu tun – ich würde es heute dennoch genau so machen. Eine immer noch unbefangene Neugier zu empfinden, eine unerschöpfliche Lust auch auf die zum x-ten mal gespielte Zauberflöte – das ist rückblickend vielleicht das größte Geschenk für mich nach mehr als 30 Jahren in der Staatskapelle Berlin.

Detlef Giese & Roman Reeger: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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