»Nicht Rache sondern Frieden« – Regisseur Satoshi Miyagi im Gespräch

Satoshi Miyagi inszeniert Mozarts Oper »Mitridate, Re di Ponto« im Rahmen der BAROCKTAGE 2022. Die Botschaft, dass Frieden und Versöhnung an die Stelle von Rache treten soll, steht im Mittelpunkt seiner Regiearbeit, die er aus dem Geist des japanischen Kabuki-Theaters heraus entwickelt hat.

Wann und wie haben Sie Mozarts »Mitridate, Re di Ponto« eigentlich kennengelernt?

Das war in Tokio bei einem Treffen mit Marc Minkowski, nach einem Opernbesuch. Er hat dort dirigiert und wir hatten die Idee, ein gemeinsames Projekt in die Wege zu leiten. Marc Minkowski hat »Mitridate« vorgeschlagen, ein Werk, das ich bis dahin noch nicht kannte. Ich fand es sehr interessant zu erfahren, dass es auf einem Drama von Jean Racine basiert und habe mich dann eingehend damit beschäftigt, mit dem Libretto und mit der Musik.

Mozarts »Mitridate, Re di Ponto« ist eine italienische Opera seria, Sie sind ein Regisseur aus Japan. Welche Spannungen ergeben sich daraus, wie kommt das aber auch zusammen?

Wahrscheinlich ist es das erste Mal, dass dieses Werk von einem asiatischen Regisseur in Europa inszeniert wird. Die Geschichte handelt ja von der Auseinandersetzung zweier Mächte: einer asiatischen und einer europäischen, Pontus und Rom. Ich möchte in meiner Inszenierung gerne zeigen, wie König Mitridate, der die asiatische Seite repräsentiert, in der Oper dargestellt wird, vor dem Hintergrund einer Kunstform, die in Europa entwickelt wurde. Meines Erachtens ist es durchaus ein Unterschied, ob Libretto und Musik aus einer europäischen oder aus einer asiatischen Sicht heraus betrachtet werden. Als asiatischer Regisseur habe ich gewiss einen anderen Zugang und kann die Rolle des Königs und »Warlords« Mitridate anders deuten und durch andere Mittel ausdrücken als ein europäischer Kollege.

Die Geschichte spielt in der Antike, die Geschehnisse lassen sich aber auch mit Ereignissen und Erfahrungen aus der neueren Zeit in Beziehung setzen.

Ja, ich habe da ganz bewusst eine Parallele gezogen: Der Kampf der Reiche von Pontus und Rom erinnert an den Krieg zwischen den USA und Japan in den 1940er Jahren. Pontus mit Mitridate an der Spitze hat, um gegen Rom kämpfen zu können, sich mit anderen asiatischen Reichen verbunden, hat sie für sich gewonnen, so wie Japan in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Länden in Asien kolonialisiert hat, um gegen Amerika (oder auch Europa) bestehen zu können. Die Geschichte besitzt ein geradezu »giftiges« Ende, da die Niederlage und der Tod Mitridates damit einhergeht, dass Pontus auf Revanche sinnt und unbedingt weiterkämpfen möchte. Es ist ein Ende ohne Frieden, das einen weiteren Kreislauf von Gewalt und Gegenwalt nur allzu leicht in Gang bringen kann. In diesem Punkt gibt es auch keine Entsprechung mit der japanischen Geschichte: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich Japan dafür entscheiden, die westliche Welt willkommen zu heißen, den ehemaligen Gegnern die Hand zur Versöhnung zu reichen, um jedes aufkommende Gefühl von Rache zu überwinden.

Ich möchte in meiner Inszenierung gerne zeigen, wie König Mitridate, der die asiatische Seite repräsentiert, in der Oper dargestellt wird, vor dem Hintergrund einer Kunstform, die in Europa entwickelt wurde.

An welchen Ort und in welche Zeit haben Sie die Handlung der Oper versetzt?

Es gab immer wieder Zeiten, als Religion und politisch-militärische Kraft zusammenkamen. Vor religiösem bzw. spirituellem Empfinden Respekt zu zeigen, ist ein Anliegen der Inszenierung, zugleich soll auch gezeigt werden, wie politisch-militärische Kräfte wirken. Das Vorbild für unser Bühnenbild ist der Potala-Tempel in Lhasa, Tibet, der ein religiöses wie ein politisches Zentrum ist, somit beide Seiten repräsentiert. Am Beginn und am Schluss der Aufführung ist jedoch nicht dieser prächtige Tempelbau zu sehen, sondern eine verbrannte Stadt, die an das durch Luftangriffe zerstörte Tokio von 1945 erinnern soll. Letztlich möchte ich aber die Hoffnung ausdrücken, dass trotz dieser Schrecken und Zerstörungen, deren Zeugen die Menschen wurden, Frieden möglich ist, wenn eben auf Rache verzichtet wird.

