»Für Fräulein Babette«
Mit Wolfgang Amadeus Mozarts in Wien entstandenem Klavierkonzert G-Dur KV 453 wird die für ihre besondere Anschlagskunst berühmte Pianistin Maria João Pires, die sich schon im Kindesalter mit der Musik Mozarts beschäftigte, am 17. und 18. November beim III. Abonnementkonzert ihr Debüt bei der Staatskapelle Berlin geben. Dramaturg Roman Reeger hat sich mit Mozarts für seine Schülerin Barbara Ployer geschriebenem Werk auseinandergesetzt.
Das Jahr 1784 gilt als eines der erfolgreichsten in Mozarts Karriere. Zugleich dürfte er sich in seiner Entscheidung, seiner Heimatstadt Salzburg den Rücken zu kehren und in die Großstadt Wien zu ziehen, bestätigt gesehen haben. Drei Jahre waren vergangen, seit dem Zerwürfnis mit dem Erzbischof Colloredo, welches mit dem berühmten Fußtritt, mit dem dieser das einstmalige Wunderkind unsanft vor die Tür beförderte und somit aus seinen Diensten am Salzburger Hof entließ, endete. Mit dem Umzug nach Wien hatte er sich auch von seinem Vater Leopold emanzipiert. Er heiratete Konstanze Weber, obwohl der Vater sich gegen die Verbindung mit der »Weberschen« aussprach und beschritt nun verstärkt künstlerisch neue Wege.
Wie inspirierend die neue Umgebung und die veränderten Lebensumstände auf Mozart gewirkt haben müssen, zeigen schon solch innovative Werke wie das 1782 im Wiener Burgtheater uraufgeführte Singspiel »Die Entführung aus dem Serail«, das im Auftrag Kaiser Joseph II. entstand. Konkret sind hierbei Begegnungen wie die mit Gottfried van Swieten, dem Präfekten der kaiserlichen Bibliothek, zu nennen, der Mozart mit Manuskripten Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels vertraut machte, was einen nachhaltigen Eindruck bei diesem hinterließ. Auch die Bekanntschaft mit Christoph Willibald Gluck war von entscheidender Bedeutung, da dieser sich nicht zuletzt sehr für »Die Entführung aus dem Serail« einsetzte. Erste Akademien fanden 1783 und 1784 im Burgtheater statt, hierbei gelangen das Klavierkonzert C-Dur KV 415, das Konzertrondo KV 382 aber auch die »Posthorn-Serenade« und die »Haffner-Sinfonie« zur Aufführung. Im März des Jahres 1784 spielt Mozart die Klavierkonzerte KV 449–451 an drei aufeinanderfolgenden Mittwochen. Unter den Zuhörern befinden sich viele Angehörige der guten Wiener Gesellschaft. Auch in den Adelshäusern ist er regelmäßig zu Gast und gibt dort zahlreiche Konzerte. Trotz des großen Erfolges bleibt er jedoch ohne feste Anstellung, sodass er weiterhin darauf angewiesen ist, als Klavierlehrer für vornehme Wiener Familien zu arbeiten.
Die Begeisterung und das Talent seiner Schüler, bei denen es sich hauptsächlich um die Töchter reicher Familien handelte, fiel hierbei sehr unterschiedlich aus. Nicht selten mag Mozart gar verzweifelt sein, am musikalischen Unvermögen und Desinteresse seiner Schüler, doch gab es unter ihnen auch erstaunliche Begabungen. Zu diesen zählte in jedem Fall die 1765 im oberösterreichischen Sarmingstein geborene Barbara Ployer. Sie war eines von acht Kindern des Holzhändlers und Steuereintreibers Franz Cajetan Ployer. Über eine frühkindliche musikalische Ausbildung ist wenig bekannt.
Nach dem Tod ihrer Mutter kam sie 1779 nach Wien, in den Haushalt des Hofagenten Gottfried Ignaz von Ployer, einem Cousin des Vaters, einem großen Musikliebhaber, dessen Name sich auch auf vielen Subskriptionslisten von Mozarts Akademien findet. Er erkannte das große musikalische Talent der jungen Barbara und förderte es, indem er sie sowohl im Instrumentalspiel als auch in der Komposition unterrichten ließ. Bald galt sie in Wiener Musikerkreisen als eine der besten Pianistinnen ihrer Zeit und verkehrte u. a. mit Joseph Haydn und Maximilian Stadler. Gleichwohl war ihre umfassende musikalische Ausbildung keineswegs für den Einstieg in eine künstlerische Karriere gedacht. Hiervon zeugt auch, dass keinerlei Berichte über ihre musikalische Tätigkeit nach ihrer Heirat im Jahr 1787 mit dem Gutsbesitzer Cornelius Bujánovics von Agg-Tellek, welchem sie nach Kroatien folgte, existieren. Mit dem Weggang aus Wien brachen auch ihre künstlerischen Kontakte weg, die sie bis zum ihrem Tod (vermutlich 1810) nicht erneuerte.
