Richard Strauss und die Berliner Hof- und Staatskapelle

In München, unweit des Nationaltheaters, wurde er geboren, mit Berlin ist er aber mindestens ebenso eng verbunden wie mit seiner bayerischen Heimatstadt. Richard Strauss hat über längere Zeit das Musikleben an der Spree entscheidend mitgeprägt, als Dirigent wie als Komponist. 1898 wurde er als Kapellmeister an die Hofoper Unter den Linden verpflichtet, über mehrere Jahrzehnte hielt er diesem Haus und seinem Orchester die Treue. Zwar war er durchaus auch anderswo aktiv – etwa in Dresden, wo die meisten seiner Opernwerke uraufgeführt wurden, in Wien oder bei den Festspielen in Salzburg und Bayreuth –, ein Fixpunkt seiner künstlerischen Aktivitäten blieb jedoch Berlin.

Sein Debüt als Operndirigent Unter den Linden hatte der 34-jährige Strauss mit Wagners »Tristan und Isolde« gegeben. Bereits in seiner ersten Saison 1898/99 leitete er mehr als 70 Aufführungen von mehr als zwei Dutzend unterschiedlichen Werken des deutschen, italienischen und französischen Repertoires. Mozart und Wagner sollten in der Folgezeit zu seinen Favoriten werden, hinzu kamen zahlreiche Vorstellungen seiner eigenen Bühnenstücke, die er an der Hofoper an rund 200 Abenden dirigierte. In den Berliner Jahren, die bis zum Ende des 1. Weltkrieges reichten, entstanden nach und nach jene Werke, die den Komponist weltberühmt machten: »Salome«, »Elektra«, »Der Rosenkavalier«, »Ariadne auf Naxos« sowie »Die Frau ohne Schatten«. Im damals eher konservativen Berlin stießen diese Werke aufgrund ihrer teils provozierenden Sujets und einer – zumindest im Falle von »Salome« und »Elektra« – spürbar modernen, avancierten Musik auf so manche Widerstände, setzten sich schließlich aber durch.
Nicht zuletzt war es Richard Strauss selbst, der eine Menge dazu beitrug. Seine zunehmende Prominenz als Dirigent wirkte sich auf seine Anerkennung als Komponist aus. Mit Strauss besaß das Wilhelminische Berlin einen Künstler, der auf beiden Gebieten überaus erfolgreich wirkte und der Reichshauptstadt den erhofften Glanz verlieh. Allein beim Kaiser und seinem Hofstaat war Strauss nicht sonderlich beliebt – dafür erschien seine Musik insgesamt doch als zu gewagt. Als Ausgleich für die neuen Klänge, gewissermaßen zur Besänftigung, komponierte er sogar eine Reihe von Märschen für den Kaiser, ohne bei Wilhelm II. jedoch auf größere Resonanz zu stoßen.
Was Strauss trotz allem an Berlin gefiel, war die Weltoffenheit der beständig wachsenden Metropole. Als er seinen Posten als »Erster Preußischer Kapellmeister« antrat, lebten etwa zwei Millionen Menschen hier. Ob Strauss das enorme soziale Gefälle, das in der Stadt herrschte, bewusst war, lässt sich nicht sagen; er selbst konnte sich aufgrund seiner hervorragend dotierten Stellung und seiner Einkünfte als Komponist und international gefragter »Reisedirigent« jedenfalls einen gutbürgerlichen Lebensstandard leisten. Während seiner Berliner Zeit wohnte er in der Knesebeckstraße, unweit des 1894 errichteten Schiller Theaters; von dort konnte er bequem zum Opernhaus Unter den Linden fahren.
Ab 1905 wurde ihm zugestanden, lediglich sechs Monate im Jahr präsent sein zu müssen, um sich dem Komponieren und seiner immer weiter ausgedehnten Gastiertätigkeit widmen zu können. Seiner Karriere an der Hofoper und der Hofkapelle tat dies keinen Abbruch – im Gegenteil: 1908 wurde er gemeinsam mit Karl Muck, dem langjährigen Bayreuther »Parsifal«-Dirigenten, zum Generalmusikdirektor ernannt. In diesem Jahr löste er auch Felix von Weingartner als Leiter der regulären Sinfoniekonzerte ab – bis 1920 sollte er weit über 100 verschiedene Programme mit den Musikern der Preußischen Hofkapelle (die nach Krieg und Revolution ab 1919 den neuen Namen »Staatskapelle Berlin« trug) dirigieren. In dieser Funktion beerbt wurde er von dem jungen Wilhelm Furtwängler, bevor in der Zeit der Weimarer Republik Dirigenten wie Hermann Abendroth, Erich Kleiber oder Otto Klemperer an die Spitze der Oper und der Kapelle rückten. Ab und an erschien bis in die 1930er Jahre hinein aber auch Richard Strauss am Pult des Orchesters, vornehmlich bei Aufführungen eigener Werke.
Der betagte Strauss hat sich in seinen autobiographischen Erinnerungen »Aus meinen Jugend- und Lehrjahren« überaus wohlwollend über seine Tätigkeit an der Oper und mit dem Orchester geäußert: »Ich hatte niemals Grund, diese Beziehung zu Berlin zu bereuen; habe eigentlich nur Freude erlebt, Sympathie und Gastlichkeit gefunden. 15 Jahre Sinfoniekonzerte der Kgl. Kapelle waren reine Stunden künstlerischer Arbeit. Die Beziehungen zur Berliner Staatsoper haben alle anderen Wechselfälle […] überdauert.«
Die von Strauss geleiteten Sinfoniekonzerte mit der Hof- bzw. Staatskapelle waren stilistisch erstaunlich weit gefächert. Bachs »Brandenburgische Konzerte« und Händels Concerti grossi kamen ebenso zur Aufführung wie Sinfonien der Wiener Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven. Auffallend häufig standen Stücke von Weber, Schumann, Berlioz und Liszt auf dem Programm, vom Letzteren eine bemerkenswert große Zahl seiner Sinfonischen Dichtungen und Sinfonien. Wagner und Bruckner waren wiederholt vertreten, desgleichen Brahms und Reger. In besonderer Weise setzte sich Strauss für seinen Generationskollegen Gustav Mahler ein, von dessen Sinfonien er mehrere erstmals in Berlin präsentierte. Und nicht zuletzt waren es seine eigenen Werke, denen er sich immer wieder widmete, nicht zuletzt auch in Sonderkonzerten, die auch nach seinem offiziellen Abschied von Berlin in den 20er und 30er Jahren des Öfteren stattfanden ‒ von »Aus Italien« bis zur »Alpensinfonie« reichte die Palette des dirigierenden »Klangzauberers« Strauss.

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