Mozarts Da-Ponte-Opern – Eine Trilogie unserer Zeit

Regisseur Vincent Huguet beschreibt sein Konzept, Mozarts Da-Ponte-Opern als einen Zyklus auf die Bühne zu bringen.

Im Gegensatz zu Wagners »Ring«-Tetralogie ist die Mozart-Da Ponte-Trilogie nicht als Zyklus konzipiert worden. Erst nachträglich wird die Bezeichnung »Trilogie« für »Le nozze di Figaro« (1786), »Don Giovanni« (1787/88) und »Così fan tutte« (1790) angewandt, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, von einem der inspiriertesten Duos der Operngeschichte geschaffen worden zu sein: Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo Da Ponte.

In nicht einmal vier Jahren, von 1786 bis 1790, entwerfen sie ein Bildnis ihrer Zeit, das noch immer verblüfft. Denn auch, wenn man in diesem vor allem das Wesen der Menschen am Ende des 18. Jahrhunderts erkennt, bleibt es universell, und weder die gepuderten Perücken noch die Seidenbänder haben folgende Generationen daran gehindert, sich mit ihm zu identifizieren. Auch wenn diese »Trilogie« also dem Zufall geschuldet ist – hätte Mozart länger gelebt, würde man vielleicht gar von einer Tetralogie oder sogar einer Pentalogie sprechen können – lassen sich in ihr doch zahlreiche gemeinsame Figuren, wiederkehrende Situationen und Noten sowie inhaltliche Fortsetzungen finden, dass ein roter Faden erkennbar wird, der es heute möglich macht, die Geschichte, die Mozart und Da Ponte erzählt haben, wiederzugeben.

 

Das Porträt einer Generation

In den drei Werken kann ein Porträt einer Generation herauskristallisiert werden, das in drei Akten erzählt werden kann:

  • »Così fan tutte«, korrekterweise untertitelt mit »La scuola degli amanti«: Jugend und Lehrzeit, bzw. die »Initiation«
  • »Le nozze di Figaro«: Eheleben, Zeit seiner Freuden, aber auch seiner »Midlife crisis«
  • »Don Giovanni«: Reifezeit bis zum Tod

Diese Reihenfolge, die nicht der Chronologie der Entstehung entspricht, ermöglicht es einerseits, eine zeitliche Logik wiederzufinden, die von der Jugend der Protagonisten in »Così fan tutte« bis zur Reife und zum Tod in »Don Giovanni« reicht.

 

Eine Geschichte der Sexualität aufdecken

Es ist in der Tat verblüffend festzustellen, dass Michel Foucault aus seinem Werk

»Sexualität und Wahrheit« (1976-1984) ebenfalls ein Triptychon formte, von dem die Überschriften genauso gut als Untertitel für die Werke der Trilogie fungieren können:

  • Band 1: »Der Wille zum Wissen«
  • Band 2: »Der Gebrauch der Lüste«
  • Band 3: »Die Sorge um sich«

Während man oft auf die Liebesspiele, jene des Neids und der Frustration und sogar »die Phasen der Liebe« in der Trilogie hingewiesen hat, wurde jedoch oft nicht bedacht, dass letztere einen genauso wichtigen Diskurs und eine Überlegung zur Sexualität hervorbringt, wie die zur gleichen Zeit entstandenen Ideen von Casanova, Choderlos de Laclos, Marivaux, Sade oder Füssli. Bekräftigt und befreit durch die Philosophie der Aufklärung, erforschen Künstler, Schriftsteller und Philosophen die Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen den Generationen, zwischen dem, was man noch nicht »Gesellschaftsklassen« nennt, alles durch das Prisma der Sexualität betrachtet, indem sie die daraus entstehenden Machtspiele enthüllen.

 

Eine Familiensaga zwischen zwei Welten

Im Herzen dieser dreiteiligen Erzählung stehen ein junger Mann, Guglielmo aus »Così fan tutte«, der in »Le nozze di Figaro« als Graf Almaviva wiedererscheint, und eine Frau, die Gräfin aus »Le nozze«, welche das eheliche Haus verlassen wird und sich unter dem Namen Elvira in einen gewissen Don Giovanni verlieben wird. Dessen Diener Leporello ist dabei kein geringerer als Figaro. Zwischen den beiden befinden sich Eltern, Onkel, Enkel und Freunde, die von einem Werk zum nächsten tatsächlich Verwandtschaftsähnlichkeiten annehmen und dazu verleiten, dieses Leben vom Kern einer Familiensaga heraus zu erzählen.

Wann sollte man diese Geschichte spielen lassen, wenn nicht so nah wie möglich an unserer eigenen – da, wo sie uns selbst und unsere Nächsten porträtiert und uns am meisten berühren kann? Und wenn man alles im schönen Mai des Jahres 1968 beginnen ließe? Diese brodelnde Revolution ist zwar nicht jene von Beaumarchais geahnte, aber sie beabsichtigt es auch, eine veraltete Welt ins Kippen zu bringen und die Gesellschaft neu zu erfinden.

 

1969: »Così fan tutte« ist »La scuola degli amanti«, bei der vier junge Leute aus gutem Hause (Fiordiligi, Dorabella, Guglielmo und Ferrando), etwas verklemmt und nicht so oft auf den Barrikaden, auf einem italienischen Strand ein Paar treffen, das in Schwierigkeiten steckt (Despina und Don Alfonso). Dieses Paar hat Revolution gemacht – oder meint zumindest sich an der Revolution beteiligt zu haben – und ist gewillt, diese fortzuführen, ganz nackt und auf schwarzem Sand. Jugend und Lehrzeit.

1988: »Le nozze di Figaro« spielt ca. 20 Jahre später, in einem großen Haus, an einen Almodovar-Film angelehnt. Bestimmend ist die Versuchung einer Rückkehr zur Ruhe und Ordnung, wie man es damals genannt hätte, ja sogar der »Verbürgerlichung« mit ihrem diskreten Charme auf der einen, aber auch dem Preis von Frustrationen und Intrigen auf der anderen Seite. Die Lektion aus »Così« ist noch nicht wirklich verinnerlicht worden: Schon entdecken neue Generationen mit Cherubino als ihrem berühmten und stark queeren Vertreter das sexuelle Verlangen und erfinden somit eine neue Art von Freiheit.

2019: »Don Giovanni« schließlich ist eine Flucht, die uns bis zur heutigen Zeit führt. Die Flucht eines Mannes, der eine Welt voller Paradoxien gleichzeitig liebt und verwirft. Eine Welt der Freizügigkeit und Sterilität, liberal und forschend, in der das Geschlecht gefährlicher geworden ist denn je. Er verliert den Boden unter den Füßen, und je mehr die Zeit voranschreitet, desto öfter wird er verfolgt, auch wenn die Rechtsprechung der Menschen keinen Einfluss auf ihn zu haben scheint. Seine Flucht nach vorn ist also auch eine verzweifelte Suche nach der Freiheit, und sei der Preis noch so hoch: der Tod.

 

Aus dem Französischen übersetzt von Isabelle Petitlaurent

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