Auch Mozart, der vermutlich 1783 ihr Lehrer wurde, war sogleich von ihrem Talent begeistert, sodass er ihr 1784 das Klavierkonzert in Es-Dur KV 449 komponierte und im Februar desselben Jahres nach Salzburg sandte, mit der Bitte, es »so bald möglich, copiren [zu] lassen und wieder zurück[zu]schicken – und NB: aber keiner Seele [zu] geben, denn ich hab es für die frl. Ployer gemacht, die es mir gut bezahlte«. Zugleich war dieses Werk das erste, welches Mozart in sein »Verzeichnüss aller meiner Werke«, das er bis zu seinem Tod führte, eintrug. Barbara Ployer führte es im Rahmen eines Hauskonzertes am 23. März 1784 auf – Mozart selbst hatte es sechs Tage zuvor während einer Akademie erstmalig vor Publikum zu Gehör gebracht. Bereits einen Monat später gab Barbara Ployer ein weiteres Konzert bei Mozart in Auftrag, von dem dieser seinem Vater am 10. April berichtete: »Nun habe ich auch heute wieder ein Neues Concert für die frl: Ployer fertig gemacht«. Am 13. Juni erfolgte die Uraufführung, an deren Vortag Mozart notierte: »Morgen wird bey H: Agenten Ployer zu döbling auf dem Lande Academie seyn, wo die frl: Babette ihr Neues Concert ex g – ich das Quintett – und wir beyde dann die grosse Sonate auf 2 Clavier spiellen werden«. Darüber hinaus widmete Mozart seiner Meisterschülerin mehrere Sonaten und Variationen, spielte mit ihr auch in anderen Fürstenhäusern Doppelkonzerte und lud sie ein, bei seinen Akademien zu konzertieren.
Dass Mozart von der Begabung seiner Schülerin vollends überzeugt gewesen sein muss, zeigt schon, dass sowohl das Konzert KV 449 als auch das nachfolgende KV 453 eine Virtuosität und ein hohes spieltechnisches Vermögen erfordern. Der erste Satz des G-Dur-Konzertes beginnt sofort mit dem marschartigen, zugleich jedoch melodisch reizvollen Hauptthema im Orchester. Der klassischen Architektur des Sonatensatzes folgend folgt auf dieses, nach einer langen Mollüberleitung, das zweite Thema in der Dominanttonart D-Dur.
Auch das später einsetzende Soloklavier folgt der Formanlage der Orchesterexposition. Eine Besonderheit besteht darin, dass zu den beiden bereits im Orchester vorgestellten Themen, das Soloklavier ein drittes Thema hinzufügt, welches zunächst alleine erklingt und kurz darauf vom Orchester aufgenommen wird. Zur Klangcharakteristik dieses Konzertes schrieb der berühmte Mozartforscher Alfred Einstein: »In freundlicher Tonart steckt es voll geheimen Lächelns und geheimer Trauer«. So wird die grundsätzlich heitere Stimmung immer wieder durch unerwartet einsetzende harmonisch komplexe Mollpassagen getrübt, auch der gezielte Einsatz von Dissonanzen und Trugschlüssen verleihen diesem Satz eine gewisse auf Kompositionen der Frühromantik verweisende Ausdruckstiefe. Auch im zweiten Andante-Satz, der in der Tonart C-Dur steht, stehen komplexe und unerwartete harmonische Verschiebungen im Zentrum und bestimmen die besondere Charakteristik. Auch die Formanlage weist Besonderheiten auf, so schreibt Mozart hier eine für einen zweiten Satz eher untypische Sonatensatzform vor, die jedoch entscheidende Einflüsse eines Variationssatzes birgt. Gleich zu Beginn erklingt ein gesangliches Orchesterthema. Die Soloklavierstimme wechselt zunächst nach g-Moll und leitet dann zum zweiten kanonischen Thema über.
Die Durchführung führt zunächst in das harmonisch entlegene gis-Moll, um dann in kürzester Zeit nach C-Dur zurückzukehren. Die expressive Qualität des Satzes zeigt sich nicht zuletzt in diesen Momenten symbolisch repräsentierter innerer Zerrissenheit und steht einem fast sakralen Gestus, der über weite Strecken an Stellen der ein Jahr zuvor komponierten Messe in c-Moll KV 427 erinnert, gegenüber. Die Reprise erscheint leicht abgewandelt, doch in weiten Teilen der Exposition folgend. Einen deutlichen Kontrast hierzu bildet der dritte Variations-Satz, dessen Anfang durch ein volksliedhaftes Gassenhauer-Thema markiert ist, welches zunächst im Orchester vorgestellt und dann vom Klavier virtuos umspielt wird. Mozart brachte dieses Thema gar seinem Haustier, einem Staren, bei. Der Vogel konnte sie offenbar nachpfeifen, wobei er jedoch bestimmte Töne falsch sang. In den Variationen zeigt sich eine ungemein große Fantasie in Bezug auf rhythmische und harmonische Verschiebungen. Auch in diesem Satz schreibt Mozart eine formelle Besonderheit ein: So erweitert er die Coda zu einem großen Finale, das an ein Opernfinale erinnert.
Diesen Beitrag findet ihr auch im Programmbuch zum III. Abonnementkonzert