Ihre Inszenierung ist wesentlich aus dem Geist des Kabuki-Theaters heraus entwickelt. Welche Elemente dieser traditionell japanischen, einem europäischen nicht unbedingt vertrauten Theaterkultur sind in der Aufführung zu erleben?

Die italienische Opera seria besitzt hinsichtlich ihrer Grundstruktur erstaunlich viele Ähnlichkeiten mit dem japanischen Kabuki-Theater, beide sind von ausgesprochener Künstlichkeit. Direkte Kontakte zwischen den Sängerinnen und Sängern kamen kaum einmal zustande, es waren eher »Bilder« als Aktionen, die kreiert wurden, zumindest im 18. Jahrhundert. Auch im Kabuki-Theater bewegen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler nach ihrem Auftritt auf der Szene nicht viel, sie sind eher zwei- als dreidimensionale Charaktere, die sich kaum einmal im Raum entfalten, sondern fast nur seitliche Bewegungen ausführen. Wesentlich ist außerdem das »Einfrieren« von Haltungen, bei dem die Figuren so wirken, als seien sie mit einer Fotokamera festgehalten worden. Ein bestimmter Augenblick wird eingefangen und fixiert: Die Zeit bleibt für die Dauer dieses Zustands stehen, der Augenblick kann sich gleichsam endlos ausdehnen. Dieses Kunstmittel wird auch in unserer Inszenierung eingesetzt.

Wie teilen sich trotz dieser bewussten Reduktion der äußeren Bewegung die Emotionen der Figuren mit, die in Mozarts Musik ja sehr präsent sind?

Alle Charaktere in »Mitridate« sind hochgestellte Personen, keine »normalen« Menschen, sondern »historische Giganten«. Das Publikum soll gewissermaßen aus einer Vogelperspektive diese Charaktere erleben, die stets sehr künstlich erscheinen, weit entfernt von der Realität. Gefühlsregungen sollen nicht durch Bewegungen vermittelt werden, die unmittelbar diese Emotionen ausdrücken, jegliche »gewöhnliche« Gesten sollen vollständig unterdrückt werden. Die Figuren erscheinen auf diese Weise sehr abstrahiert. Wenn sie sich bewegen, dann immer sehr entschieden und bewusst, da jegliche Bewegung auf der Bühne eine größere Wichtigkeit erhält als im Rahmen der alltäglichen Wirklichkeit.

Mein Ziel wäre erreicht, wenn das Publikum fühlt, dass die Seelen der Toten in Frieden ruhen anstatt dass sie Revanche suchen, und dass nach dem Krieg ein Frieden in Unendlichkeit möglich ist.

Gibt es eine religiöse Dimension, die mit in die Inszenierung eingeflossen ist?

Die Ursprünge des japanischen Theaters liegen ja in eigens dafür bestimmten Personen, die für Gottheiten getanzt und gespielt haben. Sie sollten die Götter unterhalten und glücklich machen – die Traditionen des No- und des Kabuki-Theaters sind aus dieser Praxis heraus entstanden. Das Theaterspiel ist immer an eine Gottheit gerichtet, und in Japan gibt es viele Götter. Der Grundgedanke besteht darin, dass, wenn ein Gott erfreut wird, auch das Publikum erfreut ist. Unsere Sängerinnen und Sänger sollen ihre Arien auch immer so darbieten, als ob die Figur, die da gerade singt, ihre Stimme an eine Gottheit richtet.

Auffällig sind die intensiven Goldfarben des Bühnenbilds und der Kostüme. Was hat es damit auf sich?

Die Wahl der Farbe Gold hat eher mit Mozart als mit dem japanischen Theater zu tun, wo Gold keine herausgehobene Rolle spielt. Es war in der Tat die Musik, die uns inspiriert hat, viele Dinge golden einzufärben. Die Idee kam von unserer Kostümbildnerin Kayo Deschene, die sämtliche Kostüme in dieser Weise gestaltet hat, einschließlich der tierischen »Spirits«, die den Figuren beigegeben sind: einen Löwen für Mitridate, einen Drachen für Sifare, einen Phoenix für Aspasia oder einen Adler für Ismene. Diese beschützen die jeweilige Person und geben ihr Kraft und Stärke.

Welche Wünsche knüpfen sich für Sie an unsere Berliner »Mitridate«-Produktion?

Im letzten Stück der Oper, einem Ensemble, geht es vordergründig um Rache, die letzte Szene soll aber ganz im Gegenteil Versöhnung bringen. Mein Ziel wäre erreicht, wenn das Publikum fühlt, dass die Seelen der Toten in Frieden ruhen anstatt dass sie Revanche suchen, und dass nach dem Krieg ein Frieden in Unendlichkeit möglich ist. Ich wäre jedenfalls sehr glücklich, wenn diese Botschaft verstanden und beherzigt werden würde.

 

aufgezeichnet von Detlef Giese, mit einem herzlichen Dank an Kaito Kinoshita für das Dolmetschen während des Gesprächs

 

Foto: Bernd Uhlig

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